Brandstiftung im Sommerloch

Nach dem Feuer in einem hauptsächlich von Ausländern bewohnten Haus fragte keiner nach den Opfern

"Gestern nacht wurden bei einem Feuer in einem Essener Flüchtlingswohnheim mehrere Dutzend Personen verletzt, davon einige schwer. Die Ermittler nehmen Brandstiftung als gegeben an. Eine Polizeisprecher betonte jedoch, daß keinerlei Anzeichen für einen fremdenfeindlichen Hintergrund vorliegen." So lautete die Nachricht am frühen Morgen des 14. Juli. Wenig später gab es die erste feine Korrektur. Keine Asylbewerber-Unterkunft sei in Brand geraten, sondern lediglich ein von Ausländern bewohntes Haus. Um 9 Uhr vermeldete die Polizei: "21 Personen kamen vorsorglich ins Krankenhaus. Nach den ersten Feststellungen brannten vermutlich im Treppenabgang im Zweiten Obergeschoß zwei Sofas. Die Ursache ist nicht bekannt." Danach verschwand die Meldung aus den Hauptnachrichten. In Radio- und Fernsehmagazinen verlagerte sich der Schwerpunkt der Geschichte auffällig: Betont wurde jetzt, daß in dem betroffenen Gebäude mehr Personen lebten als offiziell gemeldet. Angeblich mindestens die doppelte Anzahl, darunter auch einige Deutsche.

Am Morgen nach dem Brand in der Essener Innenstadt: Wegen Einsturzgefahr und Ermittlungen ist die Eingangstür des ausgebrannten Hauses verschlossen und versiegelt. Was in polizeilichen Mitteilungen "viergeschossiges Appartementhaus" genannt wurde, ist in Wirklichkeit ein häßlicher grauer Klotz. Nebenan eine aufgegebene Tankstelle und ein Waschsalon, gegenüber eine Peep-Show. An der Klingeltafel finden sich etwa gleich viele deutsche und ausländische Namen.

In einiger Distanz zu den Fernseh- und Radioteams, die nach verkäuflichem Material suchen, steht eine Gruppe von Schwarzafrikanern. Doch niemand davon will selbst in dem Haus gewohnt oder auch nur in der Brandnacht dort geschlafen haben. Zu erfahren ist lediglich, daß sie von einem Brandanschlag ausgehen. Die Frage, in welche Richtung ihre Vermutungen gehen, wird mit einem Schulterzucken beantwortet: "Nazis waren es bestimmt nicht." Ob diese Behauptung aus Überzeugung ausgesprochen wird, aus Höflichkeit gegenüber der deutschen Gesprächspartnerin oder nur, weil man sie möglichst schnell abwimmeln will, ist schwer zu beurteilen. Zumal sich die Aufforderung anschließt, doch besser mit zwei Männern zu sprechen, die einige Meter weiter stehen.

Beide entsprechen der Kategorie "Penner" und befanden sich zum Zeitpunkt des Brandes im Haus. Der eine "auf Besuch", wie er sagt, und "mit heftig was intus". Weshalb er sich auch nur daran erinnern könne, die Tür zum Flur aufgemacht zu haben, meterhohe Flammen und eine schreiende Frau gesehen zu haben, die er sich dann geschnappt und durch das Feuer die Treppe hinunter ins Freie getragen habe. "Danach bin ich selbst umgekippt", erklärt er. Wohingegen sein Kumpel nicht müde wird zu erklären, er sei "richtiger Mieter" eines der 32 Quadratmeter großen "Appartements" in dem Gebäudekomplex gewesen. Rund 650 Mark hat er nach eigenen Angaben dafür bezahlt. "Bar auf die Hand und pünktlich. Für mich und meine Tiere." Ob er von Kakerlaken rede, witzelt ein vorbeikommender Bekannter mit der Bierflasche in der Hand. Doch der Mann meint seine Wohnung, in die er, wie alle anderen Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses, nun auf unbestimmte Zeit nicht mehr hineinkommt. Und in seinem speziellen Fall bedeutet das, daß eine unbekannte Zahl von Hunden, Katzen und Ratten nun bis auf weiteres unversorgt bleibt.

Entsprechend sauer ist er auf die Polizisten und Feuerwehrleute, die ihm den Zutritt zum Haus verwehren. Obschon er eine gewisse Hochachtung nicht leugnen kann, denn: "Noch keine Stunde haben die gebraucht, um ein Schloß in die Haustüre einzubauen. Wo die früher immer offengestanden hat, und der Hausmeister das nicht hingekriegt hat. Aber der wohnt ja auch in Belgien und kümmert sich um nix." Ein paar Männer aus der Obdachlosen-Szene stimmen ihm zu und unterstützen die Idee, demnächst die Miete zu kürzen. Daß sie wohl kaum weiter in dem schwer beschädigten Brandhaus wohnen werden, das wohl entweder abgerissen oder nach einer Totalsanierung an einen anderen Personenkreis vermietet werden wird, scheint keinem in der Runde klar zu sein. Und nur am Rande wird erwähnt, daß sich eine gewisse Frau Neumann, Besitzerin des Gebäudes, an dem Objekt schon immer gut verdient hat. "Früher kam die Miete vom Sozialamt. Jetzt ist die versichert. So isses mit der Knete. Wechselt von der rechten Hand in die linke."

Lang und breit erörtert werden dagegen die Kletterkünste der "Neger", die "wie die Affen" aus den Fenstern des brennenden Hauses gekraxelt seien, um sich auf einem benachbarten Flachdach in Sicherheit zu bringen. Man diskutiert, warum eine Frau dabei wohl abgestürzt ist, und ob es notwendig war, daß eine andere aus dem zweiten Stock auf einen im Hinterhof geparkten Laster sprang. Langsam wird deutlich, wie die Polizeiangaben zu interpretieren sind, denen zufolge sechzehn Frauen, vier Kinder und ein Baby einer "vorsorglichen" Untersuchung unterzogen wurden. Und es fällt auf, daß jene Frau, von der es offiziell hieß, sie habe "leichte Verletzungen" erlitten, immerhin schwanger war und sich neben Knochenbrüchen mehrere Schädelprellungen zuzog.

Was bleibt, ist die Frage nach jenen, die nicht im Krankenhaus liegen und - anders als ihre Mitbewohner mit deutschem Paß, die in der Mehrzahl bei Bekannten, in Autos oder sonstwo campieren - so leicht keine Übernachtungsmöglichkeit finden konnten. Behördlichen Angaben zufolge wurden sie "in einem benachbarten Hotel" untergebracht. Außer Stundenabsteigen findet sich aber in der näheren Umgebung des Brandhauses nichts, was einem Hotel ähnelt. Bis dann endlich ein kleiner Zettel das Rätsel löst, handgeschrieben und vergleichbar mit der Rechnung einer Alternativkneipe. Aus der Tasche gekramt wird er von einem Mann, dessen Schlaf wir im Waschsalon unterbrechen. Doch da wir von unseren bisherigen Bekannten weitergereicht wurden, zeigt er ihn stolz vor. Und darauf steht: Hotel Ibis.

Die Crew von RTL ist schon da, schaut aber frustriert aus der Wäsche, weil sich der Hotelmanager weigert, Presse, Funk und Fernsehen einzulassen. Menschlich gedacht, finden wir. "Ach was," sprechen die erfahrenen Vertreter des Kommerzsenders, "der denkt doch nur an das Image von seinem Laden und an den Schaden, den er davontragen kann, wenn publik wird, wen er unter dem Dach hat."