Zwanghaft deutsch

medico-Chef Branscheidt entdeckt "Freunde des Blitzkrieges" - aus Israel

Bedrängten Kreaturen widmet sich Hans Branscheidt, Chef von medico international, mit innigster Hingabe. Ihnen steht er bei, sie verteidigt er mit all seiner Kraft - wenn auch manchmal etwas verspätet, dann aber desto entschlossener. Als professioneller Sachwalter der kurdischen Befreiungsbewegung hat sich Branscheidt jetzt zu Wort gemeldet, um auf einen junge Welt-Kommentar Justus Wertmüllers vom 14. Mai dieses Jahres zu reagieren. Keine Frage: Justus Wertmüller hatte in "Hoffen auf den Putsch" gründlich danebengelangt, als er den kalten Putsch der türkischen Generäle gegen Erbakans Islamisten zur "Hoffnung für Kommunisten und Sozialdemokraten, selbstbewußte Frauen und Atheisten, religiöse Minderheiten und Intellektuelle" verklärte, statt ihn als weiteren Versuch des autoritären Militärstaates zur gewaltsamen Stillstellung eines - zum Teil auch noch selbstproduzierten - Konfliktes zu begreifen.

Was nun allerdings Hans Branscheidt aus dieser berechtigten Kritik an der Fehlleistung Wertmüllers macht, bedarf einer eigenen Kommentierung. Verbissen versucht er "den Wertmüller" zur Unperson zu erklären und aus dem Kreis der politisch Korrekten zu exkommunizieren. "Den Islam begreift die absolute Mangelhaftigkeit neuerer deutscher Theorie als Ergebnis purer Rädelsführerei", schreibt Branscheidt über Wertmüller. Abgesehen davon, daß er hier selbst offenbar nicht zwischen Islam und Islamismus als politischer Ideologie zu differenzieren weiß, merkt Branscheidt gar nicht, daß die Vorstellung von "purer Rädelsführerei" vor allem auf sein eigenes verschwörungstheoretisches Weltbild zutrifft.

Das fängt bei auf die Person Wertmüllers projizierten Allmachtsphantasien an, der zum "linken Bismarck" stilisiert und zum Mittelpunkt einer "Linken um Wertmüller" aufgeblasen wird. Ihm werden die außenpolitischen Machtinteressen der BRD genauso als eigene untergeschoben wie der Wunsch nach Krieg, mit dem die türkischen Generäle "ihm den Islam abwehren" sollen. Deshalb "schickt ihnen (den Kurden)Öein Müller aus Deutschland die türkischen und israelischen Generäle ins Haus".

Wen bitte? In welche trüben Gewässer Branscheidts Reise geht, wird spätestens an dem Punkt deutlich, wo er Wertmüller und allen, die er an dessen Seite wähnt, "ihre neueren Freunde des 'Blitzkrieges'Ö, die israelischen Berateroffiziere (der türkischen Armee)" vorhält. Zwar sind diese auch auf Biegen und Brechen nicht mit Wertmüllers Kommentar in Zusammenhang zu bringen. Sie erfüllen aber in Branscheidts Weltbild offenbar eine hervorstechende Rolle als jüdische "Blitzkrieger".

Die Genese dieser Projektion geht auf den Sechstagekrieg 1967 zurück, als zunächst der Spiegel und andere deutsche Presseorgane scheinbar philosemitisch sich an den "deutschen" Tugenden der israelischen Armee ergötzten. Der "antizionistische" Antiimperialismus der deutschen Linken griff in der Folge diese Metapher begeistert auf und enthüllte dabei ihren wahren Kern: "Blitzkrieg" als Charakterisierung des Vorgehens der israelischen Armee zielt über die Identifikation mit den Palästinensern - als die "Opfer der Opfer" - auf die Gleichsetzung der israelischen Armee mit Hitlers Wehrmachts-Vollstreckern.

Da Branscheidt selbst auf den Libanon-Feldzug der israelischen Armee 1982 anspielt, als die Blitzkriegs-Metapher in der deutschen Linken nicht zum ersten Mal grassierte, sei hier zur Erinnerung ein 1986 von Micha Brumlik verfaßter Kommentar angeführt, der über diese Projektionen feststellte: "Die Nachfolger der gemordeten Juden werden in der Phantasie eins mit ihren Mördern - womit, schließlich und endlich, in einer zeit- und raumübergreifenden Perspektive die Juden einmal mehr schuld an ihrem Schicksal sind." Die Rede von den "israelischen Blitzkriegern" kann mit Fug und Recht als charakterisierendes Stereotyp eines deutschen Antisemitismus bezeichnet werden.

Auch Branscheidts kryptisches Raunen, daß "die israelischen Berater ... eben nicht nur rund um die großen Seen still & wirksam tätig sind", läßt sich wohl nur im Sinne der Vorstellung von einer jüdischen Weltverschwörung verstehen. Nur aus dem deutschen "Zwangscharakter antizionistischer Solidarität" (Henryk M. Broder) erklärt sich letztlich das zwanghafte "Erwähnen" der israelischen Berater der türkischen Armee in der Polemik gegen Wertmüller. Aufgrund des verräterischen Kontextes der verwendeten Metaphern hat das auch nichts mehr mit einer berechtigten Kritik an der vornehmlich gegen Syrien gerichteten militärischen Bündnispolitik zwischen der Türkei und Israel zu tun.

All das weist über die Auseinandersetzung Branscheidt versus Wertmüller hinaus. Branscheidt könnte sich hier als Schleusenöffner für einen Diskurs erweisen, der sich im Umfeld der kurdischen Befreiungsbewegung und der Kurdistan-Solidaritätsszene wegen des türkisch-israelischen Militärbündnisses schon länger unterschwellig bemerkbar macht. So können Teile der Kurdistan-Solidarität mit Verweis auf den isaelischen Libanon-Feldzug 1982 als Vorbild für die Invasionen der türkischen Armee im Nordirak Anknüpfungspunkte an die unseligsten Traditionen eines linken Antiimperialismus in Deutschland finden. Den "antizionistisch"-antisemitischen Tiraden gegen Israel ist jedoch - auch innerhalb der Kurdistan-Soliszene - entschiedene Kritik als Bedingung sine qua non radikaler linker Politik in Deutschland entgegenzusetzen.