Entschädigung - niemals!

Das Jubiläum der Siemens AG steht ganz im Zeichen der Verleugnung der eigenen Rolle im Nazi-Reich

Am 12. Oktober wird Siemens sein Firmenjubiläum in Berlin begehen: Gotthilf Fischer und seine Chöre werden singen, Kanzler Kohl, Minister und Wirtschaftsführer werden Siemens loben. Wie der Umgang mit der eigenen Geschichte aussehen wird, verraten schon die Jubiläumsdevotionalien des "Hauses Siemens", wie es sich gern nennen läßt.

So heißt es in dem Jubiläumsband "150 Jahre Siemens", hg. von der Siemens AG im Januar 1997, über die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen: "Die Zeit von 1918 bis 1945 bewegt sich im Spannungsfeld von Weimarer Demokratie und Nationalsozialismus. Es ist eine Zeit, in der schwierige politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen den Erfolg des Unternehmens zeitweise beeinträchtigen. Dennoch wuchsen unter der Leitung von Carl Friedrich von Siemens Aufgabengebiete, Umsatzvolumen und Beschäftigtenzahl des Unternehmens um ein Vielfaches, da auf dem Gebiet der Elektrotechnik die Einsatzmöglichkeiten des elektrischen Stroms ständig erweitert wurden. Der politische und militärische Zusammenbruch im Frühjahr 1945 stellte die Existenz des Hauses Siemens allerdings in Frage." Und auf einer Karte im selben Band mit den Siemens-Produktionsstätten während des Zweiten Weltkrieges fehlen die Firmenstandorte Ravensbrück, Auschwitz, Groß Rosen und Buchenwald - von den Produktionsstätten in den von den Deutschen besetzten Gebieten ganz zu schweigen.

Die Siemens AG, 1966 aus der Fusion der Stammgesellschaften Siemens & Halske AG, Siemens-Schuckertwerke AG und Siemens-Reiniger-Werke AG entstanden, weist nach ihrem Geschäftsbericht 1996 einen Umsatz von 94,180 Milliarden DM aus. Sie ist heute das sechstgrößte Elektro-Unternehmen der Welt. Mit einem vergleichsweise hohen Standard an Sozialleistungen und "Unternehmenskultur" schaffte es der Konzern, die Identität der "Siemensianer" aufrechtzuerhalten. Zu dieser Identität gehört, will man die zwölf Jahre des deutschen Faschismus nicht außen vor lassen, ein Geschichtsverständnis, nach dem die Deutschen den Judenmord zwar schrecklich fanden, aber Hitler zugute hielten, daß er die Autobahnen gebaut hat. Siemens hat viel durchgemacht, immer waren es die Zeitläufte, die das Unternehmen in Schwierigkeiten brachten.

Parallel zum Siemens-Festakt am 12. Oktober, der im Berliner ICC stattfinden wird, wollen sich ehemalige Zwangsarbeiterinnen, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aus Polen, Tschechien, Rußland, Holland, Österreich, Israel und Deutschland treffen, um gegen die mit den Jubelfeiern einhergehende Verleugnung der Rolle des Konzerns in der Nazi-Zeit zu protestieren. Auf einer Veranstaltung am Nachmittag treffen sich ehemalige Siemens-Zwangsarbeiterinnen, die in den KZ Ravensbrück, Auschwitz sowie in Berlin in firmeneigenen Produktionsstätten ausgebeutet wurden, mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern von IG Farben, AEG und Bosch, um der Opfer der "Vernichtung durch Arbeit" zu gedenken und

über die Durchsetzung ihrer Entschädigungsforderungen

zu diskutieren.

"Seit Jahrzehnten kämpfen die Überlebenden gegen die Verleugnung von Schuld und Verantwortung, die sich in der verweigerten Entschädigung ausdrückt. Gegen die Lüge und die Verleugnung stehen die historischen Tatsachen und die Zeugnisse der Überlebenden. Sie und ihre Forderungen sollen am 12. Oktober im Mittelpunkt stehen", heißt es im Programm der geplanten Gegenveranstaltungen.

Offensichtlich war das "Haus Siemens" überrascht, weil es nicht damit gerechnet hat, nach so langer Zeit noch einmal mit der Vergangenheit konfrontiert zu werden. So läßt die großangekündigte Studie mit einer "differenzierten Darstellung" des Konzerns in der NS-Zeit, die an der konzernnahen Universität Erlangen erarbeitet wird und deren Veröffentlichung für April angezeigt war, bis heute auf sich warten.

Siemens reagiert indirekt auf die Proteste, aber ist nach wie vor nicht bereit, auch nur einer ehemaligen Zwangsarbeiterin aus Ravensbrück, auch nur einem ehemaligen Zwangsarbeiter aus Buchenwald eine Entschädigung zu zahlen. Das hieße, das begangene Unrecht einzugestehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis keine und keiner mehr lebt, der oder die Ansprüche an Siemens stellen könnte. Siemens scheint entschlossen zu sein, diese paar Jahre durchzuhalten. Anders als andere Unternehmen ist man nicht einmal zu minimalen Zugeständnissen bereit. Das eigene Geschichtsverständnis verbietet es ebenso, wie die wachsenden Gewinne es überflüssig erscheinen lassen, sich mit den Entschädigungsansprüchen auseinanderzusetzen: Siemens profitiert wie kaum ein anderes Unternehmen von der Weltmachtrolle des neuen Deutschland.