Mullah-Pop und Predigten

Irans Regierung will eine kulturelle Liberalisierung - im Geiste des Koran

Sind Koran und Tanz vereinbar? Khomeini hätte diese Frage verneint. Mohadjerani, seit Ende August der neue iranische Minister für Kultur und islamische Führung, bejaht sie. Im Mai wurde der als liberal geltende Khatami mit mehr als zwei Dritteln der Stimmen zum Präsidenten gewählt, obwohl - oder gerade weil - sein Gegenkandidat Nateq-Nuri die geballte Macht der Medien, des Staatsapparates und rechter Schlägertrupps für sich einsetzen konnte. Für Khatami stimmten all jene, die es leid sind, ständig von puritanischen Mullahs gegängelt zu werden. Darunter waren viele, die die Islamische Republik grundsätzlich ablehnen und in Khatami lediglich das kleinere Übel sehen; andere erwarten von ihm Korrekturen an einem System, das sie unterstützen, aber für reformbedürftig halten.

Khatami ist ein Mann des Regimes, seine Liberalisierungspolitik - deren Grenzen dort verlaufen, wo die Dominanz des religiösen Weltbildes und die Staatsdoktrin in Frage gestellt wird - soll Ventile für die wachsende Unzufriedenheit schaffen. Ob das möglich ist oder die Gewährung kleiner Freiheiten nicht vielmehr den Appetit auf mehr weckt und eine für die iranische Elite unkontrollierbare Entwicklung in Gang setzt, ist der eine große Streitpunkt in der Debatte mit den sogenannten Konservativen.

Die zweite Differenz betrifft die Außen- und Wirtschaftspolitik. Beide Fraktionen vertreten innenpolitisch eine privatkapitalistische Politik. Während Khatami eine vorsichtige Öffnung zum Westen befürwortet, setzen die sogenannten Konservativen auf einen stärkeren regionalen Wirtschaftsaustausch. Über den islamistischen Internationalismus soll ein gemeinsamer Markt geschaffen und zugleich ein politischer Block gegen den Westen gebildet werden. Dieses Ziel teilt die Rechte mit den Linksislamisten, der dritten und schwächsten Strömung in der herrschenden Elite, die jedoch eine staatskapitalistische Orientierung vertritt und zur Zeit mit Khatami verbündet ist.

Hinter diesen Differenzen stehen unterschiedliche Interessen und Einschätzungen in Bourgeoisie und Bürokratie; Geistliche finden sich in allen Fraktionen. Die Geistlichkeit hat im Iran jene Rolle übernommen, die sonst meist dem Militär zukommt: einen Staat der permanenten ideologischen Mobilisierung zu etablieren, der die Bevölkerung zu Höchstleistungen beim industriellen Aufbau antreibt. Die Macht der Geistlichkeit ist heute gesetzlich verankert. Nach Khomeinis Doktrin muß ein aus Geistlichen bestehender "Wächterrat" Regierung und Gesellschaft überwachen, ein besonders befähigter religiöser Rechtsgelehrter soll den Staat führen.

In der Islamischen Republik wird die Macht somit nur teilweise von gewählten Institutionen ausgeübt. Höheren Rang und größere Macht haben die genannten religiös legitimierten Ämter. Sie werden, ebenso wie das Parlament, von den Konservativen dominiert, die bereits öffentlich klargestellt haben, daß sie Khatamis Regierung stoppen werden, wenn sie zu weit von ihrer Linie abweicht. Was sie zur Zeit kompromißbereit macht, ist die Furcht vor sozialen Unruhen. Angesichts der Stimmung in der Bevölkerung wäre es gefährlich gewesen, Khatami sofort zu blockieren.

Khatami ist sich der Machtverhältnisse bewußt und sucht den Kompromiß. Sein Kabinett handelte er mit dem Parlament aus und bekam es im August auch prompt genehmigt. Er und seine Minister haben öffentlich versichert, daß die zentralen Bereiche des islamistischen Systems nicht angetastet werden. Die Khomeini-Doktrin ist weiterhin Grundlage des legalen politischen Lebens, Polizeistaat und Spitzelnetz bleiben bestehen. Trotz des vagen Versprechens, die Lasten der Bevölkerung zu mindern, wird Khatami die Politik der ökonomischen Liberalisierung fortsetzen. Allein im kulturellen Bereich werden eine Reihe von Restriktionen bald fallen.

Zum Teil handelt es sich um eine notwendige Anpassung an den Kurs der kapitalistischen Modernisierung. Mit der Einführung moderner Kommunikationssysteme wird es ohnehin fast unmöglich, den Informationsfluß wirksam zu kontrollieren. Ein Übermaß an Verboten kriminalisiert ansonsten staatstreue BürgerInnen. Wer im Radio auch mal etwas anderes hören möchte als Marschmusik und Koranlesungen, ist darum noch nicht unbedingt ein Oppositioneller. Und wenn Khatami den Iranern und Iranerinnen wieder gestattet, Satellitenschüsseln aufzustellen, wird das die Revolution auch nicht unbedingt fördern.

Ob der stärkere Zustrom westlicher Konsumgüter und die größere kulturelle Freizügigkeit tatsächlich eine integrative Wirkung entfalten, bleibt allerdings offen. Die sozialen Unterschiede, die heute eher größer sind als zur Zeit des Schah, werden im Alltag stärker sichtbar sein. Das vertieft die Kluft zwischen Ideologie und Wirklichkeit. Schon seit einiger Zeit hat die Propaganda des Regimes begonnen, sich auch in rhetorischer Hinsicht vom Anspruch auf soziale Gerechtigkeit zu verabschieden. Damit fällt es jedoch immer schwerer, zu begründen, was an der islamischen Ordnung eigentlich so besonders ist, abgesehen davon, daß sie ihren Bürgern und Bürgerinnen noch mehr Vorschriften macht als andere Diktaturen.

Achtzehn Jahre nach der Revolution zeigt der Mobilisierungsstaat Verschleißerscheinungen. Khameini, der Nachfolger Khomeinis, ist ein farbloser Bürokrat, dessen Predigten für ihre Langeweile berüchtigt sind. Allgemein hat sich das Regime bürokratisiert und institutionalisiert. Damit hat die islamistische Führung bewiesen, daß sie einen funktionierenden Staat aufbauen kann. Verwaltung und Repressionsapparat sind straff organisiert, die Korruption dürfte kaum über westlichem Niveau liegen. Trotz des achtjährigen Krieges gegen den Irak und der US-Isolationspolitik ist es dem Regime gelungen, die Verschuldung in den Griff zu bekommen; und der IWF beurteilt die Aussichten der iranischen Wirtschaft positiv.

Die "islamische Wirtschaft" ist eine kapitalistische Wirtschaft, ergänzt um ein über die Moscheen organisiertes Almosenwesen und einige Subventionen für Nahrungsmittel, die man nicht zu streichen wagt. Mit einer Wirtschaftspolitik im Stile des IWF werden die Löhne gedrückt, die Arbeitslosigkeit wird auf bis zu 40 Prozent geschätzt. Miserable Lebensbedingungen und die Brutalität von Polizei und islamischen "Revolutionswächtern" haben in den vergangenen Jahren immer wieder zu städtischen Aufständen geführt. Im Winter 1996/97 gab es eine Streikwelle, betroffen war unter anderem die größte Ölraffinerie des Landes. Obwohl sich keine handlungsfähige Opposition mehr organisieren konnte, seit die Islamisten sich in einem blutigen nachrevolutionären Machtkampf durchsetzten, kann es in einer solchen Situation gefährlich sein, die Zügel zu lockern.

Gelingt die Liberalisierung innerhalb der engen, vom Autoritarismus vorgegebenen Grenzen jedoch, hat der Iran bessere Entwicklungschancen als die meisten Staaten der Region. Kein Wunder also, daß Khatamis Wirken von interessierten Konzernen und Regierungen wohlwollend betrachtet wird. In der deutschen Außenpolitik ersetzt die Unterstützung seiner Liberalisierungspolitik nun die Phrase vom "kritischen Dialog". Gerade jetzt, wo die iranischen Öleinnahmen und Devisenreserven wieder gestiegen sind und es möglich wäre, den Einbruch im deutsch-iranischen Handel (von 8 auf 2,2 Milliarden Mark seit 1992) wieder rückgängig zu machen, sind deutsche Produkte einem inoffiziellem Boykott ausgesetzt. Statt dessen hat die europäische Konkurrenz die Nase vorn, und sie könnte auch das Geschäft mit der Modernisierung der iranischen Infrastruktur machen.

Doch das besondere Verhältnis zum Iran folgt nicht nur wirtschaftlichen Interessen. Hier ergibt sich auch eine ausgezeichnete Gelegenheit, sich als "zivile Weltmacht" von der US-Politik zu distanzieren und sich so Sympathien in der sogenannten Dritten Welt zu sichern. Und da der Islamismus immer noch im Aufwind ist, kann es nicht schaden, gute Beziehungen zu islamistischen Staaten und Bewegungen zu unterhalten.

Auch die anderen EU-Staaten sehen im Iran einen bedeutenden Markt mit potentiellen Investitionsmöglichkeiten. Zwar ist das Sendungsbewußtsein der islamistischen Elite ungebrochen, doch geht man in wahrscheinlich realistischer Einschätzung davon aus, daß der islamistische Internationalismus ebenso eine hohle Phrase bleiben wird wie der arabische Nationalismus, der eine illusorische Gemeinsamkeit aller arabischen Staaten stiften soll. Schließlich ist die "Normalisierung" schon ein gutes Stück vorangekommen. Das islamistische Regime wirbt um westliche Investitionen und setzt statt auf "Revolutionsexport" zunehmend auf die klassischen Mittel der Machtpolitik. Militärischer Druck, diplomatische Intrigen und ökonomische Macht sollen dafür sorgen, daß iranische Interessen bei der Neuordnung des Nahen Ostens berücksichtigt werden.

Hier überschneiden sich die iranischen Interessen mit denen der EU-Staaten, die ebenfalls die US-Hegemonie über die Golfregion beenden wollen. Aus der Sicht der USA ist schon eine starke Regionalmacht Iran eine Gefahr, weil sie die Stabilität der Golfmonarchien und damit die Kontrolle des Ölpreises gefährdet. Somit wird sich an der US-Konfrontationspolitik gegen den Iran wahrscheinlich wenig ändern. Doch selbst die Macht der USA reicht nicht aus, um die Isolation des Iran durchzusetzen.

Khatami hat die alte Garde in der Außenpolitik abgelöst und so sein Interesse an besseren Beziehungen zum Westen signalisiert. Die Konservativen mögen seine Politik hier und da torpedieren, eine Alternative haben sie nicht. Die Modernisierung bedarf westlicher Technologie, und sie bedarf einer Lockerung der Zwänge und Kontrollen, um die modernisierenden Mittelklassen in das neue produktive Modell einzubinden. Nicht zuletzt darauf zielt die Initiative, Frauen in Staatsämter zu kooptieren, wie Anfang vergangener Woche, als Sahra Schojaei von Khatami zur Generaldirektorin für Frauenfragen in der neuen Regierung ernannt wurde. Khatami muß nun versuchen, die Modernisierung so zu steuern, daß die islamistische Kontrolle erhalten bleibt. Akut bedroht ist das Regime nicht, selbst wenn die Liberalisierung zu unerwünschten Mobilisierungen führt. Aber den Islamisten droht die Hegemonie über die Gesellschaft zu entgleiten, und allein auf die Macht der Gewehrläufe wird sich die Islamische Republik auf Dauer nicht stützen können.