Bibi gegen den Rest der Welt

Ein geplantes Religionsgesetz sorgt für Krach zwischen jüdischen Gemeinden in den USA und der israelischen Regierung

Der israelische Botschafter in den USA, Eliahu Ben-Elissar, sandte an seinen Chef, den Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, eine Nachricht mit besonderem Inhalt. Die jüdischen Gemeinden in den USA seien nicht mehr bereit, Israel zu verteidigen, heißt es da, falls sich ihr Eindruck bestätigt, daß Jerusalem "uns nicht will".

Grund für die Verärgerung ist der Plan der Rechtskoalition, im November ein sogenanntes Übertritts-Gesetz zu verabschieden, wonach nur noch das in Jerusalem ansässige Oberrabbinat entscheiden soll, wer zum Judentum konvertieren darf und wer nicht. Am Dienstag letzter Woche einigte man sich, das ganze Projekt vorerst bis Januar zu verschieben.

Aus Angst vor den innenpolitischen Turbulenzen, die das Gesetz mit sich bringt, hatte Staatspräsident Ezer Weizman zuvor seinen schon lange für Dezember geplanten China-Besuch abgesagt.

Der Widerstand gegen das Gesetz ist weitgefächert. Er vereinigt nahezu die gesamte jüdische Diaspora, und auch in Israel selbst ist die Zahl der Gegner groß. Ismar Schorsh, ein führender konservativer Rabbi aus den USA, sagt, Netanjahu müsse sich entscheiden "zwischen der Einheit des jüdischen Volkes und dem Zusammenhalt der Koalition".

Dabei kann Netanjahu, den in Israel alle nur "Bibi" rufen, noch nicht mal den Fortbestand des Regierungsbündnisses gewährleisten. Das zunächst unproblematisch anmutende Zugeständnis Netanjahus an seine ultra-orthodoxen Koalitionspartner bringt mittlerweile zwei andere Regierungsparteien auf die Palme. Yisrael b'Aliya und die Partei des Dritten Weges kündigten an, das neue Gesetz abzulehnen.

Netanjahu und seine Parteifreunde haben in den letzten zwei Wochen hektische Aktivitäten begonnen, um die Regierung doch noch zusammenzuhalten. Finanzminister Yaakov Neeman rief eine Kommission ins Leben, die einen Kompromiß aushandelte, der zwar den ersten Entwurf entschärfte, aber den konservativen und Reformrabbinern in aller Welt wesentlich mehr abverlangte als den Orthodoxen. So zum Beispiel ist die Erlaubnis, eine Hochzeitsfeier abzuhalten (die von Israel auch als staatliche Hochzeit anerkannt wird), daran gebunden, daß künftig Vertreter des Oberrabbinats als Zeugen anwesend sind, und so wurde ihnen nur eine Beteiligung bei der Vorbereitung von Glaubensübertritten zugestanden, nicht aber, sie selbständig durchzuführen.

Doch zum Ärger von Netanjahu lehnten Oberrabbinat und religiöse Parteien auch diesen Kompromiß ab. Die Zeitung Ha'aretz ist empört: "Wenn konservative und sogar Reformjuden bereit sind, die orthodoxe Interpretation jüdischer Gesetze zu akzeptieren, wie kann man sie dann fortgesetzt als 'Clowns' beschimpfen, wie es der Oberrabbi der Sepharden, Bakshi-Doron, getan hat?"

Der Streit ist nicht primär ein religiöser, sondern vor allem ein politischer. Sepharden nennt man in Israel die orientalischen Juden, eine Gruppe, die in der Bevölkerung die Mehrheit stellt, aber nur einen geringen Anteil an politischer und wirtschaftlicher Macht hat. Die andere Gruppe, die Ashkenasi, sind die aus westlichen Gesellschaften stammenden Juden, und ihnen sind gute Kontakte in die USA wichtiger als den Sepharden.

Wenn Maariv schreibt, man könne nur "schwer glauben, daß die radikalsten der ultra-orthodoxen Knesset-Abgeordneten nicht verstehen wollen, daß dem jüdischen Volk ein Desaster droht, wenn sie ein Gesetz passieren lassen, daß die gebildete, aufgeklärte und einflußreiche Mehrheit der amerikanischen Juden abspalten wird", wenn die Jerusalem Post warnt, kein verantwortlicher jüdischer Politiker könne so ein Gesetz wollen, denn es koste politische Sympathie in der Diaspora, und wenn Ha'aretz "beschädigte Beziehungen zum amerikanischen Judentum" beklagt, dann sind das Argumente, die in den ausgehenden neunziger Jahren in Israel auf weniger Gehör stoßen als in den früheren Jahrzehnten. Welche Stimmung in einem Teil des Landes herrscht, drückt der ultraorthodoxe Knesset-Abgeordnete Avraham Ravitz aus. Er nennt die Vertreter der konservativen und der Reformströmungen "Verlierer, die die Nerven haben, mit ihrem Geld und ihrer Lobby nach Israel zu kommen, und nun denken sie, sie könnten Israel etwas diktieren, als wären wir eine Bananenrepublik". Regierungsmitglied Meir Porush bezog gegen die Kritik aus den USA noch deutlicher Stellung: "Wir haben es hier mit einer großmäuligen Gruppe zu tun, deren Benehmen aus Heuchelei, Selbstgerechtigkeit und Scharfmacherei besteht."

Im Kern geht es um die Frage, wie sich Israel selbst definiert, welches Verständnis von Zionismus man hat, wie weit die Religion das gesellschaftliche und politische Leben bestimmen darf, und nicht zuletzt, ob sich Israel weiter als eine westlich-demokratische Gesellschaft verstehen will. Der Vorsitzende der Jewish Agency, Avraham Burg, beschreibt es so: "Wer ein Gesetz verabschiedet, das 65 Prozent des jüdischen Volkes ausschließt, wird eine Situation schaffen, in der Israel nicht länger Heimstatt der Juden ist, wie es von der zionistischen Bewegung gewollt wurde. Darum ist dieses Gesetz antizionistisch."

Die breite Allianz der Gegner dieses Gesetzes will vor dem Höchsten Gericht klagen, und erst die Intervention von Staatspräsident Weizman bewirkte, daß sie unter Zusicherung, daß die Neeman-Kommission wieder auf die Suche nach einem Kompromiß geht, ihre Klage bis zum 31. Januar zurückhält.

Weizman brachte auch den beim Oberrabbinat für Konversion zuständigen Rabbi Yisrael Rosen dazu, zumindest wieder "eine Basis für eine Diskussion" zu erkennen. Und der Vorsitzende der Knesset-Kommission, die das Gesetz für die zweite und dritte Lesung vorbereiten soll, Shaul Yahalom von der Nationalreligiösen Partei, versprach, sein Gesetzesvorhaben erst einmal ruhen zu lassen.

Damit hat Netanjahu wieder eine Verschnaufpause, die er dringend braucht. Wie Ha'aretz am letzten Mittwoch meldete, benötigt der Premier noch bei einem anderen politischen Problem dringend die Unterstützung der jüdischen Organisationen in den USA. Wenn er Mitte November in die USA fliegt, um beim Jahrestreffen jüdischer Organisationen in Indianapolis um Verständnis für sein Übertrittsgesetz zu werben, will er gleichzeitig US-Präsident Bill Clinton treffen. Der hatte ihm ausrichten lassen, daß schon das letzte Treffen unproduktiv gewesen sei. Jetzt sollen die US-amerikanische Juden Netanjahu helfen, doch noch einen Termin im weißen Haus zu bekommen.