Barbara John

»Alle können nicht hierbleiben«

Barbara John ist seit 1981 Ausländerbeauftragte des Landes Berlin. In der Debatte nach der Rede von Günter Grass polemisierte der "Moral-Philosoph" (Bild) Alfred Grosser gegen Grass und rühmte die Gemeinsamkeiten zwischen Türken und Deutschen, die "trotz mancher Feuermorde" entstanden seien: "Teilweise durch die schöne Arbeit der Ausländerbeauftragten, insbesondere Barbara John in Berlin." Frau John hatte Ende September in der taz gefordert, eine Trennlinie "zwischen Zuwanderung plus Integration und Zuwanderung ohne Eingliederungschancen" zu ziehen.

Wofür muß man Ihrer Meinung nach die Deutschen loben?

Man muß anerkennen, daß sie im Vergleich mit anderen europäischen Ländern die bei weitem großzügigste Aufnahmepolitik für Flüchtlinge machen. Das gilt vor allem für Kriegsflüchtlinge. Von ihnen haben wir mehr als doppelt soviel aufgenommen als die andern europäischen Länder zusammen.

Trotzdem nennt Günter Grass die deutsche Abschiebepraxis eine "demokratisch abgesicherte Barbarei".

Herr Grass hat eine hoch polemische Bemerkung gemacht. Aber ich glaube schon, daß er ein Mensch ist, der sich ernsthaft Sorgen macht um das Problem, das er angesprochen hat. Vielleicht will er in einem Land leben, das ganz nach moralischen Entweder-Oder-Kategorien handelt. Moralisch richtig wäre dann: Ich nehme alle Menschen auf, die sich gerade innerhalb meiner Grenzen befinden und lieber hier bleiben wollen, als zu Hause zu sein. Aber das kann kein Land. Ich wüßte auch nicht, warum ein Land so handeln sollte.

So weit geht ja Grass nicht einmal. Er kritisiert konkret die Abschiebepraxis. Sie meinen, Barbarei sei dafür ein zu starker Ausdruck. Wie würden Sie die Abschiebungen bezeichnen?

Er sagt: Tausende "sitzen in Abschiebelagern hinter Schloß und Riegel, Schüblinge werden sie auf neudeutsch genannt", und weiter: "Es ist wohl so, daß wir alle untätige Zeugen einer abermaligen, diesmal demokratisch abgesicherten Barbarei sind." Jeder weiß doch, was er damit meint. Er spielt auf die Barbarei der Nazizeit an - "diesmal demokratisch abgesichert". Ich kann doch nicht die Zeit der Nazi-Barbarei vergleichen mit 1997, wo Deutschland das Land ist, das die meisten Flüchtlinge aufnimmt. Da muß er konkret werden und sagen, an der Abschiebehaft gefällt mir das und das nicht. Oder er muß sagen: Ich will gar keine Abschiebehaft. Dann muß er die Folgen verantworten, nämlich völlig unkontrollierte Zuwanderung.

Aber im April haben Sie doch selbst die Abschiebepraxis der Berliner Innenbehörde kritisiert.

Natürlich, das muß man auch immer wieder. Aber ich würde doch nie sagen, das ist eine demokratisch abgesicherte Barbarei. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, daß den Abschiebehäftlingen keine unnötigen Härten auferlegt werden. Wir haben als eines von wenigen Länder ein Abschiebehaft-Gesetz. Es ist ohnehin hart genug, der Freiheit beraubt zu werden. Und unnötige Härten sind, wenn die in Abschiebehaft Befindlichen keine Sportmöglichkeiten haben, wenn kein Sozialarbeiter da ist, der auch Kontakte zur Außenwelt aufrechterhält, wenn sie nicht regelmäßig Besuch empfangen können.

Aber es läßt sich doch nicht bestreiten, daß die Asylrechtsänderung 1993 es auch politisch Verfolgten schwerer gemacht haben, hierher zu kommen.

Nach wie vor kommen 50 Prozent aller in die EU einreisenden Flüchtlinge nach Deutschland. Und es ist doch gar nichts dagegen zu sagen, wenn auch die umliegenden Länder Flüchtlinge aufnehmen. Auch Polen gewährt Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention, die Tschechische Republik und Ungarn ebenfalls. Ich frage mich, warum Flüchtlinge nicht in diesen Ländern bleiben können, wo sie oft einfacher Asyl bekommen als bei uns. Die Flüchtlinge haben keine Ahnung, wie das Asylrecht beschaffen ist. Aber sie haben natürlich alle eine Ahnung davon, was es dort an Geld gibt und wie die materielle Ausstattung für Asylbewerber in Deutschland und in osteuropäischen Ländern geregelt ist.

Deutschland hat doch tatsächlich mehr materielle Möglichkeiten als Polen.

Natürlich, aber wenn ich ein Flüchtling bin, dann geht es mir doch darum, daß ich geschützt bin vor den Zuständen in meinem Land, und nicht darum, daß ich mehr Geld habe. Wir müssen doch das Asylrecht so gestalten, daß möglichst schnell diejenigen anerkannt werden, die unseren Schutz brauchen, und daß sie dann eine Arbeitserlaubnis und Ausbildungsmöglichkeiten bekommen.

Sie schreiben jetzt einen Brief an Grass ...

Herr Grass hat ja einen Speer geworfen, und er wollte auch treffen. Und er hat auch mich getroffen, weil ich auf diesem Feld tätig bin. Ich will ihm einfach schreiben, was ich anders sehe. Und ich will ihm schreiben, wo ich meine, daß man etwas mit Kritik erreichen kann und wo nicht. Ich habe einfach die Befürchtung, daß sein Anliegen in dem Getöse, das er durch seine polemische, pauschale Kritik erzeugt, untergeht und so gar nichts bewirkt wird.

Grass sagt auch, die harte Haltung des Innenministers leiste den Rechtsradikalen Vorschub, weil er in die gleiche Kerbe haut wie sie.

Wo sagt er das?

Er sagt wörtlich: "Spricht nicht der in Deutschland latente Fremdenhaß, bürokratisch verklausuliert, aus der Abschiebepraxis des gegenwärtigen Innenministers, dessen Härte bei rechtsradikalen Schlägerkolonnen ihr Echo findet?"

Auch das, finde ich, ist zu polemisch, hier eine einfache Ursache-Wirkungskette herzustellen. Schließlich ist es derselbe Innenminister, der auch schon rechtsradikale Gruppen verboten hat. Ich würde Herrn Kanther nie unterstellen, daß er diese Gruppen groß machen will.

Aber Sie bestreiten nicht, daß Deutschland eine Abschreckungspolitik gegenüber Ausländern betreibt.

Nein, das ist ja ganz offen. Zum Beispiel sind die Einschränkungen des Asylbewerberleistungsgesetzes, die Verpflegung nur auf Gutschein oder das absolute Arbeitsverbot der Versuch, diejenigen Menschen abzuschrecken, die sich durch einen Aufenthalt hier bessere Lebensbedingungen versprechen. Meine Haltung dazu ist bekannt: Es ist vollkommen verständlich, daß Menschen versuchen, sich das Leben zu erleichtern - auch vorbei an unseren gesetzlichen Bestimmungen. Wir müssen die Menschen deshalb nicht entwerten. Wir müssen sie auch nicht als Menschen abstempeln, die unser Gesetz mißbrauchen, die wissen von unserem Gesetz gar nichts. Die werden von Verwandten informiert oder von Schleppern - die zahlen ja oft viel Geld dafür herzukommen.

Trotzdem können wir ihnen in der Sache nicht entgegenkommen. Wir können ihnen den Wunsch nicht erfüllen, sie hierzubehalten. Sie müssen zurück. Deswegen müssen wir die Asylverfahren so straffen, daß Menschen, die den Schutz hier nicht brauchen, schnell wieder zurückgehen.

Beschleunigte Verfahren gibt es doch schon, insbesondere am Flughafen. Das führt beispielsweise dazu, daß sich die Flüchtlinge nicht anders zu wehren wissen als mit Hungerstreiks - wie jetzt gerade am Frankfurter Flughafen.

Bei der Flughafenregelung wird ja zunächst geprüft, ob Einreisende überhaupt einen Asylgrund haben, und bei vielen wird das natürlich auch anerkannt. Ich war noch nie in einem Transitraum für Asylbewerber. Es kann schon sein, daß es da viel zu beengt ist. Aber ich sehe einfach das Dilemma, in dem sich ein Staat wie Deutschland befindet. Einerseits wollen und müssen wir Schutz gewähren, und dafür immer wieder um Zustimmung bei der Bevölkerung werben, und andererseits darf sich der Schutz nur auf diejenigen erstrecken, die ihn wirklich brauchen. Da kommt es dann zu solchen Einrichtungen, die in sich problematisch sind.

Das heißt: Um Leute, die auf gesetzlicher Grundlage integriert werden können, soll man sich kümmern. Um den Rest nicht, die sollen möglichst schnell wieder zurück.

Da haben Sie mich vollkommen mißverstanden. Von den Menschen, die kommen, wird es eine ganze Reihe geben, die auf Dauer hierbleiben und für die muß es Integrationschancen geben.

Trotzdem schreiben Sie in einem Kommentar für die taz, es gelte, eine klare Trennlinie zu ziehen "zwischen Zuwanderung plus Integration und Zuwanderung ohne Eingliederungschancen". Das schafft ja gerade die Eingliederungschancen für einen gewissen Teil der Zuwanderer ab. Deshalb fordern ja auch Sie: keine Duldung für Flüchtlinge, die zwar nicht abgeschoben werden, aber freiwillig ausreisen könnten.

Wer nach sorgfältiger Prüfung zurückkehren soll, in der Regel schließt das zwei Verwaltungsgerichtsverfahren ein, bekommt hier keinen Zugang zu Ausbildung oder Arbeit. Was soll aus ihm werden? Der Lebensstandard im Heimatland ist mit Sicherheit geringer als in Deutschland. Aber dort ist der Rückkehrer ein freier Bürger, der sein Leben aufbauen kann. In Deutschland dagegen lebt er nur in Wartestellung auf die Abschiebung. Ich halte das für kein menschenwürdiges Leben.

Allerdings müssen wir auch sehen, daß es inzwischen viele hier gibt, wie Palästinenser aus dem Libanon, Afghanen, die sich ebenfalls in diesem rechtlichen Schwebezustand befinden, obwohl sie weder zwangsweise zurückgeschickt werden können noch - und jetzt kommt das Entscheidende - freiwillig ausreisen können. Und für diese Leute fordere ich, daß man ihnen eine Aufenthaltsbefugnis mit Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt geben muß.

Bei Ihnen heißt es auch, es sei beunruhigend, wenn nicht mehr der Gesetzgeber, sondern der ausreisepflichtige Ausländer selbst bestimmt, wie lange er hier bleibt. Das klingt so, als lägen der Berliner Ausländerbeauftragten die Sorgen der deutschen Gesellschaft näher als die der Flüchtlinge.

Wenn nur dieser törichte Versuch, Flüchtlinge einerseit und deutsche Gesellschaft andererseits auseinanderzudividieren, endlich aufhörte. Ein beliebtes und aus meiner Sicht gefährliches Spiel einiger Linker in Deutschland. Die deutsche Gesellschaft ist die offenste für Flüchtlinge weit und breit. Und damit das auch so bleibt - denn es wird auch weiterhin internationalen Schutz geben müssen für Verfolgte -, müssen wir klare Signale an diejenigen geben, die diesen Schutz nicht brauchen, besonders an die Schlepper.

Ich habe oft den Eindruck bei dieser Diskussion, daß Vertreter einer Politik der unkontrollierten Zuwanderung es in Kauf nehmen, wenn die Wohnbevölkerung in Deutschland, dazu gehören schon 7,2 Millionen Ausländer, sich mehr und mehr vom Gebot des internationalen Schutzes abwendet. Mir liegt als Auländerbeauftragten am Herzen, daß es in Deutschland nicht nur ein Asylgesetz gibt, sondern die Bereitschaft der Bevölkerung, es auch aus Überzeugung anzuwenden. Deshalb können diejenigen nicht bleiben, die den Schutz gar nicht brauchen.