Die ARD-Dokumentation »Techno House Deutschland« ist in der Tat sehr deutsch

Raven in Deutschland

Die ARD-Dokumentarserie »Techno House Deutschland« porträtiert die hiesige Technoszene. Wirklich Interessantes wissen die Interviewten über die »positivste Jugendkultur aller Zeiten« aber nicht zu berichten.

Viel wird in letzter Zeit wieder über Parasozialität gesprochen und diskutiert. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, überall lassen sich derzeit neue Beispiele für das Phänomen beobachten. Zu Podcasterinnen und Influencern fühlen die Follower oft eine besondere emotionale Verbundenheit, obwohl sie sie gar nicht kennen. Auch bei großen Popmusikkonzerten ist das Phänomen von Be­deutung. Ein Konzert von Helene Fischer beispielsweise ließe sich theoretisch viel besser als Aufzeichnung im Heimkino erfahren, zu klein ist die Bühne und zu weit weg steht man meist von der Sängerin, um sie überhaupt direkt sehen zu können. Die Musik kommt sowieso vom Band – spielt aber nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch empfindet das Publikum die Präsenz des Stars stark: Ich bin dort, wo meine Göttin ist. Wir atmen dieselbe Luft zur selben Zeit.

Techno hat diese Ungleichheit verweigern wollen und darauf beharrt, dass Publikum und DJ gleichwertig sind. Angebetet werden sollte nicht, wer die Musik macht, sondern die Musik selbst und damit auch die gemeinsame soziale Situation. Also der Club, in dem man gerade ist, die ­Körper, die gerade neben einem tanzen, der gemeinsame Rausch, ganz gleich, zu welchen Teilen er nun von der Musik, dem Licht oder Drogen herrührt.

Dass in der Musik Sprache nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist bekannt. Wie wenig die Akteurinnen und Akteure über das, was sie da machen, sprechen können, ist allerdings doch frappierend.

Folgerichtig sprechen alle Protagonisten und Protagonistinnen der achtteiligen ARD-Dokumentarserie »Techno House Deutschland« immerzu von Familie. Aufgeteilt sind die 30minütigen Folgen in drei Blöcke: Der Hessische Rundfunk kümmert sich in den ersten vier Folgen um die Anfänge von Techno in Frankfurt, Hamburg, München und Westberlin und kommt dann in der Jetztzeit, also dem wiedervereinigten Berlin, Offenbach und auf dem Römer, dem zen­tralen Platz in Frankfurt am Main, an. Der MDR betrachtet die Entwicklung in den östlichen Bundesländern und der SWR behauptet, das riesige Festival Nature One im Hunsrück (Rheinland-Pfalz) sei »Underground«.

Ästhetisch ist das relativ uninteressant. Zu sehen gibt es fast ausschließlich Aufnahmen von DJs, die an Platten oder Knöpfen herumdrehen, oder ekstatisch tanzende und bräsig grinsende Menschen – meistens stammen die Bilder von Festivals, schließlich verweigern die besseren Clubs Foto- und Filmaufnahmen. Dazwischen berichten DJs sowie Veranstalterinnen und Veranstalter von ihrem Leben mit Techno und der sogenannten Jugendkultur. Eine ­Stimme aus dem Off gibt es nicht. Die angespielten Tracks werden nicht ausgewiesen, also kann sie nur zuordnen, wer sich auskennt. Leicht erheiternd sind die Archivaufnahmen aus den Neunzigern, sowohl die privaten als auch die von verschiedenen Rundfunkanstalten mit der üblichen gestelzten Kommentierung irgendeines Redakteurs. Prinzipiell handelt es sich hier aber um einen ausufernden Imagefilm für die laut Technoproduzentin Monika Kruse »positivste Jugendkultur aller Zeiten«.

Der am häufigsten verwendete ­Begriff ist »Familie«. Besonders lustig ist das natürlich, wenn eine Mitveranstalterin des sächsischen Festivals Nachtdigital davon spricht, während hinter ihr die zum Einfamilienhaus gehörende Schaukel zu sehen ist. Techno, Haus, Garten, Deutschland – nicht überraschend, vielmehr: sehr passend.

Raven gegen Deutschland? Von wegen. Raven mit Deutschland, scheint eher die Parole zu sein. Aber eigentlich ist Deutschland denen in der Doku auch völlig egal. Man könnte auch sagen: Raven mit der Realität. Immer wieder wird zwar von Subkultur gesprochen, aber damit scheint hier nur das bezeichnet zu werden, was klein und nicht etabliert gewesen ist. Stets aber geht es um Aussöhnung: ein bisschen tanzen und dann halt wieder weiter mit den Verhältnissen. Gleich in den ersten Minuten der ersten Folge fällt der Begriff »Ventil«: »Yoga, Radfahren oder halt die Nacht durchtanzen«, empfiehlt der DJ Ata.

Dass in der Musik Sprache nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist bekannt. Wie wenig die Akteurinnen und Akteure über das, was sie da ­machen, sprechen können, wie inhaltsleer die Sätze sind, die mit so glänzenden Augen gesprochen werden, ist allerdings doch frappierend. »Glück«, »Freiheit« und »Ekstase« werden zwar dauernd erwähnt, aber keiner und keine kann so recht erklären, was gemeint ist. So bleiben die Erzählungen furchtbar austauschbar. Einzig einem Besucher des Frankfurter Clubs »Omen«, der in den Neunzigern vom Fernsehen interviewt wurde, gelingt eine unfreiwillig präzise Beschreibung: »Was da drin ist, ist halt wirklich der Mensch in seinem Urwesen, runterreduziert halt. Da sind Tausende von Urhirnen drin, deshalb redet man auch in von einem Tribalismus, der da drinnen in gewissen Sinne herrscht, halt.«

Einzig in den beiden Folgen, die vom Osten erzählen, gibt es kurze Momente, in denen man verstehen kann, warum der Bass wirklich etwas bedeuten könnte. Einfach weil man Menschen hier erlaubt, zu zweit vor der Kamera zu sitzen und sich gemeinsam zu erinnern. Wenn der Betreiber des Leipziger Clubs »Distillery« die Wessis bemitleidet, weil die in normale Clubs gehen mussten und keine coolen Locations hatten, wenn der DJ Daniel Stefanik prollig und spitzbübisch postuliert: »Klar bin ich stolz, Ossi zu sein, is’ doch geil«, oder sich der arme Wessi Roman Flügel wundert, wo überall Clubs waren, will man vielleicht das erste Mal etwas mehr wissen. Hier lassen sich die interessanten Geschichten finden, die aber leider nur angerissen werden. Über die sozialen Span­nungen der Zeit oder auch die Kämpfe zwischen emanzipatorischer und nationalistischer Jugendkultur erfährt man gar nichts.

In fast allen Folgen von »Techno House Deutschland« wird der Song »Born Slippy« von Underworld angespielt. Aber was hat der hier zu suchen? Er ist untrennbar mit dem Film »Trainspotting« verbunden. Und der wiederum ist fucking britisch. Ist das ein Zeichen von Unwissenheit über das eigene Thema? Oder ist das ein ziemlich cleverer und sarkastischer Hinweis auf die untergründige Wahrheit, die im Techno steckt? Immerhin ist »Born Slippy« der Song, der in »Trainspotting« in der Szene zu hören ist, in der die Hauptfigur ihre Freunde betrügt, sie beklaut und endlich nüchtern in ein neues Leben aufbricht, eines mit einem geregelten Einkommen, einem großen Fernseher, einem elektrischen Dosenöffner und Versicherungen.

Techno ist die Jugendkultur, die nie wirklich etwas wollte. Die den Ausbruch aus dem Betrieb bereithielt, zumindest auf Zeit, in den man dann, wenn man ein Wochenende, vielleicht auch mal ein verlängertes Wochenende, Druck vom Kessel gelassen hat, zurückkehren konnte. »Is’ auf jeden Fall ein Grund, warum Leute Raven gehen, und ma’ freidrehen, und danach ist man gerestet und kann wieder in seine Woche starten. Ist schon ein krasses Tool«, gibt die Technoproduzentin Jakojako lakonisch zu Protokoll.

Man muss nicht einmal Mark Fi­sher gelesen haben, um beim Schauen der Serie zu kapieren, dass Techno, zumindest in Deutschland, keine Subkultur mit widerständigem Potential ist, sondern nur eine eskapistische Auszeit bietet, die zum Durchhalten animiert. Für diese kann man dankbar sein. So gewollt war das ­augenscheinlich allerdings nicht. Was Raven in Deutschland schlussendlich ist, das lässt der als DJ, Ökologe und Naturschützer vorgestellte ­Dominik Eulberg durchblicken, wenn er sagt: »Glücklich sind wir nur im Hier und Jetzt. Und das ist das Tolle an Technomusik. Weil wir die Gedanken zurückdrängen. Weil wir so viel fühlen.« Und nachdem sich eine alt gewordene Protagonistin der Hunsrücker Friedensbewegung, die ebenfalls Interviewpartnerin ist, über das friedliche Zusammensein der Jungen freut, legt Eulberg nach: »Das kollektive Zelebrieren von Musik, das ist der soziale Klebstoff unserer Gesellschaft.«

Die Dokuserie »Techno House Deutschland« kann in der ARD-Mediathek gestreamt werden.