Ab ins Untergeschoß

Eine kurze Chronologie der bisherigen Geschichte des Jüdischen Museums in Berlin anläßlich der fristlosen Kündigung seines Direktors Amnon Barzel.

Das Gebäude, das das Jüdische Museum in Berlin ab 1999 beherbergen soll, ist beinahe fertiggestellt. Neben dem Berlin Museum gelegen, ist der Bau des Architekten Daniel Libeskind ein steinerner Affront gegen den historisierenden Umgang mit Architektur und Kunst, wie er in Berlin neuerdings gepflegt wird. Libeskinds dekonstruktivistisches Monument ist aber, obgleich nicht einmal fertiggestellt, bereits Relikt geworden.

Wie vergangene Woche bekannt wurde, ist die bereits im Sommer 1997 ausgesprochene Entlassung des Direktors des Jüdischen Museums, Amnon Barzel, jetzt in eine fristlose Kündigung umgewandelt worden. Barzel hätte "unwahre Tatsachen" verbreitet und "störe den Betriebsfrieden", begründete Rainer Güntzer, der Generaldirektor des Berliner Stadtmuseums, dessen Abteilung das Jüdische Museum ist, die Kündigung. Formal bedeutet sie die Verschärfung der bereits erfolgten fristgerechten Kündigung aus "verhaltensbedingten Gründen". Damit ist der jahrelange Streit um die Konzeption des Museums eskaliert, in dem es nur vordergründig um die Person Amnon Barzels geht.

1989, als der Wettbewerb für ein Jüdisches Museum ausgeschrieben wurde, regierte ein rotgrüner Senat, die erste große Gedenkoffensive anläßlich des 50. Jahrestages des Novemberpogroms von 1938 war gerade vorüber. In Westberlin und der BRD war der 9. November 1988 zum Auftakt für einen Gedenkmarathon anläßlich des 50. Jahrestags der Zerschlagung Nazideutschlands geraten. Es wurden all die Gedenkrituale aufgeboten, auf die sich die offizielle Politik heute gern beruft, um zu belegen, daß Deutschland inzwischen geläutert sei. 1988, noch existierte die DDR, wurde in einem Staatsakt der Volkskammer des Pogroms und seiner Opfer gedacht. Während im Bundestag Philipp Jenninger eine Rede hielt, die seinen Rücktritt als Parlamentspräsident zur Folge hatte, hatte die DDR Heinz Galinski geladen. Als Repräsentant der Jüdischen Gemeinde Westberlins sprach er bei der Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße.

Daß in der DDR nicht nur Worte gemacht wurden, sondern auch etwas getan werden sollte, konnte man in der BRD nicht auf sich sitzen lassen, und in Westberlin schon gar nicht. Das durch Jenninger verlorene und von der DDR mühelos besetzte Terrain mußte zurückerobert werden. Der Wettbewerb für das Jüdische Museum von 1989 war also eine Spätfolge des Kalten Krieges, der immer auch im Gedenken der beiden Staaten an die Opfer des deutschen Faschismus eine große Rolle spielte.

1990 wurde die DDR abgewickelt, Deutschland entstand wieder, und die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße war eines der wenigen Bauprojekte, die noch zu DDR-Zeiten begonnen und nun zu Ende geführt wurden. Die Planungen für das Jüdische Museum gingen weiter. Ob hier ins Gewicht fiel, daß es anläßlich der Wiedervereinigung von jüdischer Seite wiederholt Befürchtungen hinsichtlich der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland gegeben hat, oder ob der jetzt schwarzrote Berliner Senat unter Diepgen einfach nur eine Schonfrist abgewartet hat, kann im nachhinein nicht mehr beurteilt werden: Diepgen jedenfalls stoppte 1993 das Projekt. Auch diese Altlast, die man nie gewollt hat und schon gar nicht so, sollte abgewickelt werden.

1993. Neue Pogrome gegen Flüchtlinge und antisemitische Übergriffe, wie der Anschlag auf die Jüdische Baracke in der Gedenkstätte des KZ Sachsenhausen am 26. September 1992, waren gerade abgeebbt, die politische Klasse Deutschlands hatte verstanden: Das Volk will nach rechts. Die Bundesregierung schickte ihren Außenminister, Klaus Kinkel, nach Sachsenhausen, als ob sie jenen Rostocker CDU-Politiker ins Recht setzen wollte, der Ignatz Bubis wenige Tage zuvor zu einem israelischen Staatsbürger erklärt hatte. Die wenigen Proteste verhallten, die Bundesregierung konnte sich so etwas nun leisten. Der Berliner Senat noch nicht. Als Diepgen die Realisierung des Libeskind-Entwurfs stoppte, protestierten über 1 000 jüdische Persönlichkeiten, das Projekt konnte fortgesetzt werden. Allerdings versuchte der Senat nun, die weitgehende Autonomie des Jüdischen Museums, das eine Abteilung des Stadtmuseums Berlin werden sollte, einzuschränken.

1994 wurde Amnon Barzel zum Direktor berufen, ihm, dem ehemaligen Direktor des Jüdischen Museums in Wien, traute man zu, in dem Libeskind-Gebäude ein Museum einzurichten. Von Anfang an galt er als nicht einfach, zumal er von vornherein eine weitgehende Autonomie der Einrichtung forderte. Der Konflikt um die Selbständigkeit des Museums ist selbstverständlich politischen Ursprungs. Während Güntzer die regionale Eingrenzung in der Darstellung jüdischer Geschichte fordert, lehnt Barzel, und mit ihm Libeskind, dies strikt ab. Abgesehen davon, daß sich eine solch provinzielle Variante, die von Barzel zurecht als "Ethnisierung" bezeichnet wird, in dem Libeskind-Bau auch gar nicht realisieren läßt - Berlin ist die Stadt, von der aus die Vernichtung der europäischen Juden geplant und organisiert wurde.

Sollten sich seine Gegner mit ihren Vorstellungen durchsetzen, "wird das Jüdische Museum ins Untergeschoß des Berlin Museums als ethnische Abteilung verschwinden". Diese Befürchtung äußerte Barzel in einem Interview des Berliner Stadtmagazins zitty.

1995 wurde Richtfest im Jüdischen Museum gefeiert. Diepgen stoppte den Ausbau der Ausstellung "Topographie des Terrors"; aber es war immer noch nicht so weit: Aufgrund zahlreicher Proteste mußte der Senat auch hier wieder zurückstecken. Amnon Barzel legte zwei Konzepte für das Museum vor: "Niemand hat es gelesen. Es gab keine Diskussionen darüber, weder im Senat noch im Stadtmuseum." (Barzel in der zitty). Der Mann wurde zunehmend als anstrengend empfunden.

1996. Auf der Gedenkveranstaltung zum 58. Jahrestag des Novemberpogroms in der Jüdischen Gemeinde zählte der Regierende Bürgermeister auf, was der Senat alles für die Juden getan habe: die "Topographie" werde doch jetzt gebaut, das Holocaust-Denkmal und auch noch das Jüdische Museum. Amnon Barzel schrieb Diepgen einen Brief: "Wenn Sie es nicht für sich selbst tun, dann tun sie es nicht. Die Juden brauchen kein Mahnmal." Eine Personaldebatte begann, die wie schon die vorangegangenen Ereignisse, deutlich antisemitische Züge trägt. Barzel, ein Jude, der nicht verzeiht, der nicht versöhnen will, das ist einfach zuviel für einen Senat, der noch kaum eine Peinlichkeit ausgelassen hat; ganz unverhohlen wird der 9. November in Berlin auch von staatlicher Seite vor allem als Tag der "Maueröffnung" gefeiert.

1997. Im Sommer wird Amnon Barzel zum 1. Oktober 1997 gekündigt. Just an dem Tag, an dem Andreas Nachama, ein wichtiger Unterstützer, wenn auch nicht der Person, so doch der Konzeption Barzels, zum Vorsitzenden der Berliner Jüdischen Gemeinde gewählt wird. Nachama reagiert wütend mit einem Satz, der wenige Monate später der Grund für die zusätzliche fristlose Kündigung Barzels sein wird: Er, Nachama, fühle sich gezwungen, "dies mit den schlimmsten Vorgängen in den dreißiger Jahren zu vergleichen, als jüdische Museumsdirektoren ihrer Ämter enthoben wurden". Kurze Zeit sieht es wieder so aus, als mache der Senat einen Rückzieher, aber als Barzel immer noch keine Ruhe gibt und Nachama auf einer Tagung im nordirischen Derry zitiert, wird ihm am 27. September, einem Sabbat, nun auch fristlos gekündigt. Auf der einen Seite will sich hier die Stiftung Stadtmuseum als Arbeitgeber juristisch absichern, denn die Kündigung vom Sommer dürfte schon aufgrund formeller Mängel vor Gericht keinen Bestand haben. Aber gerade jene formalen Mängel, wie auch die Begründung, die allein auf das Verhalten Barzels verweist, zeigen, daß es nicht nur um eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung geht.

2. Oktober 1997. Das Verwaltungsgericht lehnt den Antrag Barzels auf eine einstweilige Verfügung ab, die ihm die Weiterbeschäftigung bis zum Arbeitsgerichtsprozeß am 18. Dezember sichern soll, und bestätigt damit das Vorgehen des Senats. Endlich habe Barzel, so freut sich der Sprecher der Kulturverwaltung, Axel Wallrabenstein, "sein Fett abbekommen". Barzel macht noch einmal darauf aufmerksam, daß es sich hier nicht um einen persönlichen, sondern "um einen historischen, ideologischen Streit" handelt. Nutzen wird ihm, der seinen Gegnern zur Personifizierung dessen geworden ist, was sie an Juden hassen, das nicht mehr viel. Nachamas Bemerkung hatte die Gegner einer politischen Konzeption des Jüdischen Museums nur noch kurzfristig zur Zurückhaltung mahnen können; gegen die aggressive Stimmungsmache Wallrabensteins kann auch eine Dringlichkeitssitzung des Abgeordnetenhauses, die nun von allen Fraktionen beantragt wurde, nichts mehr ausrichten. Im Gegenteil - neue Ausfälle sind zu befürchten.