Häuserkampf auf preußisch

Häuserkampf auf preußisch: Wer sich nicht kasernieren läßt, wird geräumt

Während in Berlin die Bewohner der letzten besetzten Häuser um deren Bestand bangen, dürfen sich nun auch in der kleinen Schwester der Metropole, in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam, die Strategen der Inneren Sicherheit und der gesäuberten Innenstädte profilieren. Seit 1991 waren in Potsdam mehr als 30 Häuser besetzt worden. Nach polizeilichen Räumungen kam es in den vergangen Jahren immer wieder zu Protesten, zu Demonstrationen und Neubesetzungen. Im vorletzten Jahr akzeptierten die Bewohner einiger besetzter Häuser im Innenstadtbereich Verträge für ein ehemaliges Kasernengelände als Ausweichobjekt. Da sich jedoch nicht alle HausbesetzerInnen dem mal mehr, mal weniger subtilen Druck der Stadtverwaltung beugten, setzt die nun wieder auf eine polizeiliche Lösung "des Problems".

Nachdem schon am 1. Juli dieses Jahres das seit sechs Jahren besetzte Haus Dortustraße 5 im historischen Holländerviertel wegen angeblicher "Seuchengefahr" geräumt worden war, läutete Potsdams Polizei am 22. August eine neue Runde bei den innerstädtischen Räumungen ein. Das alljährliche Sommerkonzert, das an diesem Abend unter dem Motto "Ein Radio für die MRTA" stehen sollte, hatte wegen eines Verbots der Stadtverwaltung nicht wie in den Jahren zuvor auf dem Pfingstberg stattfinden können und war deswegen auf das Gelände des "Archiv" verlegt worden, des seit 1993 besetzten, letzten unabhängigen Kulturzentrums in der Innenstadt. Bis kurz vor Mitternacht verlief das Konzert, wie Augenzeugen berichteten, ruhig. Dann habe eine Gruppe von zehn Vermummten, die als Zivilpolizisten ausgemacht worden seien, zunächst drei Polizeifahrzeuge angegriffen; anschließend habe eine zweite Gruppe von Vermummten einen Bagger auf einem angrenzenden Grundstück in Brand gesetzt und damit einen Polizeieinsatz provoziert, der allerdings zunächst ohne Festnahmen und mit dem Rückzug der Einsatzkräfte endete.

Am darauffolgenden Tag, einem Samstag, räumte die Polizei ohne weitere Vorwarnung das "Archiv". Die HausbewohnerInnen durften unter Mitnahme einiger weniger Habseligkeiten abziehen; drei UnterstützerInnen wurden kurzfristig "in Gewahrsam" genommen. Während der folgenden Nacht wurden bei Protesten 26 Personen festgenommen, die erst 24 Stunden später wieder freigelassen wurden. Seitdem wird das Archiv-Gelände von starken Polizeikräften bewacht. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, hatte die Stadt Potsdam, der das Gelände gehört, die Räumung des "Archivs" schon vier Tage vorher geplant und offenbar nur noch auf einen medienwirksamen Vorwand gewartet. Konkrete Nutzungspläne für das Gelände gibt es nicht. Der Plan, hier den Neubau des brandenburgischen Landtages zu beginnen, wurde schon vor Monaten fallengelassen, ein angestrebter Verkauf des Geländes scheiterte mangels zahlungskräftiger Investoren.

Seit der Räumung des "Archivs" gleicht die Potsdamer Innenstadt einem Freiluftgehege für eingeborene und Berliner Polizeibeamte. Vor allem die Hauptstadt-Polizei fällt durch willkürliche Platzverweise gegen Personen mit "szenetypischem Outfit und Alter" auf. Am 25. August scheiterte ein Verhandlungstermin der geräumten Besetzer im Büro des Potsdamer Jugendbeigeordneten Jan Jacobs an dessen Verweigerungshaltung. Bei der anschließenden Besetzung von Jacobs' Büro "fielen einige Aktenordner, ein Strauß Blumen und Blumenwasser aus dem Fenster", berichteten AugenzeugInnen. Daraufhin griff die Polizei ein und nahm 36 TeilnehmerInnen der Aktion fest, die angeben, auf der Fahrt zum Polizeipräsidium von Polizeibeamten geschlagen und beschimpft worden zu sein. Der Versuch der Potsdamer Staatsanwaltschaft, alle Verhafteten in Schnellverfahren wegen Landfriedensbruchs aburteilen zu lassen, scheiterte an den zuständigen Richtern. Sie ordneten zwei Tage nach der Festnahme die Freilassung der mittlerweile auf mehrere Brandenburger Gefängnisse verteilten Gefangenen an.

Bei Potsdams HausbesetzerInnen stehen die Zeichen nun auf Sturm: Sie befürchten, daß die Räumung der letzten elf besetzten Häuser unmittelbar bevorsteht. Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel (SPD) läßt gegenüber der Berliner Tagespresse verlauten, die Potsdamer Polizei habe keine Schwierigkeiten, "alle Hausbesetzer rauszuwerfen". Die Hauseigentümer und die Stadt Potsdam fordert der Sozialdemokrat auf, die juristischen Voraussetzungen für weitere Räumungen zu schaffen.