Sieger-Theologie

Im sogenannten Politbüro-Prozeß herrschen ziemlich klare Verhältnisse.
Der Vertreter der Anklage ist der Ansicht, die DDR sei kein Staat gewesen und habe deshalb auch nicht darüber entscheiden dürfen, wie sie ihre Grenzen sicherte.

Indem er jetzt drei Mitglieder des Politbüros belangen will, die in dieser Angelegenheit keine Funktionen hatten, vernachlässigt er zwar sein juristisches Handwerkszeug, aber er wird übergeordneten Machtgesichtspunkten in einsehbarer Weise gerecht. So ist das nun mal mit der Politischen Justiz.

Egon Krenz bringt in erfreulich souveräner Weise all das vor, was sich aus seiner Sicht gegen das Vorgehen des Staatsanwaltes sagen läßt. Damit vertritt er die historische Legitimität der untergegangenen DDR so korrekt, daß man ihm einige Peinlichkeiten der Vergangenheit jetzt wohl nachsehen sollte.

Da Schabowski und leider jetzt auch Kleiber von allem nichts gewußt haben wollen, ist hier nichts weiter über sie zu sagen. Vergessen wir sie. Denken wir aber kurz vorher noch daran, daß auch sie - unabhängig von ihrem jetzigen Verhalten - Objekt westdeutscher Siegerjustiz sind.

Von einer weiteren Figur muß allerdings etwas ausführlicher die Rede sein. Wo klare Verhältnisse herrschen, grämen sich diejenigen, deren Gewerbe darin besteht, im Trüben zu fischen.

Als ihr Vormann tritt diesmal der Freiheitspastor Friedrich Schorlemmer auf. Im Freitag machte er sich scheinbar zum Fürsprech der Angeklagen, indem er riet: "Laßt sie laufen, zur Bewährung. Sie sind gestraft genug."

Was wollen Herr Pfarrer uns damit predigen?

Schorlemmer geht davon aus, daß Kleiber, Krenz und Schabowski zu Gefängnis verurteilt werden müssen. Denn Bewährung kann erst eingeräumt werden, wenn vorher eine Schuld festgestellt und eine Strafe verhängt worden ist. Schorlemmer macht sich also - wie bereits einst sein Vorgänger Luther im Bauerkrieg - die Position der siegreichen Staatsgewalt zu eigen.

Da Justiz und Exekutive bei solch rein weltlichem Vorgehen natürlich ohne Geistlichkeit auskommen, diese aber bei ohnehin rückläufigem Kirchenbesuch im Stil bleiben will, führt Schorlemmer schnell noch ein anderes Stück auf. Nach dem Schuldspruch sollen die Angeklagten auf Bewährung freigelassen werden. Sie seien nicht einzusperren, sondern "nur" zu demütigen.

Dies alles wird vorgetragen in einer hämischen Suada, die aber nur eine ältere Beobachtung bestätigt, nämlich: Wer von den Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern des Jahres 1989 sich wann und wozu auch immer öffentlich zu Wort meldet - es geht nie ohne die Peinlichkeit derer ab, welche über ihre Verzichtbarkeit einfach nicht hinwegkommen.

"Zieht ein Gewitter auf, fliegen die Pfaffen tief." Mit diesem Satz wird Hermann L. Gremliza unsterblich bleiben, solange es eine deutsche Sprache gibt. Allerdings ist die Sentenz nur politisch richtig, nicht aber meteorologisch und ornithologisch. Die Aufdringlichkeit und subkutane Niedertracht dieser Spezies ist wetterunabhängig. Karl Barth sagte einst hierzu: "Der deutsche Pfaffe ist nicht tot." Weiß Gott.