In München hat ein Prozess gegen das Nazi-Netzwerk Blood & Honour begonnen

Das Umfeld des Terrors

Vor dem Münchner Landgericht hat ein Prozess gegen mutmaßliche Mit­­­glieder des verbotenen Nazi-Netzwerks Blood & Honour begonnen. Die Hoffnung, weitere Erkenntnisse über den NSU-Komplex zu gewin­­nen, wurde bereits am ersten Verhandlungstag gedämpft.
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Einige verbargen ihr Gesicht auf dem Weg ins Gebäude hinter Basecap, Brille und Maske, andere zeigen mit einschlägigen Tattoos und szenetypischer Kleidung ihre Gesinnung ganz offen. Als die Angeklagten am Morgen des 20. Juni das Justizzentrum in der Münchner Nymphenburger Straße betreten, müssen sie an den dort aufgebauten Fernsehkameras vorbei. Zehn mutmaßlichen Funktionären, Mitgliedern und Unterstützern des extrem rechten Netzwerks Blood & Honour wird am Münchner Landgericht derzeit der Prozess gemacht.

Im Bayerischen Rundfunk fasst der Gerichtssprecher Florian Gliwitzky die Vorwürfe folgendermaßen zusammen: »Es geht formal betrachtet zunächst einmal um einen Verstoß gegen das Vereinigungsverbot. Es geht um Volksverhetzung, es geht um die Verwendung von Symbolen verfassungsfeindlicher, also verfassungswidriger Organisationen.« Angeklagt sind zehn Männer zwischen 32 und 49 Jahren aus Bayern, Thüringen und Baden-Württemberg. Neun von ihnen wird vorgeworfen, die verbotene Organisation »Blood & Honour Division Deutschland« in unterschiedlichen Funktionen fortgeführt zu haben.

Das neonazistische Netzwerk Blood & Honour und sein bewaffneter Arm, Combat 18, waren ab den achtziger Jahren sehr aktiv in Sachen Rechtsrock, rechter Propaganda und auch Terror. Gegründet wurde Blood & Honour 1987 in England unter anderem von Ian Stuart Donaldson (1957–1993), dem Sänger der berüchtigten Band Skrewdriver. Später entstanden Ableger in Kontinentaleuropa, den USA, Kanada und Australien. Der 1994 gegründete deutsche Ableger, die erwähnte Blood & Honour Division Deutschland, genoss in der rechten Szene den Ruf ­einer elitären, verschworenen Gruppe. Zu Hochzeiten zählte Blood & Honour in Deutschland 300 bis 500 Mitglieder, die in mehreren Bezirksdirektionen und Sektionen sowie der Jugendorganisation White Youth organisiert waren.

Einige Mitglieder förderten neonazistische Bands, deren Musik sie produzierten und vertrieben. Mit Rechtsrockkonzerten banden sie Sympathisanten an die Szene und schufen so eine profitable rechte Subkultur. Die Einnahmen aus dem Geschäft sollten zurück in die Szene und den politischen Kampf fließen, was jedoch nur bedingt befolgt wurde und immer wieder zu internen Konflikten führte. Gleichzeitig propagierte das Netzwerk in seinen Publikationen das Konzept von »leaderless resistance« (führerlosem Widerstand), veröffentlichte Terroranleitungen, die unter anderem zum Einsatz von Nagelbomben rieten, und rief zum bewaffneten Untergrundkampf gegen System und »Volksfeinde« auf.

Das Verbot von Blood & Honour durch das Bundesinnenministerium im Jahr 2000 hatte, da sind sich Beobachterinnen der Szene einig, praktisch kaum Auswirkungen. Aktivisten führten das Netzwerk nahtlos weiter. Einige gründeten neue Gruppierungen, manche machten ohne den alten Namen weiter und wieder andere gründeten ganz ­offen Nachfolgeorganisationen, indem sie sich des Zahlencodes 28 bedienten.

Die Behörden schauten dem Treiben lange mehr oder wenig untätig zu, während antifaschistische und journalis­tische Veröffentlichungen regelmäßig über die Aktivitäten und Angriffe der Neonazis berichteten. Die Vermutung liegt nahe, dass hier Quellenschutz Vorrang vor Aufklärung hatte. So wurde 2017 bekannt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit Stefan L., dem früheren Divisionsleiter von Blood & Honour in Deutschland, über einen V-Mann im Zentrum des Netzwerks verfügte. Die Frankfurter Rundschau berichtete 2017, dass L. unter dem Decknamen »Nias« von mindestens 2002 bis spätestens 2010 mit dem BfV zusammengearbeitet habe. Angesichts der Erkenntnisse, die Behörden über die Strukturen haben müssen, ist bemerkenswert, wie viele der Ermittlungsverfahren über die Jahre einfach versandeten.

Bei den Razzien im Dezember 2018, auf die sich der Prozess in München vor allem stützt, intervenierten die Behörden zwar, gingen jedoch nur gegen Teile des Netzwerks vor. Dem antifaschistischen Recherchekollektiv Exif zufolge betrafen die Durchsuchungen zwölf Neonazis, was nur einem Bruchteil der Mitglieder von Blood & Honour und Combat 18 entsprechen dürfte. Die Ermittler durchsuchten Häuser und Wohnungen in fünf Bundesländern und fanden dabei laut Anklageschrift Munition, »industriell gefertigte Knallkörper« und zahllose CDs mit volksver­hetzenden Inhalten. Danach dauerte es noch einmal knapp vier Jahre, bis diese Funde und Ermittlungsergebnisse zu einer Anklage und den Prozess vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts München I führten.

Gegen einige der jetzt in München Angeklagten ergingen 2018 Haftbefehle, diese wurden mittlerweile jedoch außer Vollzug gesetzt oder aufgehoben. Das betraf zum Beispiel den mehrfach einschlägig vorbestraften Neonazi Stanley R., der zu den Führungskadern von Combat 18 zählt. Ihm werden im jetzigen Verfahren nur Unterstützungshandlungen vorgeworfen. Im Fokus stehen dieses Mal andere, etwa die mutmaßlichen »Sektionschefs« von Blood & Honour in Baden-Württemberg und Bayern, Eric-Alexander S. und Ron W., und der sogenannte Divisionsleiter Deutschland und Leiter der Thüringer Sektion, Sven B.

Im Prozess geht es auch um eine CD mit dem Song »Holocaust«. Der Staatsanwaltschaft zufolge soll B. an der Aufnahme des Songs, in dem die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden als Lüge bezeichnet wird, mit­gewirkt haben. Stanley R. und zwei weitere Angeklagte aus Bayern, Janosch P. und Ringo N., sollen an der Einfuhr der in Ungarn produzierten CD beteiligt gewesen sein.

Dass in Publikationen von Blood & Honour zum bewaffneten Untergrundkampf in kleinen Zellen auf­gerufen wurde, fiel offenbar nicht zuletzt beim Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) auf fruchtbaren Boden. Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hätten in Kreisen von Blood & Honour »Bestätigung, Rückhalt und konkrete Unterstützung für ihr ­Leben im Untergrund« gefunden, urteilte die antifaschistische Gruppe NSU-Watch 2015. Ohne Blood & Honour »hätte der NSU – zumindest in dieser Form – nicht entstehen und agieren können«, so NSU-Watch weiter.

Die konkrete Unterstützung umfasste die Versorgung mit Reisepässen, Geld, Tarnidentitäten und Wohnungen. Auch der Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke soll Kontakt zu Blood & Honour gehabt haben. Sich diesen Netzwerken zu widmen, ist also überfällig. Angesichts der Gefahr, die von rechtsterroristischen Netzwerken wie Blood & Honour und Combat 18 ausgeht, sind die jetzt verhandelten Straftaten allerdings eher unbedeutend. Wer hoffte, dass dieser Prozess Einblicke in jene Strukturen liefern könnte, auf die sich der NSU blind verlassen konnte, wird wohl enttäuscht werden.

Geplant sind 25 Prozesstage. Da sich am ersten Prozesstag jedoch abzeichnete, dass ein Großteil der Angeklagten bereit ist, ein Geständnis abzulegen, könnte der Prozess schneller enden als gedacht. Oberstaatsanwalt Maximilian Laubmeier deutet an, dass er einen »Deal« für möglich hält, wenn die Angeklagten gestehen und Reue zeigen. Eine weitere Chance, Licht in Neonazi-Strukturen zu bringen, würde ungenutzt bleiben.