Börsencrash live

Der Sinn von n-tv

Die von den einen "Börsen-Crash", von den anderen "ohnehin fällige Korrekturen" genannten Kursstürze an den internationalen Hauptbörsen brachten neben viel Aufregung auch endlich Antwort auf die bislang ungelöste Frage: "Wozu braucht man den Sender n-tv?"

Um die jeweils aktuellen Notierungen deutscher Aktien, die dort ständig durchs Bild laufen, sofort zu erfahren und dem n-tv-Programm immerhin einen aktuellen Touch gaben, jedenfalls bestimmt nicht. Denn die sind aus börsenrechtlichen Gründen bis zu 20 Minuten alt. Auch Nachrichtengucken kann man beim Nachrichtensender vergessen, jedenfalls dann, wenn man gern Aktuelles erfahren möchte.

Aber dann, nach der ziemlich übertriebenen vorzeitigen Schließung des New York Stock Exchange vorige Woche Montag zeigte sich plötzlich, daß n-tv doch nicht ohne tieferen Sinn existiert. Denn dort kann man dem japanischen Nikkei- und dem Hongkonger Hang-Seng-Aktienindex live beim Abstürzen zusehen. Nun ist es nicht etwa so, daß der Sender nachts live von den jeweiligen Börsen berichten würde, das ginge auch gar nicht, denn zu dieser Zeit muß er das Programm von tagsüber wiederholen. Aber n-tv hat Videotext, und der zeigt auf der Tafel 280 die zwölf Hauptbörsen live, ungefähr alle zwei Minuten werden die Kurse aktualisiert. Ab zwei Uhr nachts überträgt man so den Nikkei-Index, eine Stunde später öffnet die Hongkonger Börse.

So konnte man am Dienstag der vorigen Woche gemütlich auf der Couch sitzen und gebannt darauf warten, ob der Hang-Seng unter 9 000 Punkte rutscht und dann vielleicht auch noch die 8 oooer-Grenze schafft - keine dieser Grenzen ist - außer als psychologische Barriere - richtig wichtig. Ist der Kurs dann genügend tief gefallen, kann man mit sich selbst wetten, ab wann die ersten Profiteure einsteigen. Das alles macht viel mehr Spaß als die nächtlichen Jürgen Fliege-Wiederholungen in der ARD, das Autofahren im Zweiten und der ganze andere Quatsch, von dem die Sendeanstalten annehmen, daß er die Nachtaktiven unter uns unterhält.

Aber n-tv ist letztlich doch nur

n-tv. Ende letzter Woche geschah es: Schon kurz nach der Öffnung der Tokioer Börse zeichnete sich, trotz Gewinnen in New York, ein weiterer Kursverfall ab. Den man natürlich gern wieder live verfolgen möchte, denn wann immer sich die Chance bietet, am nächsten Tag verzweifelte Broker aus dem Fenster fallen zu sehen, möchte man doch gerne viel Zeit zur Vorfreude haben. n-tv sendete gerade zum 24. Mal an diesem Tag einen Bericht über den Fall Kim, ein ermordetes Mädchen, der Prozeß gegen den Täter hatte gerade begonnen. Aber einen Live-Bericht hatte man sowieso nicht erwartet, deswegen wurde der Ton ab- und der Videotext eingeschaltet. Aber dort passierte exakt gar nichts, mehrere Stunden lang. Kein Nikkei, kein Hang-Seng.

Alle ins Kabelnetz eingespeisten Sender nach Börsennachrichten abzusuchen dauert sehr lange, aber schließlich war es soweit und n-tv wieder genauso überflüssig wie vorher. Denn der französische Sender TV 5 überträgt in seinem Videotext ebenfalls die Börse. Dort werden die Kurse zwar nur alle zehn Minuten aktualisiert, aber immerhin kann man den Ton eingeschaltet lassen und nebenher noch ein bißchen Fremdsprachen lernen, denn dort ist die ganze Nacht hindurch jemand auf Sendung, der Sachen erzählt.