Punk in Estland, Lettland, Litauen 1980–1991
Ich bin nur ein Übel
Punk in Estland – Aufstieg und Niedergang
Joonas Vangonen (Berlin) / Lauri Leis (Tallinn)
»Als Punk war meine Reaktion auf meine Umgebung grundsätzliche keine andere als schon als kleines Kind. Im Kindergarten wurde ich gezwungen, fettige Sauerkrautsuppe zu essen. In der Suppe schwammen wabblige, haarige Stücke Schweineschwarte – das war extrem widerlich. Mir wurde natürlich gesagt, dass das ausgezeichnetes Essen ist, dass es gar nichts Besseres gibt. Damals reagierte ich mit Schreien und Kotzen. Am nächsten Tag warf ich aus Rache alle Mülleimer des Kindergartens um. Als ich älter wurde, war es Punkmusik, die mir half, alles, was mir aufgezwungen wurde, wieder auszukotzen.«
In den frühen siebziger Jahren – aus dieser Zeit stammt Ivo Uukkivis Geschichte über die ranzige Sauerkrautsuppe – hatte in der ESSR, der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik, keiner auch nur von Punk gehört. Mehr als 40 Jahre im Schnelldurchlauf, und wir erreichen das heutige Estland. Ein Land, das Gastgeber des weltweit einzigen Punksong-Festivals ist, wo professionelle (Massen-)Chöre und grauhaarige Punklegenden die bekanntesten estnischen Punkhits aufführen – manchmal taucht dort sogar der Präsident auf. Ein Land, wo Punkhymnen wie »Tere Perestroika« und »Insener Garini Hüperboloid« mindestens genauso bekannt sind wie die Lieder der »Singenden Revolution«. Ein Land, wo 1989 eine Jury von Musikexperten das Album »Külmaale Maale« von J.M.K.E. zum besten estnischen Musikalbum aller Zeiten erklärte. Ein Land, wo Villu Tamme, der große alte Mann der estnischen Punkmusik, beim Estnischen Musikpreis im Januar 2017 für sein Lebenswerk geehrt wurde.
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