Der diskrete Charme des Kapitals

Bei der "Heftigkeit des internationalen Wirtschaftskriegs" will sich die französische KP nicht mehr an "erstarrten Positionen" festklammern - als Regierungspartei unterstützt sie jetzt Privatisierungen

Das am meisten umstrittene Thema für die neue französische Linksregierung sind derzeit die Privatisierungen. Die brisanten Fragen die Arbeitszeitverkürzung und 35-Stunden-Woche sowie der Lohnpolitik sind auf eine "Lohnkonferenz der Sozialpartner" vertagt worden. Diese ist nunmehr für Ende September oder Anfang Oktober geplant. Im Wahlkampf hatten Parti Socialiste (PS) und Parti Communiste Fran ç ais (PCF) gleichermaßen versprochen, die unmittelbar anstehenden Privatisierungen - die vor allem France Télécom und Air France betrafen - zu stoppen. Im Fall der Telekommunikation versprach Regierungschef Lionel Jospin eine "Befragung der Beschäftigten" vor einer endgültigen Entscheidung. Der tatsächliche Fahrplan sah anders aus.

Bereits am 26. Juni wurde durch eine Veröffentlichung der Financial Times, die alsbald offiziell bestätigt wurde, der Plan der Regierung bekannt, ab Herbst 1997 France Télécom bis zu 49 Prozent zu privatisieren. Insbesondere wurde eine Überkreuz-Beteiligung von France Télécom und Deutsche Telekom am zu privatisierenden Kapital des jeweiligen Partners angesteuert, zum Zweck der gemeinsamen Suche nach "internationalen Strategien".

Am 5. September legte Delebarre seinen Untersuchungsbericht vor. Nach diesem sollte ein Drittel des Télécom-Kapitals privatisiert werden. Drei Tage später verkündete Regierungschef Jospin den offiziellen Beschluß zur Privatisierung von 37 Prozent des öffentlichen Unternehmens. 20 Prozent des Télécom-Kapitals werden demnach ab 20. Oktober als Aktien an der Börse gehandelt, 7,5 Prozent soll die (ihrerseits auf dem Weg zur Privatisierung befindliche) Deutsche Telekom übernehmen, und drei bis vier Prozent des Aktienkapitals sollen die Télécom-Beschäftigten kaufen. Für den verbleibenden Rest wird wohl der Staat private Investoren aussuchen.

Alle Gewerkschaften bei France Télécom, mit Ausnahme der Organisation der höheren Angestellten CFE-CGC, lehnen diese "Öffnung des Kapitals" strikt ab. Die sozialdemokratische CFDT bei der Télécom (anders als ihre landesweite Führung unter Nicole Notat, die die Privatisierung befürwortet) erklärte, sie sehe "keine wirklichen Unterschiede" zwischen der jetzigen Privatisierung und dem vom rechten Premierminister Alain Juppé für Juni geplanten Börsengang, bei dem damals in einer ersten Stufe 25 bis 30 Prozent verkauft werden sollten. Die linke Basisgewerkschaft SUD, die bei France-Télécom die stärkste Position nach der KP-nahen CGT innehat und mit dieser zusammen die Mehrheit bildet, hat unterdessen auf eigene Faust eine Befragung der Télécom-Beschäftigten gestartet, deren Ergebnisse ab dem 18. September publiziert werden sollen. Dies, nachdem die von Jospin im Wahlkampf (als Chef der oppositionellen Sozialisten) versprochene Mitarbeiter-Befragung nicht stattgefunden hatte und im Juli durch eine "Mission vertiefter sozialer Konzertierung" von Michel Delebarre ersetzt wurde - eine Mission, die offenkundig nur dazu dienen sollte, Widerstände gegen den bereits feststehenden Beschluß abzubügeln.

Bei Air France hat sich die Sache etwas verkompliziert: Der Generaldirektor der Fluggesellschaft, Christian Blanc (PS-Mitglied und 1980 Leiter des Wahlkampfs für den zeitweiligen Premier Michel Rocard, der ihn in dem jüngsten Streit energisch verteidigte), nahm am 5. September wutentbrannt seinen Hut, weil es ihm nicht schnell genug mit der Privatisierung ging. Verdeckt wurde durch diesen von den Medien in Szene gesetzten Rücktritt - den die Rechte sogleich zu scharfen Attacken gegen den privatisierungsfeindlichen "Dogmatismus" des PCF (dem der zuständige Transportminister angehört) nutzte -, daß der kommunistische Minister Jean-Claude Gayssot sich zugleich zur "Öffnung des Kapitals" der Air France bereit erklärt hatte. Ein Teil des Kapitals der Fluggesellschaft solle demnach privatisiert werden, Hauptsache, der Staat behalte seine Mehrheit.

Le Monde kommentierte: "In seiner Hast scheint Herr Blanc mutwillig ein Ereignis verkannt zu haben, das zu anderen Zeiten Unglauben hervorgerufen hätte: Jean-Claude Gayssot, Kommunist, der er ist, erklärte sich zu einer Öffnung des Kapitals bereit. (...) Der PCF hat also ein gutes Stück Weg zurückgelegt. Warum sollte man von Herrn Gayssot verlangen, noch kühner zu werden? Es gab keine Eile: Die finanzielle Sanierung von Air France durch Herrn Blanc" - durch eine Personalpolitik mit dem eisernen Besen: 5 230 Entlassungen in drei Jahren, bei anfangs 41 400 Mitarbeitern - "genügt noch nicht, um ihren Börsengang in naher Zukunft zu erlauben." Léon Crémieux, Generalsekretär der Gewerkschaft SUD-Luftfahrt, stellte in einem Gastbeitrag für Le Monde vergangene Woche jedenfalls die richtige Frage: "Tauschen wir den Piloten aus oder ändern wir den Kurs?" Höchstwahrscheinlich lautet die Antwort: Nur der Pilot steht zur Debatte!

Unterdessen gab PCF-Transportminister Gayssot in einem Interview mit der Partei-Tageszeitung L'Humanité Anfang September eine neue Doktrin für den Wirtschaftskurs aus: "Weder Privatisierung noch Status Quo". Sie läuft darauf hinaus, die Privatisierung von minoritären Teilen des Kapitals öffentlicher Unternehmen zu akzeptieren. Man tröstet sich damit, daß der Staat ja die Oberhand behalte. So hatte L'Humanité schon im Juli triumphierend getitelt: "Der Staat bleibt Herr bei France Télécom" - da er auf jeden Fall 51 Prozent des Kapitals behalte (zu dem Zeitpunkt war erklärtermaßen eine Privatisierung von 49 Prozent des Télécom-Kapitals anvisiert). Unter der Regierung Juppé hatte dasselbe Blatt nie gezögert, die geplante Börseneinführung von 49 Prozent der Gesellschaft als finsteres Manöver im Dienste der Finanzmärkte anzuprangern...

Unter all diesen Zahlenspielen um 49 oder 51 Prozent droht jedoch die einzig entscheidende Frage in Vergessenheit zu geraten: In welcher Logik und nach welchen Kriterien entwickeln sich diese Unternehmen? Wenn sich private Kapitalgeber, und sei es in noch so minoritärer Position, an öffentlichen Unternehmen beteiligen, dann natürlich mit dem einzigen Ziel, auf ihre Aktien eine Dividende zu erzielen. Vorbei ist es dann auf jeden Fall mit der Logik, die lange im französischen öffentlichen Sektor vorherrschte und ihn als eine Art Oase in der ihn umgebenden marktwirtschaftlichen Wüste verstand, einer Logik, die mit der "kapitalistischen Logik" brechen und statt dessen Ziele wie die Gleichheit aller Benutzer und Nicht-Rentabilität in den Vordergrund stellen wollte.

Immerhin war dieser öffentliche Sektor großenteils in der historischen Ausnahmesituation der Befreiung 1944/45 und der damaligen Regierungskoalition aus Gaullisten und Kommunisten entstanden. Noch unter der letzten PS/PCF-Koalition wurde im Juli 1983 ein "Gesetz zur Demokratisierung des öffentlichen Sektors" verabschiedet, das durch die Einführung einer Drittel-Parität in den Aufsichtsräten rein öffentlicher Unternehmen (ein Drittel Staatsvertreter, ein Drittel Beschäftigte, ein Drittel Benutzer/Kunden) die Spielregeln ändern wollte. Mit Aktionären jedoch, sollen sie sich am Kapital eines bis dahin öffentlichen Unternehmens beteiligen, wird die Unternehmenspolitik den "normalen" Marktgesetzen ausgesetzt. Die Frage, ob der Staat dann noch 51 oder nur ein Prozent besitzt, wird an dieser strukturellen Frage nichts mehr ändern - denn unter dieser Voraussetzung wird der Staat sich ohnehin als gewöhnlicher Kapitalist verhalten, und die Höhe seiner Anteile wird die grundlegenden Spielregeln nicht sprengen.

Die Wirtschaftszeitschrift Expansion hatte bereits am 12. Juni bemerkt, es erinnere "an eine Falle", einem PCF-Mann als Transportminister die Verantwortung für die absehbaren Privatisierungskandidaten SNCF (Eisenbahn) und Air France zu übertragen; dies sei ein "geschicktes politisches Manöver" von Lionel Jospin. Denn der Parti Communiste wird so in einen Konsens eingebunden und von Kritik abgehalten. Le Monde urteilt nun: "Der Ausgang dieser Entwicklungen läßt keinen Zweifel. (...) Die Öffnung des Kapitals von France Télécom und Air France beginnt sehr wohl den Marsch in die Privatisierung. (...) Einmal mehr wird es die Linke sein, die (...) die französische Ökonomie hin zu mehr Liberalismus entwickeln wird."

Bemerkenswert ist vor allem die Entwicklung des PCF zur Frage der Privatisierungen. Im Jahr der "Volksfront"-Regierung 1936 war die französische KP im Prinzip gegen die damaligen Nationalisierungen, die den Sozialisten - und vor allem ihrem linken Flügel - am Herzen lagen. Denn die im stalinistischen Sinne revolutionär-antikapitalistische Partei, welche der PCF damals war, sah in den Nationalisierungen den illusorischen Versuch, eine systemimmanente Lösung des Ökonomieproblems im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu finden. Auch in der Periode nach der Befreiung 1944, als der PCF an der Regierung beteiligt war (und mit seinem Parteichef Maurice Thorez den Vize-Premierminister stellte), behielt die Partei diese Position grundsätzlich bei. So erklärte Jacques Duclos, die Nummer zwei des PCF und späterer Präsidentschaftskandidat, in einer Parlamentsrede am 2. Dezember 1945: "Die Nationalisierungen, die wir durchführen, sind kein Sozialismus. (...) Wir sind in einem kapitalistischen Regime, vergessen wir das nicht, und nicht mit Nationalisierungen läßt sich die Macht des Geldes brechen."

In den folgenden Jahrzehnten, in denen der PCF sich zunehmend zur ins bürgerliche System integrierten Reformpartei entwickelte, war die Partei jedoch zunehmend auf das Mittel der Nationalisierungen und das Ziel eines starken Staatssektors der Ökonomie eingeschworen. 1981, mit dem Antritt der (drei Jahre währenden) sozialistisch-kommunistischen Koalition, wurden 39 Banken, fünf Industrieunternehmen und zwei Finanzgesellschaften verstaatlicht. Auch eine Mehrheit des Parti Socialiste befürwortete damals einen starken Staatssektor, während eine Minderheit im PS zu jener Zeit eine Kombination aus (mehrheitlichem) Staatseigentum und minoritärem Privatkapital für die betreffenden Unternehmen vorschlug.

Im Jahr 1990 begann eine Umorientierung des PCF: Das Scheitern der realsozialistischen Systeme, die bis zuletzt als Vorbild für die PCF-Mehrheit fungierten, ließ Zweifel am Modell einer rein staatlich dirigierten Ökonomie und der zentralen Rolle einer aufgeblähten Staats- und Planungsbürokratie aufkommen. Ab dem 27. Parteitag im Dezember 1990 setzte PCF-Chefökonom Paul Boccara eine Debatte über eine nouvelle mixité, also neue "Mischformen" ökonomischen Eigentums in Gang. Diskutiert wurde etwa, das Eigentum an großen Unternehmen unter verschiedenen öffentlichen Trägern wie Staat, Gemeinden und anderen öffentlichen Unternehmen zu diversifizieren. Demnach würden etwa Teile des Kapitals der Télécom von der Post, der Bahn und anderen öffentlichen Unternehmen gehalten, was eine branchenübergreifende Planung ermöglichen sollte, ohne über eine zentrale Staatsbürokratie vermittelt zu werden. In dieser Phase wurde jedoch nur über unterschiedliche Formen öffentlichen Eigentums nachgedacht, nicht über eine Mischung aus privaten und öffentlichen Kapitalträgern - und die vorgeschlagenen Eigentumsformen sollten in dieser Theorie nach wie vor einer Änderung der ökonomischen Spielregeln und der Durchsetzung gesellschaftlicher Bedürfnisse außerhalb der Marktlogik dienen.

Im Wahlkampf des Frühsommers 1997 plakatierte der PCF noch landesweit "Stopp den Privatisierungen!", beschränkte sich jedoch auf künftige Privatisierungen, ohne in seiner Wahlplattform die Nationalisierungen der in den Vorjahren (unter der Rechten) privatisierten Unternehmen zu fordern. Das gemeinsame Papier von PS und PCF sprach vom "Stopp der Privatisierungsprozesse bei Air France, Thomson und France Télécom". Und nunmehr machen sich KP-Minister Gayssot und Parteisekretär Robert Hue zu Vorreitern einer neuen ökonomiepolitischen Position, die eine "Öffnung des Kapitals" zu privaten Investoren akzeptiert.

Hue begründet: "Wir können uns nicht weigern, die früher eingegangenen Verpflichtungen und die Bedingungen zum Abschluß internationaler Allianzen (zwischen Unternehmen) zu sehen. Man kann daher nicht mehr ausschließen, daß die beginnende Öffnung des Kapitals (von Air France; B. S.) einen Teil privaten Kapitals einschließt." Der PCF-Fraktionsvorsitzende im Parlament, Alain Bocquet - er wird zu den "orthodoxen Kommunisten" in der Partei gezählt - erklärte am 8. September auf einer Tagung der KP-Abgeordneten: "Sind die Kommunisten blind und taub gegenüber den Erschütterungen der internationalen Realitäten, der Heftigkeit des internationalen Wirtschaftskriegs? Klammern sie sich an festgefahrenen Positionen fest? Nein!" Diesen Diskurs kennt man schon: Es ist der der "notwendigen Anpassung" an die Realitäten des internationalen Kapitalismus, der Globalisierung usw.

Im Fall France Télécom allerdings hat der PCF inzwischen Protest eingelegt. L'Humanité titelte am 9. September: "France Télécom: Eine Operation mit hohen Risiken", und Robert Hue erklärte am selben Tag öffentlich: "Soll man die Behauptung, daß es die Lösung für France Télécom sei, 20 Prozent oder mehr seines Kapitals auf den Börsenmarkt zu bringen, für bare Münze nehmen? Ich sage Ihnen offen, daß ich das nicht glaube." Zugleich warnte er vor "schleichenden Privatisierungen".

Voraus ging das vernehmbare Murren von CGT-Gewerkschaftern bei der Télécom, das sich auf Gewerkschafter im nationalen Komitee (Ex-Zentralkomitee) des PCF übertrug - letzteres hielt am 6. September seine Sitzung ab.

Unterdessen hatte auch der linke Flügel der Sozialisten laut protestiert. Schon einen Tag vor Hue hatte der PS-Sekretär Harlem Désir (vom Flügel Gauche Socialiste, "Sozialistische Linke") in einem Libération-Interview die Télécom-Privatisierung verurteilt. Dort erklärte der frühere Chef von SOS-Racisme, der heute mit den "Beziehungen zu den sozialen Bewegungen" beauftragt ist: "Nichts rechtfertigt die Fortsetzung des Privatisierungsplans von Juppé. Ich bekräftige meine Unterstützung für das (Télécom-) Personal, das mehrheitlich gegen diese Pläne ist. (...) Man verkauft das Tafelsilber, um die Haushaltslöcher zu stopfen, und zerschlägt Elemente sozialer Regulierung. Das ist skandalös!"

Tatsächlich ist es innerhalb der Sozialdemokratie die der "Sozialistischen Linken" zugedachte Rolle, ihre kritische Stimme laut und weithin vernehmbar zu erheben. Nicht umsonst spekulierte die Presse schon vor Wochen, der linke PS-Flügel werde versuchen, den Kommunisten sowie der radikalen Linken das Terrain der sozialen Kritik nicht zu überlassen und, vor allem, sich nicht übertönen zu lassen.