Am Ende der Unbesiegbarkeit

Zum ersten Mal in Argentiniens Geschichte hat eine peronistische Regierung die Wahlen verloren

Mit dem Ausgang der Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag scheint das Ende der Ära Menem eingeläutet: Auch wenn die Amtszeit des Präsidenten erst 1999 offiziell ausläuft, wird der Peronisten-Chef die ausstehenden zwei Regierungsjahre ohne eigene Mehrheit im Kongreß durchstehen müssen, ein in der wechselvollen Geschichte seiner Partei bislang einmaliges Fiasko. Mehr noch: mit 36 Prozent der Stimmen fuhren die Peronisten einen historischen Tiefstwert ein.

Die Opposition, deren wichtigste Gruppierungen, die sozialliberale Radikale Partei (UCR) und das Mitte-Links-Bündnis Frepaso, sich erst vor wenigen Monaten zu der Koalition "La Alianza" zusammengeschlossen hatten, kam dagegen landesweit auf 46 Prozent, der Rest der Stimmen ging an Regionalparteien. Die Vereinigte Linke, ein Zusammenschluß aus Kommunisten und Trotzkisten, ging angesichts der starken Polarisierung zwischen Peronisten und Alianza mit weniger als einem Prozent sang- und klanglos unter.

Besonderes Augenmerk galt den Ergebnissen in der Bundeshauptstadt und der umliegenden Provinz Buenos Aires, den beiden Bezirken, die zusammen knapp die Hälfte der Wahlberechtigten auf sich vereinigen und in denen die aussichtsreichsten Kandidaten für die Präsidentschaftsnachfolge gegeneinander angetreten waren. In der Hauptstadt, traditionell von Radikalen und Linken dominiert, fuhr die Opposition mit dem Frepaso-Chef Carlos "Chacho" çlvarez, einem ehemaligen Linksperonisten, mit 57 Prozent ihr landesweit bestes Ergebnis ein, während die Regierungspartei mit mageren 18 Prozent nur hauchdünn vor der Wahlplattform des ultraliberalen Ex-Wirtschaftsministers Cavallo den zweiten Platz retten konnte.

Die große Überraschung war jedoch das Ergebnis der Provinz Buenos Aires, der von Vorstädten und Industrierevieren geprägten Umgebung der Hauptstadt, traditionell die mächtigste Bastion der Peronisten. Der Provinzgouverneur Eduardo Duhalde, bis dato starker Mann der Partei und Hauptanwärter auf den Präsidentenposten nach dem Auslaufen von Menems Mandat, hatte - in bewußter Anlehnung an die legendäre Evita Per-n - seine eigene Ehefrau "Chiche" als Spitzenkandidatin ins Rennen geschickt. Doch entgegen allen Umfragen unterlag diese mit 41 Prozent gegen 48 Prozent der Stimmen für die Spitzenkandidatin der Alianza, die Frepaso-Politikerin und ehemalige Menschenrechtsaktivistin Graciela Fern‡ndez Mejide.

Die Gründe für das Debakel der Regierungspartei sind vor allem in der verbreiteten Unzufriedenheit mit dem ultraliberalen Programm Menems und seines Wirtschaftsministers Roque Fern‡ndez zu suchen, deren Politik der Währungsstabilität und des Haushaltsausgleichs nach acht Jahren des Ausverkaufs der Staatsbetriebe verheerende soziale und infrastrukturelle Konsequenzen zeitigt. Weniger als ein Drittel der werktätigen Bevölkerung Argentiniens verfügt heute noch über einen Arbeitsplatz mit sozialer Absicherung; über 70 Prozent arbeiten auf der Grundlage von Zeitverträgen oder als Selbständige, was die immense Zahl von prekären Jobs im sogenannten "informellen Sektor" - fliegende Händler, Chauffeure, Kaffee- und Essensbudenpächter - einschließt. Die Arbeitslosenrate liegt mittlerweile bei 17 Prozent. Gegenüber einem Preisniveau westeuropäischen Zuschnitts liegen die Gehälter - mit Ausnahme der Wachstumsbranchen Werbung, Versicherungen, Fernsehen oder Design - weiterhin im lateinamerikanischen Durchschnitt: ein Lehrer verdient monatlich 400, ein Universitätsprofessor 1 500 Dollar.

Im Wahlkampf hatte die Regierung zunächst hartnäckig ökonomische Argumente wie die Inflationsrate von 1,5 Prozent oder die Wachstumsprognosen von sieben Prozent in Stellung zu bringen versucht. Erst in letzter Minute hatte sie mit ebenso durchschaubaren wie finanziell völlig ungesicherten Wahlgeschenken an Rentner, Arbeitslose und Lehrer auf das soziale Unbehagen reagiert. Die Oppositionsallianz sucht sich hingegen als lateinamerikanische Ausgabe des Phänomens Tony Blair zu präsentieren und äußert folglich allenfalls vorsichtig Kritik am neoliberalen Modell, das durch staatliche Strukturmaßnahmen "sozial abgefedert" werden soll. Zu profilieren versuchen sich die Alianza-Spitzenkräfte hingegen als Alternative zur grassierenden Korruption im argentinischen Staats-, Justiz- und Polizeiapparat, was bei der Wählerschaft offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen ist.

Die strukturelle Verflechtung des menemistischen Apparats mit einem mafiösen Klientelismus ist Dauerthema in der argentinischen Presse. Episoden wie die Flucht des der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe überführten Spitzenkandidaten der Peronisten in Buenos Aires nach Brasilien - inklusive falschem Schnurrbart und Sonnenbrille - gehören noch zu den harmlosesten. Immer deutlicher wurde in den letzten Monaten die Verstrickung von Polizei und Justiz in die Vertuschung der Bombenattentate auf jüdische Einrichtungen in Buenos Aires, die Ermordung von Journalisten, die den Bestechungen regierungsnaher Wirtschaftsbosse nachgegangen waren, oder die Fälle von willkürlichen Festnahmen, Mißhandlungen und Ermordungen von Jugendlichen durch Polizeibeamte.

Die peronistische Partei ist nach der Niederlage eilig zu dem übergegangen, was sie nach weit verbreiteter Ansicht am besten beherrscht: zum internen Grabenkampf. Ein sichtbar konsternierter Präsident Menem versuchte, das Debakel seinem Erzrivalen Duhalde in die Schuhe zu schieben, mit der Begründung, er selbst habe ja nicht kandidiert und folglich auch nicht verloren. Die peronistischen Gewerkschaften und der Sprecher der Parlamentsfraktion, Humberto Roggero, forderten die Rückkehr zu den populistischen Grundlagen der Bewegung. Und Regierungssprecher Jorge Rodr'guez warnte vor "illoyalen Verrätern" in den eigenen Reihen. Die internen Gegenkandidaten Duhaldes, der Schnulzensänger Palito Ortega und der Ex-Formel 1-Pilot Carlos Reutemann, versuchen sich derweil für 1999 als Retter der Partei in Position zu bringen.

Auf seiten der Alianza werden Fern‡ndez Mejide und der Bürgermeister von Buenos Aires, Fernando de la Rua, als wahrscheinliche Präsidentschaftskandidaten gehandelt. Beide versuchen sich als moderate Vertreter der bürgerlichen Mitte zu profilieren, wenn es sein muß, auch durch das Abwerfen "linken" Ballastes: De la Rua paukte unlängst ein autoritäres Polizeigesetz durch das Stadtparlament, und Mejide, bislang durchaus als Feministin bekannt, sprach sich mit Seitenblick auf traditionelle Wählerschichten gegen eine Reform des Abtreibungsrechts aus.

Mehr als einen Umschwung zugunsten einer - wenn auch gemäßigten - Linken könnte das argentinische Wahlergebnis daher einen lateinamerikanischen Trend zugunsten einer bürgerlich-urbanen Hegemonie innerhalb des neoliberalen Modells markieren. Denn das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag zeigt vor allem den Verfall der populistisch-klientelistischen Koalition aus Unternehmertum, peronistischer Arbeiterschaft und Provinzoligarchien, auf deren Gleichgewicht die Machtverteilung der Regierung Menem beruht hatte, sowie den Aufstieg eines bürgerlich dominierten Bündnisses. Diese neue Hegemonie profitiert vor allem davon, daß angesichts der Verschärfung der Verteilungskämpfe und knapper Ressourcen die Gemeinsamkeiten der diffusen peronistischen Basis zusehends schwinden.