Nancy Pelosis Besuch in Taiwan war richtig

Chinas Drohungen

Die Sprecherin des US-amerikanischen Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat trotz scharfer Kritik aus der Volksrepublik China Taiwan besucht.
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Trotz schärfster Drohungen aus Peking besuchte die Trägerin des dritthöchsten Staatsamts der USA, die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, vergangene Woche Taiwan. Seit dem Inkrafttreten des Taiwan Relations Act von 1979 hatte es zuletzt 1997 einen derart hochrangigen Besuch auf der Inselrepublik gegeben, damals war es Newt Gingrich, seinerzeit im selben Amt wie Pelosi. Ihr Besuch stellte keinen historischen Präzedenzfall dar, aber die Rolle Taiwans und das militärische, politische und wirtschaftliche Gewicht Chinas haben sich seit 1997 stark verändert.

Anders als in der Presse bisweilen behauptet, handelt es sich bei Taiwan keineswegs um eine »abtrünnige Provinz«; zu keinem Zeitpunkt war Taiwan Staatsgebiet der 1949 gegründeten Volksrepublik. Wie auch immer überdehnte Interpretationen von völkerrechtlicher Zugehörigkeit können daran nichts ändern. Abwegige Vergleiche mit Katalonien in den sozialen Medien hierzulande hat das aber nicht verhindert.

Auch wenn die USA 1997 anders als heutzutage noch aus einer praktisch unangefochtenen Position der Stärke heraus handelten, wäre es wohlfeil, von antiamerikanischen Bauchgefühlen getrieben eine reine Instrumentalisierung Taiwans zu vermuten, mit der die US-amerikanische Regierung bezwecke, China in Zaum zu halten. Das mediale Getöse von Pelosis »Spiel mit dem Feuer« lässt sich von offiziellen chinesischen Verlautbarungen nur schwer unterscheiden und verfehlt den Kern des Problems: Entscheidungs­träger in China erscheinen in den Augen der Realpolitiker wie Triebtäter – als könnten sie letztlich nicht anders als militärisch reagieren. Dass Taiwan nicht bloßes Objekt chinesischer Begierden ist, sondern eine eigenständige Republik, kommt hier viel zu kurz: Der Besuch war ein für Taiwan wichtiges Zeichen der Solidarität.

In einer funktionierenden und gefestigten Demokratie wie Taiwan dauert auch die Kritik an Pelosi noch Tage nach dem Besuch an. Fotos dieser Proteste einer Minderheit gingen um die ganze Welt. Die nachvollziehbare Sorge vor einem Krieg mit China ist aber hier nicht deckungsgleich mit den Ansichten der noch viel kleineren Minderheit, die politisch tatsächlich eine Vereinigung nach Maß­gabe der Pekinger Regierung fordert. Trotzdem gibt es sie, wie es die Nutzer in Chinas sozialen Medien gibt, die voller Frust darüber schäumten, dass die chinesischen Luftstreitkräfte keinen Versuch unternommen hatten, Pelosis Flugzeug vom Kurs abzudrängen oder gar die Maschine zu beschießen.

Die Volksrepublik revanchierte sich auf andere Weise: Ende voriger Woche verkündete China acht Maßnahmen, mit denen die USA für den Besuch bestraft werden sollten. Diese umfassen vor allem die Beendigung der Kommunikation, unter anderem auf militärischer Ebene, bei der zwischenstaatlichen Rechtshilfe sowie auch beim Klimaschutz. Vor allem Taiwan aber hat die Konsequenzen zu ­tragen. Die in sechs Gebieten um die taiwanische Hauptinsel begonnenen chinesischen Militärmanöver zählen ebenso dazu wie die von China verkündeten Handelsbeschränkungen.

Rückblickend war der Besuch trotzdem nicht nur richtig, sondern hat sich auch gelohnt. Mit dem Besuch und den in diesem Kontext – auch von der deutschen Bundesregierung – getätigten Verurteilungen der militärischen Bedrohung Taiwans stehen die westlichen Demokratien unter Zugzwang, Taiwan tatsächlich zu Hilfe zu kommen, sollte aus den militärischen Übungen Ernst werden. Dass es dazu erst gar nicht kommt, sollte das erklärte Ziel bleiben.

Die offen ausgesprochene und gesetzlich festgeschriebene Absicht der chinesischen Regierung, Taiwan gegebenenfalls auch militärisch in die Volksrepublik zu zwingen, wie in Artikel 8 des chinesischen Anti-Sezessionsgesetzes von 2005 angedroht, sollte ­kritisiert werden – und nicht die Solidarität mit der taiwanischen Demokratie.