Chromosexualität

Action-Kino: Alain Berliners Film "Mein Leben in Rosarot"

Ludovic (Georges du Fresne) ist ein kleines Mädchen, das in einer bescheuerten Siedlung lebt. Jägerzaun, Garagen, Reihenhäuser - ganz klar: Hier herrscht Sommer das ganze Jahr. Das Problem der Filmheldin in Alain Berliners Film "Mein Leben in Rosarot": Sie ist ein kleiner Junge. Aber daß das heutzutage noch ein Problem sein soll, glaubt wahrscheinlich kein Mensch mehr. Für Berliner reicht's trotzdem.

Wenn das also bei der dünnen Ausgangslage wirklich aufgehen soll, braucht's eine passende Umgebung. Der Reihe nach: Ludovic, dem zerbrechlichen kleinen Jungen, geht es eigentlich ganz gut. Mit der lieben Mama (Michèle Laroque), dem cholerischen Papa (Jean-Philippe Ecoffrey), manchmal der flippigen Großmutter (Hélène Vincent) und ein paar Geschwistern lebt er zwischen Schule, Fußballverein und Kindergeburtstagen dahin. Was ihn indes von der Gemeinschaft unterscheidet: Ludovic ist der Meinung, daß er verdammt gut in Mädchenklamotten aussieht, und mit Barbiepuppen spielt er auch ganz gern (hier heißen sie Pam und Ben). Und den besten Kumpel will er auch heiraten.

Dummerweise taucht Ludovic bei dem einem und anderen öffentlichen Ereignis dergestalt angetuntet auf, daß die Eltern sein Treiben zunächst mit doofen Witzen, alsbald aber mit Restriktionen (entsprechende Formen des Freiheitsentzuges wie Stubenarrest u.ä.) bestrafen. Sowie mit Arbeits- bzw. Sportdienst und der Ärztin. Spätestens als er sich im Schultheater widerrechtlich die Rolle des Schneewittchens aneignet, hat er endgültig verschissen. Mit anderen Worten: Ludovic zelebriert ein permanentes Coming out, und dabei ist er doch erst sieben! Aber bis ins siebte Lebensjahr sucht man nach seiner geschlechtlichen Identität, das weiß seine Mutter genau. Es steht nämlich in Marie Claire.

Wie alle wissen, nur Ludovic nicht: Frauen sind auf dieser Welt besonders benachteiligt, und ihm bleibt nichts übrig, als darüber hinaus seine eigene Randgruppe aufzumachen. Weil ihm die Schwester flüstert, daß der liebe Gott die Chromosomen mit dem Eimer über den Menschen ausschüttet, wobei schon mal eines danebenhüpfen kann, ist er der Auffassung, daß ihm die Ickse nur zufällig doppelt in die Zellen gefahren sind. Und die Ypse werden ihren Weg schon noch finden, lautet die These seiner Chromosexualität. So lange wird die Frisur gehütet, auf daß sich eine ansehnliche Matte daraus entwickle. Die Eier hat Ludovic also per Zufall bekommen. Und übrigens: Die Eltern hätten lieber ein Mädchen gehabt. Hätten sie ihm das bloß nicht gesagt!

Ein Pech, daß der Rest der netten Nachbars-Gang da nicht mitmachen will. Alle guten Freunde der Eltern unterschreiben eine Petition an den Schuldirektor, das schwule Objekt habe gefälligst dem Unterricht fernzubleiben. Ansonsten gibt's Kloppe, das exerzieren ihre Vorgartenzwerge schon mal so zielorientiert durch, daß selbst Ludovics schlagkräftige Brüder nicht einschreiten. Die junge Frau zieht Konsequenzen. Erst nach gründlicher Suche findet ihn seine Mutter in der Kühltruhe - Selbstmord in dem Alter: Das ist harter Stoff.

Da die Nachbarschaft aber nicht nachläßt, irgendwas wie "Verpiß dich, Schwuchtel" auf die Garagentür sprayt, bleibt letztlich nur der Umzug. Der Ortswechsel aber hält für die Problemfamilie noch eine erfreuliche Überraschung bereit.

What's up? Ist das nachzuvollziehen? Sicher nicht, aber was macht das schon. Wir sind im Kino und wollen das Drama auf der Leinwand. Immer tiefer rutschen wir in den Kinosessel, vor Angst um die kleine Drag Queen. Die es sich zudem in einer poppig-bunten Phantasiewelt mit lauter guten Menschen bequem gemacht hat. Und die Realität ist ja nicht weit entfernt: Das knisternde Schließen von Reißverschlüssen, die Sonnenblume mit der Großmutter im gelben Cabrio - "Ich wollte hübsch sein", läßt Ludovic wissen, wenn er mal gerade wieder für einen seiner kompromittierenden Auftritte abgestraft wird. "Kinder sind wie Spaghetti: Die springen dauernd von der Gabel", lehren die Erwachsenen. Könnte man die Biester doch nur fester irgendwo anspießen, wo sie garantiert keinen Unfug machen. Aber dann könnten sie nicht so zu den Techno-Tracks aus dem Radio rumzappeln.

So erklärt man sich und anderen, daß Schwulsein schlimmer ist als der Tod. Und es hält ja sogar die Arbeitslosigkeit Einzug, und das nur wegen Ludovics Spinnereien. Der Vater kann nicht mehr und tobt herum. Das wußte aber auch schon vorher jeder, daß die Identität vom Wertschöpfungsgesetz und diversen Verwertungsprozessen aufgezwungen wird - so funktioniert Enfant-Mißbrauch im Lande Dutroux wirklich.

Wie ihn sich Alain Berliner vorstellt. Ein ansehnliches Kino-Debüt. Auch oder vor allem wegen der Schauspielerin Michèle Laroque als Ludovics Mutter Hanna macht's Spaß hinzusehen. Fanden die Juries in Cannes und Karlsbad, wo "Mein Leben in Rosarot" seine Preise bekam. In Frankreich, Schweiz und Belgien läuft der Film bis in die Top-Charts hinein: Das Publikum erkennt sich wieder.

"Mein Leben in Rosarot". F/B/GB 1997. R Alain Berliner, D Michèle Laroque, Jean-Phillipe Ecoffrey, Hélène Vincent, George du Fresne, Daniel Hanssens. Start: 6. November