Antisemitische Beteuerungen

Wie ein Robin Hood im deutschen Blätterwald muß sich die "Gefahr aus dem Osten" (Eigenwerbung) vorgekommen sein. "Pressegeier über Gollwitz" titelte die junge Welt am 6. Oktober und schwang sich auf, die beschimpften und beleidigten Bewohner der "märkischen Sandbüchse" zu rächen. Journalisten "von westlich der Elbe" hätten in Gollwitz einen neuen "Fall ostdeutschen Antisemitismus" ausgemacht, analysiert Peter Murakami messerscharf. Und beklagt sich über seine Kollegen, diese ließen sich auch von den "Beteuerungen der Dorfbewohner, daß sie keine Ausländerfeinde sind", nicht umstimmen. Nur weil sie Nein zu Plänen gesagt hätten, "die nicht einmal mit ihnen diskutiert wurden", müßten sie sich jetzt "landesweit in den Medien als Antisemiten, Rassisten und Ausländerfeinde beschimpfen lassen".

Und wenn sich der eine oder andere doch daneben benehmen sollte, dann hat der junge-Welt-Reporter auch gleich die Erklärung parat: Von oben werden sie im sozialen Elend gehalten, "weder einen Kaufladen oder eine Kneipe; noch eine Kita, eine Schule oder ein Jugendzentrum" gebe es in dem Dorf. Doch nicht nur eine Kneipe fehlt in Gollwitz, offenbar auch ein Fernsehstudio: Das Fernsehteam vom ORB sei "eigens zur Berichterstattung aus Gollwitz angereist". Welches Elend!

Einen Tag nach ihrem Einsatz für die verfolgten Gollwitzer scheint die Redaktion der jungen Welt Angst bekommen haben, es könnte sie jemand antisemitisch schimpfen. Und reagierte wie die Gollwitzer: Sie beteuerte, keinesweg antisemitisch zu sein. Um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, schrieb Werner Pirker einen Kommentar: "Beschwichtigung sollte grundsätzlich verboten sein, wann immer antisemitisches Gedankengut geäußert wird, ob in offener oder relativierender Form." Da sie aber nicht verboten ist, kann man ja gleich weitermachen. Daß "neudeutsch organisierte 'Antifaschisten' über die 'braunen Kollektive' herfallen", diene "dem alten Auftrag zur Verschleierung der gesellschaftlichen Verhältnisse", weiß Pirker. Zwar hätte er es netter von den Gollwitzer "ehemaligen Kollektivbauern" gefunden, wenn sie "die Ankunft der Asylsuchenden mit Forderungen nach einer entscheidenden Verbesserung der Infrastruktur" verbunden hätten. "Doch da, wo es keine Kindergärten, Jugendklubs, ja nicht einmal eine Kneipe zur zwischennationalen Kommunikation gibt, hält sich die christliche Nächstenliebe in Grenzen."

Es ist die gleiche Leier wie bei Murakami. Das Volk ist eigentlich gut, zumal wenn es sich um "ehemalige Kollektivbauern" handelt. Wenn diese sich mal im Ton vergreifen, dann liegt es eben daran, daß "mit der von oben bewußt betriebenen Sozialisierung des Elends die Krisenopfer gegeneinander ausgespielt" werden (Pirker). Deshalb zeichnet Murakami ein düsteres Bild von Gollwitz. Wie "von Gott und der Welt vergessen" liegt es im märkischen Sand, eine Wasserpumpe "rottet vor sich hin" und ein Jugendlicher weiß sogar zu berichten, daß einige im Dorf Hunger leiden. Murakami weiß auch, was man dem geschundenen Volk geben müßte, damit es seine gute Seite zeigen kann: "Arbeit, Sinn und so etwas wie einen sozialen Mittelpunkt" und das alles hatten sie, bis die LPG "Neues Leben" geschlossen wurde. Nur eigenartig, daß zu DDR-Zeiten die Leute das Kaff verließen, während nach 1990 22 Familien neu nach Gollwitz gezogen sind.

Doch wie schreibt Murakami so schön über seine Zunft: "Wer ein Weltbild hat, was braucht der Fakten?"