Junk ist eine Lebensweise

Der amerikanische Schriftsteller William S. Burroughs ist tot

Das Bild des William S. Burroughs: zerknitterter Hemdkragen, karierter Anzug, der seltsame Hut und zwischendrin das furchige Gesicht. Sein fragend-gefährlicher Blick sagt: Hau ab! Selbst Charles Bukowski beklagte sich, als er mit Burroughs mal eine gemeinsame Lesung hatte, der habe nicht mit ihm reden wollen.

Burroughs hatte Grund zum Einzelkämpfertum: In seiner Kindheit vertrieb er sich die Zeit mit allerlei Schabernack. Zum Beispiel mit Einbrüchen, bei denen meist nichts geklaut wurde, "denn ich hatte ja Geld". Einmal wurde er erwischt. "Mein Freund setzte sich sofort von mir ab, um nicht bei Ýden anderenÜ in Verruf zu geraten. Ich sah, daß es mit Ýden anderenÜ keine Kompromisse geben konnte und fand mich nun immer mehr isoliert."

Der US-amerikanische Schriftsteller ist vergangenen Samstag im Alter von 83 Jahren in Lawrence im US-Bundesstaat Kansas an einem Herzinfarkt gestorben.

Möchte man ihm selbst glauben, ist das nichts Besonderes. Sondern in seinem Fall ein um die 53 Jahre währender Prozeß. Denn, "wer nicht mehr wächst, hat schon angefangen zu sterben".

Das 68er-Motto "Trau keinem über 30" - vor allem dir selber nicht - hat er also früh variiert. Burroughs war der Sprößling einer der reichsten Familien der USA, sein Vater besaß eine Holzhandlung. Schule, Literaturstudium auf einer guten Universität - die Karriere war gewiß. Doch hatte er als Kind immer unter schrecklichen Angstträumen gelitten. Die Bemerkung eines Kindermädchens über gesteuerte Hilfen von außen in Sachen bessere Nachterlebnisse hatte ihm einen Ausweg aufgezeigt. Und die eigene Berufsplanung: "Wenn ich groß bin, rauche ich Opium."

Von Familie Burroughs bekam William wöchentlich 150 Dollar ausgezahlt. Damit kam er über die Wirtschaftskrise und an den lebenswichtigen Stoff, den er am liebsten in der Granulatform Heroin ("Junk") einnahm. Das wiederum veranlaßte ihn zu verschiedenen Briefwechseln, dem klassischen Übungsfeld für die literarische Arbeit. Zu den wichtigsten Werken gehören "Junkie" (1953), "Naked Lunch" (1959) und natürlich "Nova Express" (1964) - Dokumente einer Ära der US-Literatur, die den Schizophrenen nicht zum revolutionären Subjekt erklärten, sondern zur gesellschaftlichen Realität. Eine Chiffre: Es wimmelt von Reflexionen über Ei, Blut, Kakao, Orgasmen, Attacken lesbischer Jiu-Jitsu-Kämpferinnen und anderer Jungen-Phantasmagorien - mußte eben alles mal gesagt werden. Und weil man sich selbst als gefügiges Studienobjekt hatte, war das zudem billig. Junk tat da gute Dienste, man existierte quasi wie eine Pflanze den ganzen Tag in einem schmuddeligen Zimmer. Zum Widerstandskämpfer wurde Burroughs da von allein. Die Drogengesetze der USA waren zu jener Zeit so repressiv, daß die Polizei nichts anderes zu tun hatte, als Abhängige zu drangsalieren.

"Junk ist eine Lebensweise", schrieb Burroughs über den Kapitalismus. Berühmtheit sollte folgen. Eine 100 000er Erstauflage von "Junkie" - den Vertrag hatte Dichterfreund Allen Ginsberg besorgt - erschütterte das Publikum zu einer Zeit, als Rockstars noch Bücher schreiben mußten. Die drogeninspirierte Schreibwerkstatt brachte die Cut-up-Technik hervor, bei der sich Party-Quatsch, psychologische und literarische Brocken über die Seiten jagen - "Die nackte Entladung kann Sex-Worte explodieren lassen zu einer Farbensprache bis hinunter zum rektalen Braun-Grün deines Arschs" ("Nova Express"). Was wird man damit? Die Feuilletons kommen in solchen Fällen sicher nicht um die peinlich-hilflose Formel "renommierter Schriftsteller" herum.

Auf der Suche nach Ikonen durchwühlten die Avantgarden der Achtziger, wenn sie ihre mindestens 60 Gitarren nicht gerade verstimmten, auch die Büchertische. Burroughs wurde von der Rockband Sonic Youth ausführlich gewürdigt, es gab die eine und andere Tribute-CD aus der New Yorker Szene. David Cronenberg verfilmte "Naked Lunch". Burroughs' eigene Platten gehören zu den lustigsten miesepetrigen Platten aller Seventy-somethings. Man kann nicht sagen, er habe seine Werke vorgelesen, das träfe wohl nicht zu. Sein Vortragsstil war eher ein brillanter, eigentümlicher Singsang.

Ginsberg: "Burroughs hat nicht nur Metaphern geschaffen, sondern lebendige Generationen mit einem eigenen Willen." Das ist vielleicht etwas übertrieben. Aber insofern bin ich nicht gestorben, sondern in einen anderen Zustand geschrumpft, würde Burroughs wohl selbst sagen. Eingekapselt in einen Blumentopf wartet er wahrscheinlich auf den nächsten Plattenvertrag.