Die EU-Pläne zur stärkeren Überwachung von privaten Chats

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Die EU-Kommission plant, sämtliche Kommunikation im Internet auf Anzeichen von Kindesmissbrauch überwachen zu lassen, und zwar direkt auf den Computern und Smart­phones der Nutzerinnen. Dazu sollen die Diensteanbieter verpflichtet werden.
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Man nehme Whatsapp als Beispiel. Dem Vorschlag der EU-Kommission zum verpflichtenden Einsatz der Chatkontrolle zufolge müsste die App künftig von sich aus die Chats sämtlicher Nutzer ständig vollautomatisch überwachen. Sie müsste zu verschickende Bilder mit einer Datenbank vergleichen, die einschlägiges Missbrauchsmaterial enthält, und melden, wenn es sich um bisher nicht bekannte Bilder handelt. Außerdem soll sie alle Text- und Sprachnachrichten auf cybergrooming prüfen. Darunter versteht man Versuche Erwachsener, mit sexuellen Absichten Kontakt zu Kindern und Jugendlichen aufzunehmen. Käme der Algorithmus zu dem Ergebnis, dass ein Bild oder Dialog verdächtig ist, müssten die Daten automatisch an eine noch zu schaffende Behörde weiterge­leitet werden, die die Inhalte ihrerseits prüfen und gegebenenfalls Anklage erheben würde.

Obwohl das Gesetzesvorhaben unter dem Begriff »Chatkontrolle« bekannt geworden ist, geht es nicht nur um Chats, sondern um alle »öffentlich verfügbaren Dienste für zwischenmenschliche Kommunikation«, wie es in dem Richtlinienentwurf heißt. Das schließt außer Chats und Messengern auch E-Mails, Telefonate, Sprachnachrichten, Videokonferenzen, Gaming-Server und alle anderen Dienste ein, mit denen Menschen miteinander kommunizieren. Es ist auch keine Ausnahme für kleine Anbieter vorgesehen. Protonmail und Posteo müssten ihre Nutzer genauso überwachen wie Microsoft, Google oder Apple.

Das Vorhaben ist bereits aus technischen Gründen fragwürdig. Zwar können Machine-Learning-Algorithmen darauf trainiert werden, entsprechende Inhalte zu erkennen, aber jeder noch so perfekte Algorithmus wird Fehler machen. Bei Milliarden von Kommunikationsvorgängen täglich würde es also zwangsläufig zu sehr vielen Falschverdächtigungen kommen. Die eigentlichen Probleme liegen aber im Bereich des Datenschutzes. Der Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber ist überzeugt, die geplante Richtlinie verstoße gegen geltendes Datenschutzrecht: Weder die europäische Datenschutzgrundverordnung noch die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf »Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme« seien damit in Einklang zu bringen.

Der kriminelle Handel und Tausch entsprechender Bilder dürfte sich mit derlei Überwachung kaum wirksam bekämpfen lassen. Denn üblicherweise wird solches Material über Filehoster, also Webdienste für die Speicherung und Weitergabe von Dateien, verschlüsselt getauscht, so dass den Dateien nicht angesehen kann, was sie enthalten. Sogar der Kinderschutzbund lehnt die geplante EU-Richtlinie ab, weil sie nicht wirklich helfe, sexuelle Gewalt gegen Kinder zu bekämpfen. Dafür wäre mehr Bildungs- und Präventionsarbeit nötig wie beispielsweise Schulungen dazu, woran Missbrauchsfälle erkannt werden können.