Lahme Literaten, Folge 20

Literatur aus Langeweile

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Wenn jemand ihr die Geldbörse geklaut hat, schreibt sie darüber, dass jemand ihr die Geldbörse geklaut hat (»Vielleicht ist mit dem Portemonnaie einfach alles Wichtige aus meinem Leben gestohlen worden«). Wenn ihr der Laptop geklaut wird, schreibt sie darüber, dass ihr der Laptop geklaut wurde (»Um zu spüren, dass auch eine abgesicherte Existenz plötzlich Risse bekommt, reicht schon ein gewöhnlicher Diebstahl«). Wenn Wahlen sind, wählt sie FDP und schreibt darüber, dass sie FDP wählt (»Modernität, ­Sicherheit und Nachhaltigkeit bilden den geeigneten Rahmen für eine funktionierende Gesellschaft«). Und sogar, wenn sie in den Iran fährt oder einen Sexshop besucht, schreibt sie darüber, dass sie im Iran war (»Auf der Straße trägt man Kopftuch und hält sich einigermaßen an die Regeln«) oder einen Sexshop besucht hat (»Was ich gesehen habe, schien mir eine eklatante Entzauberung von Sexualität darzustellen«).

Ihre verstreute Langeweile verdichtet Bossong in Romanen, die »Gegend« oder »Gesellschaft mit beschränkter Haftung« heißen, und Lyrik, die sie für Zeit online nachdenklich nuschelnd in Parks und auf Brücken vorträgt. Ihre Verse »sitzen« laut Gutachten der Zeit »wie angegossen«: »Wir blieben allein unter uns,/mit dem maßlosen Blick hinauf,/der uns die Sterne setzt und Asteroiden/und was die Sterne sind und Asteroiden,/und mit welchem Wort wir sie herunterholen.« Ob das noch falsche Grammatik ist oder schon richtige Kunst, kann keiner beantworten, weshalb sich auch keiner jemals über Nora Bossong aufregen oder freuen wird. Hoffentlich bleibt sie wenigstens den ­Un­bekannten, die sie regelmäßig bestehlen, in angenehmer Erinnerung.