Samstag, 31.10.2020 / 22:05 Uhr

Zwei Minuten Hass gegen Macron

Von
Gastbeitrag von Manuel Störmer

Die Drohungen gegen Frankreich ist vor allem eine Machtdemonstration der äußersten islamistischen Rechten gegen die säkularen innenpolitischen Gegner. Aber es geht auch gegen einen der wenigen Staaten, in dem "Blasphemie" nicht unter Strafe steht.

 

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(Anti-Macron Demonstration in Pakistan, Quelle: Ruptly)

 

Seit einigen Tagen schon mobilisiert der harte Kern der radikalen Islamisten in vielen mehrheitlich muslimischen Ländern gegen Frankreich unter dem Banner der Beleidigung der Muslime durch einen « islamophoben » französischen Staat. Genau wie die extreme Rechte in Europa behaupten diese Extremisten, im Namen des Volkes zu sprechen und versuchen, möglichst viele Menschen und Institutionen gegen Frankreich zu mobilisieren, in der Hoffnung, dass jene auch glauben, diese Extremisten sprächen für alle Muslime. Der « Tagesspiegel » fällt darauf scheinbar herein, mit der Schlagzeile « Der Zorn der Muslime ». Ähnlich wie bei den Mohammedkarikaturen im Jahr 2006 sind diese Proteste jedoch keineswegs spontan oder populär, sondern von langer Hand von einer kleinen Kaste einschlägiger Figuren geplant und voller Lügen ausgestattet.

Aber : Die Machtdemonstration richtet sich nicht wirklich an Frankreich, denn es ist seit vielen Jahren klar, dass die Rufe nach Zensur in Frankreich nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Das ist auch gar nicht das primäre Ziel. Die Islamisten interessieren sich einen feuchten Kehricht für Frankreich oder französische Innenpolitik. Es ist Ihnen herzlich egal, wie es Muslimen in Frankreich oder Europa geht. Genauso unwichtig ist ihnen französische Außenpolitik oder deren Religionspolitik im Allgemeinen.

« Boykottiere französische Produkte, damit Frankreich eine Lehre für alle ist, die denken, den Propheten zu beleidigen » [beliebter Kommentar unter Macron-Interview bei Al Jazeera Arabisch]

Es geht um etwas anderes : Sie richten sich an Menschen in den jeweiligen mehrheitlich muslimischen Ländern, an die politischen Gegner. Es ist eine Machtdemonstration an Liberale. An Religionskritiker oder jene, die Islamisten für sie halten. An Säkulare und religiöse Reformer. Und in der Folge auch an religiöse Minderheiten, an Feministinnen, an LGBTs.

Um jeden Preis bestraft werden

Es soll klar sagen : Wer den Islam kritisiert, lächerlich macht oder dessen Machthaber herausfordert, muss um jeden Preis bestraft werden. Die Demonstrationen sollen diesen Willen zur Gewalt zeigen und klarmachen, anhand eines fernen, imaginierten Feindes, der in Orwellscher Manier beschworen wird. Frankreich ist nichts weiter als ein Symbol an die Opposition : « Wenn ihr das macht, was Frankreich [angeblich] tut, seid ihr tot ! »

 

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(Zehn Demonstranten in Tripoli, Bild: Ruptly)

 

Ein gutes Beispiel ist Bangladesch. Dieselben Islamisten, die die jetzigen Demonstrationen gegen Frankreich organisiert haben, sind auch die, die zur Ermordung zahlreicher säkularer bengalischer Blogger beitrugen, aufriefen oder selbst zur Machete griffen. Mobs aus diesen Kreisen töten im Land regelmäßig Menschen aufgrund von Gerüchten über angebliche Blasphemie, innerhalb von 7 Jahren sind mindestens 600 Lynchmobs dokumentiert, viele davon aufgrund von Gerüchten über religiöse « Vergehen ».

Dieselben Islamisten, die im Iran zu den Demonstrationen aufrufen und indirekt mit « Gewalt und Blutvergießen » drohen, bestrafen und bedrohen Kritiker des Mullah-Regimes mit der Todesstrafe. Es führt seit vielen Jahren weltweit die Liste in Bezug auf die Anwendung der Todesstrafe an, für Vergehen wie « Apostasie », Drogendelikte, Untreue, Homosexualität, Blasphemie oder « Rebellion » bzw. « Verbreitung von Verderbtheit ». Dabei orientiert sich diese Liste an der islamischen Shari’a.

Dieselbe saudische Regierung, die die Karikaturen verurteilte, stellt Blasphemie und Apostasie in gleichem Maße unter Strafe und dieselben islamistischen Aktivisten, die ihre Moscheebesucher gezielt aufhetzten, wollen die starke Macht der Islamisten im Staatsapparat unbedingt verteidigen. Dieselben Islamisten wollen ein Signal an die Liberalen Pakistans senden, ja nicht das Blasphemiegesetz Pakistans oder die extrem starke Stellung der Kleriker in Pakistan oder der Sharia in Frage zu stellen. Die allermeisten Verurteilungen wegen Blasphemie erfolgen gegen Schiiten, Ahmadis, Christen und andere religiöse Minderheiten, oftmals veranlasst von genau jenen Extremisten.

Wenig Aufregung

Die Karikaturen scheinen abseits der extremistischen Kreise niemanden extrem aufzuregen. Manche andere tun es nur, weil die Islamisten die Lüge verbreiten, der französische Staat habe die Karikaturen selbst in Auftrag gegeben oder sie öffentlich projiziert. Jeder, der die zahlreichen Macron-Karikaturen und die beißende Regierungskritik von Charlie Hebdo gesehen hat, wird über diese Aussage nur lachen können. Was stimmt : Zwei Städte der Region Occitanien hatten als Reaktion auf den Mord an den Lehrer Karikaturen von Charlie Hebdo projizieren lassen. Der Witz dabei : Das verantwortliche Regionalparlament besitzt nicht einen einzigen Abgeordneten der Partei des Präsidenten. Diese Lüge fällt auch nur deshalb auf fruchtbaren Boden, weil viele Muslime in diktatorischen Staaten leben, in dem es keine Trennung zwischen Staat und öffentlicher Meinung gibt, gerade in den arabischen Staaten.

In der Türkei  demonstrierte trotz massiver Mobilisierung des türkischen Präsidenten fast niemand gegen die Karikaturen

Doch anders als früher fruchten die Aufrufe bislang nicht besonders, trotz massiver Schützenhilfe durch zahlreiche Diktaturen, die Religionskritik als Gefahr ihrer religiös begründeter Regime betrachten. In manchen Ländern wie Libyen kamen kaum 50 Menschen zum kollektiven Flaggenverbrennen zusammen, in derselben Stadt, wo Monate zuvor Zehntausende Demonstranten die Regierung zum Rücktritt gezwungen hatten. Und das, obwohl der einflussreiche spirituelle Anführer der lokalen Muslimbruderschaft Sadiq al-Ghariani dazu aufgerufen hatte.

In anderen Ländern sind die Islamisten besser organisiert. Im kriegsversehrten Mali sollen an die 40.000 Demonstranten mobilisiert worden sein, in Pakistan und Bangladesch kamen Zehntausende zusammen, was für die Zahl der Einwohner (160 Millionen, 220 Millionen) jedoch ausgesprochen wenig ist. Nahezu alle der Demonstranten waren Anhänger der dortigen radikalislamistischen Parteien.

Alte Bekannte

In der Türkei wiederum demonstrierte trotz massiver Mobilisierung des türkischen Präsidenten fast niemand gegen die Karikaturen, auch im Westjordanland kamen lediglich vereinzelt Hunderte zusammen, obwohl auch hier Freitagspredigten massiv dazu aufgerufen hatten. Es marschierten bloß die üblichen Verdächtigen auf, die seit Jahrzehnten eine angebliche Judaisierung der al-Aqsa-Moschee aufhalten wollen. Im Gazastreifen waren zwar Tausende angetreten, doch nur, weil das Hamasregime unermüdlich in allen Moscheen dazu aufgerufen hatte. Viele der Demonstranten dort dürften kaum besonders motiviert gewesen sein.

Auch alte Bekannte stimmten in die Drohgebärden ein. Der vor einigen Jahren von der Regierung in Afghanistan « begnadigte » islamistische Warlord Gulbuddin Hekmatyar drohte einen dritten Weltkrieg an, was jedoch angesichts seiner seit vielen Jahren immer unwichtigeren politischen Stellung absurd erscheint. Auch in anderen Teilen Afghanistans kamen lediglich einige Tausend zusammen, hier ebenfalls die üblichen Verdächtigen.

Wenn PEGIDA « im Namen des Volkes » demonstriert, Moscheen anzündet, demokratische Politiker auf schwarze Listen setzt oder bewaffnete Umstürze plant, gehen wir aus guten Gründen nicht darauf ein. Dasselbe sollten wir für den äußersten rechten Rand der muslimischen Welt tun, der vor allem ein Signal des Terrors an den liberalen politischen Gegner senden wollen.

Warum Frankreich?

 

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(Freie Presse, Bild: Imago)

 

Diese Liberalen brauchen noch mehr unsere Unterstützung als Frankreich, das schon Schlimmeres erlebt hat. Dabei sollte nicht in Vergessenheit geraten, warum ausgerechnet Frankreich immer wieder die Zielscheibe der Islamisten ist. Wohl auch deshalb: Weil es eines der ganz wenigen Länder in der Welt ist, die keinen Blasphemie-Paragraphen haben, und das sogar seit fast 140 Jahren(!). Dementsprechend frei und mutig ist die Presse in Bezug auf Religionskritik, freier und mutiger als womöglich irgendwo sonst in der Welt. Charlie Hebdo wäre unmöglich in Deutschland, Spanien, Polen, Großbritannien, Österreich, das gibt es nur in Frankreich. In den anderen Ländern sind selbst die mutigsten Satiriker sehr vorsichtig, weil sie wissen, dass der Staat nicht auf ihrer Seite steht und sie im Zweifel mit Klagen und Repressionen überzieht. Die Wirtschaft ist auch nicht willens, für diese Freiheiten Risiken einzugehen, Freiheit ist schlecht fürs Geschäft mit diktatorischen und konservativen Ländern.

Das ist eine Errungenschaft, die man zum Vorbild nehmen muss. Es war die französische Revolution, die maßgeblich zur Abschaffung der Privilegien der Kirchen führte und damit in ganz Europa eine Vorbildfunktion innehatte, zumindest in dieser Frage. Diese Errungenschaft kommt mit einem Preis: Der Preis der Sicherheit und der Wirtschaft.

Viele uninformierte Konservative boykottieren französische Produkte, Islamisten ermorden französische Bürger oder stürmen französische Konsulate oder "haben Verständnis", versuchen Blasphemie wieder zur Straftat zu machen.

Es gilt, Frankreich in diesem Kulturkampf und Konflikt zu unterstützen, denn das Land steht für Freiheiten ein, die wir selbst in vielen europäischen Ländern nicht haben. Es darf hier nicht allein stehen und Opfer dieser Angriffe werden, die repräsentativ für ALLE unsere Freiheiten gelten.