Linke und Feministinnen sollten die geschlechtliche Selbstbestimmung akzeptieren

Selbstexpertise zulassen

Das von der Bundesregierung geplante Selbstbestimmungsgesetz dürfte für die Betroffenen eine große Erleichterung bedeuten.
Bodycheck - Die Kolumne zu Biopolitik und Alltag Von

Die Eckpunkte für ein Selbstbestimmungsgesetz, die Frauenministerin Lisa Paus (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) am Donnerstag vergangener Woche vorstellten, sind im Kern simpel: Um Vornamen und Geschlechtseintrag zu ändern, soll künftig eine Erklärung mit Eigenversicherung beim Standesamt darüber reichen, dass die Geschlechtsidentität nicht mit dem ­Geschlechtseintrag übereinstimmt. Das Gesetz soll das in mehreren Punkten verfassungswidrige Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 ablösen.

Damit würde das Verfahren enorm vereinfacht und für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinärgeschlechtliche Menschen vereinheitlicht. Dies ist eine lange erwartete Reform und dürfte für die Betroffenen eine große Erleichterung bedeuten. Bisher bedarf es eines Gerichtsverfahrens, für das transgeschlecht­liche Menschen zwei Sachverständigengutachten vorlegen müssen, eine langwierige, teure und oft entwürdigende Prozedur. Für nichtbinärgeschlechtliche Personen gibt es zurzeit eigentlich kein Verfahren, um Namen und Personenstand zu ändern.

Die bisherige Pathologisierung transgeschlechtlicher Menschen soll so beendet werden, die Reform will den verfassungsrechtlich garantierten Schutz der geschlechtlichen Selbstbestimmung und den Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts garantieren. Dabei richtet sie sich nach dem Grundsatz, dass nur eine Person selbst wissen kann, welches Geschlecht sie hat. Der 40. Deutsche Psychotherapeutentag hatte auf seiner Tagung im Mai 2022 das Vorhaben der Bundesregierung begrüßt, den Geschlechtseintrag »im Wesentlichen nur vom Geschlechtsempfinden der antragstellenden Person abhängig zu machen«.

Wollte sich die Regierung gerade noch so im Pride-Monat Juni und pünktlich zum fünfjährigen Jubiläum der gleichgeschlecht­lichen Ehe als fortschrittlich präsentieren? Das ist durchaus eine wahrscheinliche Erklärung für den gewählten Zeitpunkt der Präsentation der Eckpunkte. Bis zu einem tatsächlichen Gesetzentwurf können nämlich noch Monate vergehen. Ob es allerdings dem Projekt zuträglich ist, durch die Präsentation den Raum für monate­lange Debatten zu öffnen, darf bezweifelt werden. Bereits am Wochenende steigerte sich in der Presse und den sozialen Medien die Aufregung über die Vorschläge. Man mag es bei dem ganzen Getöse gar nicht glauben, dass das künftige Gesetz tatsächlich nur die ­behördlichen Vorgänge der Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags regeln soll.

Um Missbrauch vorzubeugen, soll es nach einer Änderung des Eintrags eine Wartefrist von einem Jahr geben. Das Drohbild des Mannes, der sein Geschlecht für einen Tag ändert, um in Frauenräume einzudringen, scheint vor dem Hintergrund mit ähnlichen Gesetzen in anderen Ländern ein Phantasma zu sein. Paus wies bei der Vorstellung darauf hin, dass sich beispielsweise auch die Ko­ordinierungsstelle der Frauenhäuser für ein solches Selbstbestimmungsgesetz ausgesprochen habe. Jeden dritten Tag gebe es in Deutschland einen Femizid, so Paus. Dieses gravierende Problem müsse die Bundesregierung dringend angehen, es habe aber ab­solut nichts mit dem geschlechtlichen Selbstbestimmungsrecht von transgeschlechtlichen Menschen zu tun.

Für Minderjährige bis 14 Jahre sollen die Eltern den Eckpunkten zufolge für eine behördliche Geschlechtsangleichung verantwortlich sein, ab 14 Jahren können Jugendliche den behördlichen Vorgang selbst einleiten, allerdings mit Zustimmung der Sorgeberechtigten. Stimmen diese nicht zu, muss ein Familiengericht entscheiden, das sich am Kindeswohl orientieren soll.

Das Gesetz soll zudem ein bußgeldbewehrtes Offenbarungsverbot des vorherigen gesetzlichen Geschlechts enthalten und Entschädigungsleistungen für Menschen beinhalten, die sich wegen des TSG Zwangssterilisationen unterziehen oder scheiden lassen mussten.

Mit der Veröffentlichung der Vorschläge stieg das mediale Interesse an dem Thema. Der geplante Vortrag der Meeresbiologin ­Marie-Luise Vollbrecht im Rahmen der »Langen Nacht der Wissenschaften« an der Berliner Humboldt-Universität und eine Kund­gebung von Studierenden dagegen entwickelten sich zum Skandal. Vollbrecht wollte in dem Vortrag darlegen, »warum es in der Bio­logie nur zwei Geschlechter gibt«. Das ist allerdings eine steile These, die sogar die Existenz von intergeschlechtlichen Menschen leugnet. Vollbrecht ist auch Co-Autorin eines Kommentars in der Welt von Anfang Juni, in dem der »Sendung mit der Maus« und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk »Frühsexualisierung« vorgeworfen wurde. Selbst der Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlags, Matthias Döpfner, bezeichnete den Kommentar später als »intolerant, herablassend und ressentimentgeladen, wissenschaftlich bestenfalls grob einseitig«. Die Absage des Vortrags befeuerte Vorwürfe von »Cancel Culture«. Vergleiche der Selbstvertretungs­organisationen von transgeschlechtlichen Menschen und deren Unterstützenden mit Impfgegnern und Coronaleugnern schlugen Wellen.

Bereits vor der Veröffentlichung der Eckpunkte hatten der Bundesverband Trans und andere die Petition »Gegen trans*feindliche Berichterstattung, für einen respektvollen und sachlichen Umgang« lanciert. Darin weisen sie auf die Verbindung zwischen sogenannten genderkritischen und rechtsextremen Milieus hin, was eine Gefahr für die Demokratie darstelle. Das Verbreiten von Angst vor nichtvorhandenen Gefahren ist eine rechte Strategie. Linke und Feministinnen sollten sich daran nicht beteiligen.