Unterricht sponsored by Nike und McDonalds

Amerikas staatliche Schulen sind nicht nur zum Lernen da

Das neue Schuljahr hat in den USA begonnen, zur Freude etlicher Unternehmen. Rund 25 Millionen junge Konsumenten können sie nun mit Werbung bombardieren. Denn die vielfach nicht funktionierenden staatlichen Schulen haben eine neue Einnahmequelle entdeckt, die sich mit den Interessen der Konzerne deckt. Immerhin geben Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis neunzehn Jahren jährlich umgerechnet etwa 880 Milliarden Mark zur Befriedigung ihrer Kauflust aus.

Die revolutionäre Marketing-Idee hat man sich beim Sport abgeguckt. Mit Reklame regelrecht gepflasterte Stadien und als Kleiderständer für Markenartikel fungierende Sportler sind Vorbild für das neue Bild US-amerikanischer Schulen. Die Unternehmens-Strategen bereiten so ungestört den Weg für konsumorientierte und interessengeleitete Bildung im neuen Jahrtausend.

In vielen Bundesstaaten sieht man bereits Werbung auf den sonst so phantasielos gelben Schulbussen. Burger King liegt besonders gut im Rennen. Eine Rundfunkstation sendet Musik in Schulkorridore und Speiseräume in fünfzehn Bundesstaaten. Ein Fünftel der Sendezeit ist Werbung. Landesweit werden umsonst Buchhüllen mit Bildern von Nike, Calvin Klein und Gatorade an Schulen vergeben. Immer mehr Lehranstalten verkaufen Werbeflächen oder benennen Räume gegen Geld nach Unternehmen. Zurückgeschreckt wird auch nicht mehr vor der Vermarktung der überall populären Cheerleaders - sportliche Wettkämpfe anspornende Schülerinnen in engen Outfits mit farbigen Puscheln. Solch Ausverkauf kann einer Schule bis zu einer Million Dollar bringen.

Aber nicht alle Unternehmen sind so direkt. Oft werden die jungen Konsumenten verdeckter umworben: Man wendet sich mit kostenlosen Videos und Lehrhilfen an die Lehrer. Der Schokoladenhersteller Hershey und McDonalds erstellten jeweils Materialien für ein Curriculum, in dem Schülern ernährungswissenschaftliche Fakten vermittelt werden. Die Produkte dieser Firmen kommen darin natürlich immer am besten weg und stehen stets im Vordergrund. Die Firma Exxon produzierte ein Video über das Ölunglück in Alaska. Dabei geht es um die Umwelt - und die Hoffnung, daß die beeindruckten künftigen Autofahrer ganz umweltbewußt bei Exxon tanken werden. Eine Windelfirma berichtet in ihrem Video über die Umweltverträglichkeit von Wegwerf-Windeln. Der Publizist Michael Sandel berichtet, daß eine "Lehrhilfe" rate, die Schüler sollten in Gushers Snacks beißen und das Resultat mit einer geothermischen Eruption vergleichen. Das ist Wissenschaft, wie sie leibt und lebt: Des künftigen Bürgers Maul ist nur zum Fressen und zum Halten gedacht. Und seine Finger können jede Gehirntätigkeit ersetzen, indem sie flink die Geldscheine aushändigen.

Der ungeheure Wissensfluß im Sinne der Marktwirtschaft wird ergänzt durch den Schulfernsehsender Channel One. Der sendet ein zwölfminütiges Nachrichtenprogramm in 12 000 Schulen mit rund acht Millionen Schülern und erreicht so zwei Fünftel aller amerikanischen Jugendlichen. Eigentümer Whittle Communications gibt den Schulen für die tägliche Ausstrahlung einen Fernseher pro Klassenzimmer, zwei Videorecorder sowie Satellitenanschluß. Ein Sechstel der Sendezeit ist Werbung. Unternehmen zahlen gern 360 000 Mark für eine halbe Minute, um - wie von Whittle versprochen - das größte jugendliche Publikum der Geschichte zu beschallen, das "nicht wie üblich abgelenkt wird von Telefonen, Stereos, Fernbedienungen usw.". Sonst geht es hauptsächlich um Sport, Wetter und Naturkatastrophen. Politik, Wirtschaft, Kultur und aktuelle Ereignisse werden in zwei Minuten abgefrühstückt.

Zwar äußern sich mehr und mehr US-Amerikaner besorgt über die Verdrängung von Bildung durch Konsumorientierung, doch gesetzliche Eingriffe sind nicht zu erwarten. Die USA sind eine Marktgesellschaft, in der Konsum und Besitz als höchstes Ziel gelten, und die Politiker sind gewählte Vertreter dieser traditionsreichen Mentalität. Bedenklich ist vor allem, daß die Werbeoffensive fast ausschließlich die von Armen und der Mittelklasse Angehörigen besuchten staatlichen Schulen betrifft. Ihre Chancenlosigkeit durch zunehmenden Bildungsmangel ist somit programmiert. Die Kinder der Elite dagegen lernen wohlbehütet in privaten Schulen. Ein Klassenunterschied, der sich bei den Lehrergehältern widerspiegelt: An vielen staatlichen Schulen müssen sie mit einem Jahresgehalt von 40 000 Mark beginnen. Das ist knapp über dem Existenzminimum. Präsidenten berühmter Universitäten werden indes mit durchschnittlich 450 000 Mark entlohnt. Eine allgemeine Entwicklung: In den sechziger Jahren war das Gehalt eines Unternehmenspräsidenten dreißig mal so hoch wie das eines durchschnittlichen Arbeiters, im letzten Jahr betrug es das Zweihundertfache.

Während ständig die Trennung von Staat und Kirche in staatlichen Schulen beteuert wird, ist die Trennung von Staat und Unternehmen in den Schulen verständlicherweise kein Thema.