Mehr Grün auf die Straßen

Kanther bietet BGS gegen Schwarzfahrer auf. Grüne wollen Zivilgesellschaft gegen Kriminalität mobilisieren

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht das "subjektive Unsicherheitsempfinden" der deutschen Bürger gehätschelt wird. Seit der niedersächsische SPD-Ministerpräsident Gerhard Schröder mit seiner Losung: "kriminelle Ausländer raus" den Reigen eröffnete, spürt die Politik Handlungsbedarf. Der Bürger fühle sich unsicher und verlange Abhilfe. Vorläufiger Höhepunkt der diesjährigen Law-and-Order-Runde: Von Schröder und dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) vorangetrieben, beschloß der Bundesrat in der zweiten Septemberwoche, Gesetze zur schnelleren Abschiebung ausländischer Straftäter, strengeren Behandlung straffälliger Jugendlicher und weitere "Maßnahmen zur Stärkung der inneren Sicherheit" auf den Weg zu bringen.

Nachdem diese parteiübergreifende Zusammenarbeit beim härteren Durchgreifen so hervorragend geklappt hatte, hielt ein am folgenden Wochenende bekanntgewordener Brief von Innenminister Kanther die Diskussion am Laufen. In dem Schreiben an seine Länderkollegen vom 5. September regt Kanther ein "Sicherheitsnetz" nach US-amerikanischem Vorbild an. Jegliche Delikte bis zu "Alltagskriminalität", Ladendiebstahl, "Sprühdosen-Ferkeleien" und Randale in Verkehrsmitteln sollten "mit größten Anstrengungen" bekämpft werden. Die Polizei solle bei ihrem Vorgehen vom Bundesgrenzschutz, von freiwilligen Helfern und eventuell auch von privaten Sicherheitsdiensten unterstützt werden. Kanther will sein an die New Yorker Polizeistrategie angelehntes Konzept in einem "mehrjährigen Feldversuch" in einigen Städten testen. Dazu bot er den Ländern Unterstützung durch den Bundesgrenzschutz an, Vorbedingung sei allerdings eine "Neuorganisation der Polizeiarbeit" in den jeweiligen Städten, verbunden mit einer "Senkung der Schwelle" des Eingreifens.

Kanther konnte mit dem Echo auf sein Angebot zufrieden sein. Zwar sprach die Gewerkschaft der Polizei von "Wahlkampfgetöse", aber Bayerns Innenminister Günther Beckstein orderte sogleich für Nürnberg und München 200 BGS-Beamte, die gegen Vandalismus und Straßenkriminalität vorgehen sollen. Der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski pries Hannover als idealen Standort für Kanthers Aktion an. Seine Landeshauptstadt eigne "sich als Expo-Stadt in besonderer Weise als Pilotprojekt". Auch Berlin wollte nicht nachstehen: Sicherheitsprojekte mit dem BGS sollen in den Stadtteilen Freidrichshain und Neukölln entstehen, und gleich 800 BGS-Beamte will Innensenator Jörg Schönbohm zusätzlich als Bahnpolizei eingesetzt sehen. Die Beamten könnten Kontrollen in der S- und U-Bahn durchführen - vor allem gegen Schwarzfahrer. Dies sei durchaus eine Vorbeugung gegen Straftaten, wußte Schöhnbohms Sprecher Thomas Raabe: "Erkenntnisse zeigen: Bevor Gauner in der U-Bahn Straftaten begehen, kaufen sie sich kein Ticket."

Kritik an Kanthers Vorstoß formulierte für die Grünen ihr "Sicherheitsexperte" und Bundestagsabgeordnete Manfred Such, "obwohl wir seiner Besorgnis über das verbreitete Unsicherheitsempfinden der BürgerInnen zustimmen". Die Ursachen für dieses Empfinden wollte Such allerdings nicht ergründen. Statt dessen fragte er sich: "Was sollen unerfahrene junge 'Grenzjäger' im rotierenden Kurzeinsatz für einen realen Sicherheitsgewinn bringen?" Und: "Wo will der Minister, der gegen 'Schleuser' schon mehr Grenzer nach Baden-Württemberg schickte und noch gestern Verstärkungen (1 500 Beamte) an die Ostgrenze ankündigte, eigentlich angesichts notorischer Personalknappheit noch die BGS-Kräfte für interessierte Großstädte hernehmen?"

Bei Kritik wollten es aber auch die Grünen angesichts des allgemein empfundenen Handlungsbedarfs nicht belassen. Am Freitag vergangener Woche stellten der Bundesvorstandssprecher Jürgen Trittin und Renate Künast von der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht, ein Acht-Punkte-Programm zur Inneren Sicherheit vor, mit die Bündnisgrünen in den Bundestagswahlkampf gehen wollen. Zunächst betonen sie in ihrem Papier die Prävention von Kriminaltität, dazu müsse vordringlich ausreichend Bildung, Ausbildung und Arbeit angeboten werden. Auch durch die Liberalisierung des Drogengesetze könne Kriminalität vermieden werden. Sicherheit zu schaffen, sei vor allem eine "zivilgesellschaftliche" Aufgabe. Um die Zivilgesellschaft zu aktivieren, wollen die Grünen "Präventionsräte" in den Städten gründen, wie es sie beispielsweise in Neumünster und Lübeck bereits gibt. Dort sollen sich Anwohner, Geschäftsleute, Vereinsmitglieder und Kommunalpolitiker zusammensetzen, um örtliche Kriminalitätsbrandherde zu analysieren und zu bekämpfen.

Ein ähnliche Aufgabe hatten in Kanthers Konzept die "Sicherheitsforen". Bei den Grünen sollen an diesen runden Tischen allerdings nicht die Polizisten federführend sein, sondern der Bürgermeister und die Experten aus dem Wohnumfeld, wie Trittin und Künast betonten. Und, weil eine Uniform einfach doch mehr Sicherheit gibt, solle die Polizei mehr Präsenz im Kiez zeigen. Während aber der "alte Kontaktbereichsbeamte eine Kontrollfunktion hatte" (Renate Künast), soll der neue grüne Wohnumfeldsbeamte das nie durchgesetzte Bild des Polizisten als "dein Freund und Helfer" endlich verwirklichen. Dazu müßten die Beamten aber besser ausgebildet und bezahlt werden. Vielleicht reicht es dann auch zu einer Sonnenblume im Kopfloch.