Le Pens neue Kleider

Auf der 13. Sommeruniversität in Orange präsentieren die französischen Rechtsextremen ihre neue Kreationen.

In der letzten Augustwoche gehört das südfranzösische Orange dem Front National (FN). Die Stadt, seit 1995 von einem neofaschistischen Bürgermeister regiert, wird zum Tagungsort der 13. Sommeruniversität der französischen Rechtsextremisten. Dienten die alljährlichen Treffen der politisch divergierenden "Familien" des FN bisher eher dazu, die Parteiflügel, die die Partei lieber als ihre unterschiedlichen "Sensibilitäten" bezeichnet, - von Monarchisten über katholische Fundamentalisten bis hin zu Neonazis -, ideologisch zu befrieden, zeichnen sich in diesem Jahr Konflikte ab, die die Machtverhältnisse wohl eher zu Lasten der Altrechten verschieben. Schon mit dem Motto der Sommeruniversität, "Für Frankreich - Der regionale Kampf", signalisiert die der Front National seine ideologischen Modernisierung. Sie geht einher mit einer deutlichen Verschiebung der innerparteilichen Kräfteverhältnisse, und zwar zugunsten der aus der Nouvelle Droite (Neuen Rechten) kommenden Kräfte.

Historisch ist die Partei dem französischen Nationalstaat politisch und emotional eng verbunden, da er als Hauptlieferant der notwendigen "Identität" gilt. Die Herausbildung der supranationalen europäischen Ebene nach 1945 einerseits und die zunehmende Stärkung von unterhalb der Staatsebene gelegenen Einheiten wie den Regionen andererseits wird in diesem Raster als Teil eines antinationalen "Komplotts" wahrgenommen.

So titelte der National Hebdo, die Wochenzeitung der Partei, am 21. März 1996 zum zehnjährigen Bestehen der 1986 eingeführten französischen Regionalparlamente: "Le Pen: Region =

Parasit". Und im Mai 1997 warnte Jean-Marie Le Pen im Parlamentswahlkampf, Maastricht und der europäische Einigungsprozeß führten zur "Verwirklichung eines alten Traums Adolf Hitlers von einem in Ländern (im Original deutsch) organisierten Europa". Der antideutsche Unterton daran ist pure Demagogie, da Le Pen (meist) positiv zur Tradition der Kollaboration mit Nazideutschland steht. Die Absicht aber ist klar: eine Mobilisierung zum Schutze des von Souveränitätsverlust bedrohten Nationalstaates. Das Ziel der Angriffe ist freilich weniger Deutschland als vielmehr Nordamerika, da "die Vereinigten Staaten von Europa dasselbe (bedeuten) wie die Vereinigten Staaten in Europa". Der Mondialismus als "Komplott", dem die Abschaffung nationalstaatlicher Grenzen und die Öffnung für einen "vaterlandslosen Kapitalismus" dienten, sei von den USA gesteuert.

Anders hingegen die Nouvelle Droite, die auf eine radikale Umformulierung und Neubegründung des rechtsextremen Denkens (als Reaktion auf die Diskreditierung des historischen Faschismus) abzielt. Sie sieht sich keineswegs an den Rahmen des klassischen Nationalstaats gebunden und mißt einer angenommenen "ethnischen" Basis weit größere Bedeutung zu als der nationalstaatlichen Form von Politik. Entscheidend ist für sie eine festgefügte "Identität", die sich auch auf eine (ethnisch und historisch-sprachlich-kulturell definierte) Region beziehen kann. Eine solche, vom traditionellen Nationalstaat abgelöste Ausrichtung erlaubt der extremen Rechten in ihrem Verständnis optimalere Reaktionen auf die Entwicklungen der jüngeren Zeit, in der etwa durch das Armut-Reichtum-Gefälle neue "identitäre" Bewegungen entstanden sind wie die italienische Lega Nord.

Der österreichische Rechtsextremist Jörg Haider hat dies verstanden, als er 1994 gemeinsam mit Lega Nord-Chef Umberto Bossi für ein "Europa der Regionen" plädierte. Durch einen regionalistisch-identitären Bezug weiß die neue Rechte, sich in die politische Gegenwart einzuordnen, die bestimmt ist durch die Konkurrenz von Region, Nationalstaat und europäischer Ebene. Gleichzeitig aber erlaubt es ihr auch eine Anknüpfung an jenen ersten Versuch einer (ethnisch begründeten) "europäischen Neuordnung" unter deutscher Vorherrschaft. Der ehemalige französische Waffen-SS-Mann Marc Augier, besser bekannt unter dem Namen Saint-Loup ("Heiliger Wolf"), schrieb im Jahr 1976 in der rechtsextremen Zeitschrift, Défense de l'Occident, über jenen ersten (gewaltsamen) europäischen Einigungsversuch: "Es war ein rassisch begründetes und entnationalisiertes Europa. Ich betrachte es als absolut für heute tauglich, denn heute wie damals wohnen die Bretonen nicht in Nizza, sind die Basken keine Andalusier, die Bayern keine Preußen, die Korsen keine Bewohner der Normandie und die Piemontesen keine Sizilianer. Wir sagten: Jeder bleibt bei sich, und das Vieh ist gut bewacht ... durch die SS natürlich, denn die Masse ist unfähig, sich selbst zu verwalten."

Die Restituierung der französischen Regionen war auch in den französischen faschistischen Bewegungen der dreißiger Jahre ein zentraler Programmpunkt. Gegen die als künstlich angesehene jakobinischen Staatstradition setzten die Rechten die "Wiederverwurzelung" der Nation in einer "gewachsenen Kultur" und forderten etwa die Wiedergründung der Provinzen der alten Monarchie, die 1789 durch die Departements ersetzt worden waren. Vor der französischen Niederlage gegen Deutschland führte dies jedoch nicht dazu, den französischen Nationalstaat selbst in Frage zu stellen. Ähnlich hat auch der Front National stets die Folklore der Regionen betrieben. Erst die Nouvelle Droite, die in den siebziger Jahren als Abgrenzung zur rückwärtsgewandten "Alten Rechten" (zu welcher der 1972 gegründete FN zählte) entstand, ging einen Schritt weiter und begann, die traditionelle Form des Nationalstaats zu problematisieren. Nicht alle gingen so weit wie Jean Mabire (neben Alain de Benoist einer der intellektuellen Begründer der Nouvelle Droite), der sich auch ein "Europa der Sans Drapeaus", der Fahnenlosen, vorstellen konnte.

Die Nouvelle Droite spaltete sich Mitte der siebziger Jahre: Während die Gruppe GRECE (Gruppe für Studien und Forschungen über die europäische Zivilisation) weiterhin eine direkte Einmischung in die Politik vermied und sich auf den ideologischen Diskurs beschränkte, entschied sich der "Club de l'Horloge" für den aktiven Entrismus. Ziel waren die großen konservativen Parteien - der FN als rechtsextreme Massenpartei stand damals noch nicht zur Verfügung. Die Kader der Nouvelle Droite brachten es weit: Yvan Blot und Bruno Mégret stiegen bis ins Zentralkomitee des neogaullistischen RPR auf, Jean-Yves Le Gallou in die Spitze des Parti Republicain (PR), der die größte Gruppe des liberal-konservativen Parteienbündnisses UDF bildete.

Mitte der achtziger Jahre jedoch wechselten diese Kader zu der neuen Partei, die auf der Rechten herangewachsen war. Bruno Mégret ist heute als Partei-Vize faktisch Chefideologe des Front National, Jean-Yves Le Gallou Chef der FN-Fraktion im Regionalparlament von Paris, Yvan Blot Europa-Parlamentarier des FN und Partei-Chef im nördlichen Elsaß. Mégret, Le Gallou und Blot trugen die von der Nouvelle Droite neuformulierten Ideen in den FN.

Der frühere Le Monde-Journalist René Monzat, einer der besten Kenner der extremen Rechten, analysiert: "Während die verschiedenen ideologischen 'Familien' des FN miteinander ringen, bildet sich auch eine Synthese aus den verschiedenen Strömungen als gemeinsame programmatische Basis für den FN heraus. Charakterisiert ist sie durch den Anti-Liberalismus, denn alle 'Sensibilitäten' des FN bekämpfen den Liberalismus - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die Monarchisten, weil der Liberalismus 1789 den Umsturz gebracht hat. Die katholischen Fundamentalisten, weil sie an den Anti-Liberalismus der Päpste des 19. Jahrhunderts denken. Und die Nouvelle Droite, weil sie sich auf den Antiliberalismus der rechtsextremen Bewegungen der dreißiger Jahre beruft." Diese gemeinsame Basis, die auf einer hierarchischen und der "natürlichen Ordnung" entsprechenden Gesellschaftsordnung beruht, werde immer häufiger "von den aus der Nouvelle Droite kommenden Denkern formuliert, welche aus ihrer Zeit in den etablierten Rechtsparteien genügend Erfahrung mitbringen, ihre ideologischen Inhalte politisch wirksam zu formulieren und zu vermitteln".

Bestes Beispiel dafür ist die Idee der préférence nationale, der "nationalen Bevorzugung". Diese von der Nouvelle Droite erdachte Formulierung erlaubt es, die fremdenfeindlichen Ressentiments der extremen Rechten - gegen Ausländer, insbesondere gegen Araber - "positiv" zu formulieren, was sich dann so liest: "Für die Bevorzugung der eigenen Staatsbürger, wie es in allen Länder normal ist - oder welcher Staat würde eine Bevorzugung der Ausländer vornehmen?" Damit wird das Prinzip des Ausschlusses bestimmter Gruppen vom Arbeitsmarkt von der Ebene purer Ressentiments auf jene eines scheinbar positiven programmatischen Konzepts erhoben.

In den letzten Jahren ist das ideologische Gedankengut der Nouvelle Droite, auch wenn es zu klassischem rechtem und konservativem Denken in offenem Widerspruch stand, durch den FN immer schneller aufgenommen worden. Im Jahr 1994 veanstaltete die Gruppe GRECE ein Kolloquium zum Thema "Weder rechts noch links". Und nur sechs Monate später propagierte die von Le Pens Schwiegersohn Samuel Maréchal geführte FN-Jugendorganisation FNJ, die als sehr offen für die Ideen der Nouvelle Droite gilt, den Slogan "Weder rechts noch links, sondern Franzose". Dabei hatte die FNJ auf den Fundus des PPF (Parti Populaire Fran ç ais) zurückgegriffen, der 1936 gegründeten ersten faschistischen Massenpartei in Frankreich, deren Chef Jacques Doriot bis 1934 Spitzenfunktionär des kommunistischen PCF gewesen war. Auf der Sommeruniversität 1995 übernahm Le Pen diese Parole für die Gesamtpartei.

Noch deutlicher wurde die ideologische Beweglichkeit des FN, als im November/Dezember 1995 Millionen Franzosen gegen die von der Juppé-Regierung geplante Demontage des Sozialversicherungssystems demonstrierten. Le Pen und die FN-nahe Presse reagierten zunächst in gewohnt altrechter Manier, indem sie die Streiks als "Geiselnahme der Nation" und "anarcho-trotzkistische Subversion" denunzierten. Zur selben Zeit schrieb Alain de Benoist, Chefdenker der außerhalb des FN gebliebenen Nouvelle Droite, angesichts des bestehenden politischen Vakuums sei es es vordringliche Aufgabe, den sozialen Protest aufzugreifen und ihm eine rechte Bedeutung zu geben. Und nur sechs Wochen später gab Bruno Mégret Le Monde (13. Februar 1996) ein aufsehenerregendes Interview, worin er den sozialen Bewegungen den Front National als große Alternative anbot und von einer "vorrevolutionären Situation" sprach. Als Konsequenz vollzog der FN seine "soziale Wendung" durch die Gründung eigener (parteiabhängiger) Gewerkschaften, und am 1. Mai 1996 begrüßte Le Pen lauthals den "langen Kampf der Arbeiter" gegen den "vaterlandslosen Kapitalismus", der als "Komplott internationalistischer, namentlich freimaurerischer Kräfte" ausgemalt wurde.

Auch organisatorisch und personell wurde der in den siebziger Jahren entstandene Bruch zwischen den traditionalistischen Rechten und der Nouvelle Droite weitgehend gekittet. Denn nicht nur jene Fraktion der Nouvelle Droite, die sich seinerseits mit dem Club de l'Horloge für den Entrismus im konservativen Lager entschied, findet sich heute auf der Kaderebene des Front National, sondern auch viele Köpfe der Gruppe GRECE trifft man dort wieder. Verspottete der frühere GRECE-Sekretär Pierre Vial, Geschichtsprofessor in Lyon und "Indoeuropäer"-Spezialist, Le Pen noch in den achtziger Jahren als "Reaganopapist", als Bündnispartner des amerikanisch dominierten "Freien Westens" und der katholischen Kirche, so ist er heute selbst einer der Ideologen des FN und füllt jede Woche seine historische Rubrik im National Hebdo. Vial hat sich dabei nicht geändert. Die nationalrevolutionäre neurechte Zeitschrift Réfléchir et Agir (Nr.2, Frühjahr 1997) bezeichnete ihn als "Vorbild eine europäischen Revolutionärs", während sie in ihrer Nullnummer (Frühjahr 1996) Le Pen kritisierte, weil dieser 1958 (!) in einer Parlamentsrede die algerische Jugend "als Speerspitze der französischen Jugend" bezeichnet hatte: "Das Recht des Bodens gegen das Recht des Blutes", stellte die Zeitschrift fest, "hier liegen unsere Differenzen zu Le Pen."

Der größte Sieg der Nouvelle Droite jedoch ist der vom FN vollzogene Abschied von der traditionellen prowestlichen und prokolonialen Position, die sich bereits in der Kuwait-Krise 1990 mit der klaren Parteinahme für den Irak unter Saddam Hussein (den Le Pen seitdem mehrfach besuchte) und gegen die USA vollzog. Der FN sieht die Grenze nicht mehr zwischen dem Westen und dem Kommunismus verlaufen, sondern zwischen (US-geführtem) Mondialismus und "vaterlandslosem Kapitalismus" einerseits und den identitären nationalistischen Kräften andererseits. So werden in der FN-Theoriezeitschrift Identité, geleitet von dem mit Bruno Mégret aus der Nouvelle Droite gewechselten Jean-Claude Bardet, die muslimischen fundamentalistischen Bewegungen als wesensverwandter "Ausdruck des Identitätsstrebens" begrüßt. Und Le Pen hat, rechtzeitig vor der Sommeruniversität, am 18.August den türkischen Islamisten-Chef Necmettin Erbakan zu Gesprächen getroffen und eine Zusammenarbeit von Front National und Erbakans Wohlfahrtspartei vereinbart.

Hat die Nouvelle Droite den gesamten Front National nach dem Ende der Blockkonfrontation in den Antiamerikanismus mitziehen können, so steht bei der Frage der europäischen und der regionalen "Identität" diese Erneuerung der ideologischen Grundlagen noch bevor. Dabei sind den Modernisierern einige Durchbrüche gelungen. Wenn etwa der von Yvan Blot geführte FN im nördlichen Elsaß eine "regionale Charta der elsässischen Freiheiten" angenommen hat, worin ausdrücklich von der "doppelten französischen und rheinischen Identität des Elsaß" die Rede ist, so ist das ein Schlag ins Gesicht des traditionellen französischen Nationalismus Die Mehrheit des FN wird jedenfalls nicht so leicht von ihrem jakobinisch geprägten Staatsverständnis lassen.