Die Rückkehr der Zombies

RAF für Einsteiger. Ein Grundkurs an fünf Abenden in der ARD.
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ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann hat sich einen Traum erfüllt: Eine fünfteilige Serie zur Geschichte der RAF geht zwischen dem 9. und 14. November über den Sender. Der ARD-Boß legt Wert darauf, daß er selbst den Anstoß zu dieser Idee gegeben hat. Er hatte da wohl noch ein Stück persönliche Geschichte aufzuarbeiten, schließlich war der damals junge Reporter selbst von starker "Beklemmung" befallen, als er im Autoradio von den Toten im Stammheimer Knast hörte. "Wenn das nicht stimmt, das mit den Selbstmorden", so zweifelte der engagierte Nachwuchsjournalist an den von seinen Kollegen verbreiteten Verlautbarungen, "dann ist der Staat am Ende".

Nun, der Staat ist nicht am Ende. Grund genug für von der Tann, endlich seinen Stammheimkomplex abzulegen. Hatte er irgendwann Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der BRD, sind sie nun passé. "Heute bin ich überzeugt, daß es stimmt", das mit dem Selbstmord, resümiert er.

Zwar hat sich die Beweislage in 20 Jahren keinen Millimeter zugunsten der Selbstmordversion verändert, aber wenn die Von-der-Tann-Hypothese vor 20 Jahren stimmte - und wieso sollte sie das nicht? - dann ist nun, da der Staat nicht am Ende ist, der kollektive Selbstmord der RAF-Gefangenen in Stammheim endgültig belegt.

Nicht alle haben anläßlich des 20. Jahrestages des Deutschen Herbstes auf solch galante Weise ihre Komplexe abbauen können wie der ARD-Chefredakteur. Denn die fünf Folgen, die von jeweils unterschiedlichen Länderanstalten produziert wurden, sind durchaus sehenswert, wenngleich das Ziel das gleiche ist wie bei allen Jubiläumsschriften und -sendungen, die wir über uns ergehen lassen mußten: Es geht darum, Geschichte zu schreiben, festzuschreiben und die Zweifel an diesen Staat aus dem Weg zu räumen. Er war hart, der Staat, er war vielleicht auch etwas zu hart, aber er hat keine Verbrechen begangen, er blieb immer demokratisch. Das ist die Version, die kommenden Generationen übermittelt werden soll.

So ist auch der zweite Teil der Serie, der Film des Süddeutschen Rundfunks mit dem Titel "Der Staat" (Montag, 10. November, 21.45 Uhr in der ARD), angelegt. Daran, daß die Schmidt-Regierung "überreagiert" hat im Herbst 1977, lassen die Autoren keinen Zweifel, da-ran, daß dies einem guten Zweck diente, allerdings auch nicht. Sie haben sogar im Interview mit Helmut Schmidt den schönsten Freudschen Versprecher dringelassen, den man sich vorstellen kann: Als Schmidt das Verhalten des Staates als "skrupulös" bezeichnen will, sagt er zunächst "skrupellos". Wunderbar. Auch der ehemalige RAF-Verfolger, Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, kommt zu Wort. Achtet mal darauf: Wenn der "Bundesgerichtshof" sagt, klingt das wie "Bundeskriegshof". Die anderen Filme tragen die Titel "Die Täter", "Die Familien", "Fluchtpunkt DDR" und "Die Öffentlichkeit". Kommentiert werden sie alle von einer angenehmen Frauenstimme, die, wenn man genau hinhört, wie Jodie Foster klingt. Das ist nicht verwunderlich, denn es ist die deutsche Stimme von Jodie Foster, die uns hier die RAF erklärt.

Vor allem kommen aber in allen fünf Folgen die damaligen Akteure und Zeitzeugen selbst zu Wort. Das ist gut so, wenn auch nicht immer gleichermaßen erbaulich. In der "Täter"-Folge hören wir den wie immer völlig arroganten Bommi Baumann, den Eso-Langhans, SPD-Mann Freimut Duve, der mit Ulrike Meinhof befreundet war, die Ex-Aktivisten Klaus Jünschke und Horst Mahler und leider, leider auch der Rechte Klaus Rainer Röhl. Und was sagen sie so?

Im Westen nichts Neues. Bommi war zu bekifft, sonst wäre er beinahe bei den Kaufhaus-Brandstiftungen in Frankfurt dabeigewesen. Und ansonsten war die RAF völlig Ballaballa. "Das Konzept RAF", war, laut Kiffer-Bommi, "Idiotie von Anfang an", er wirft den alten Kämpfern vor allem aus "militärischen Gesichtspunkten" absolute Stümperei vor, "purer Dilettantismus!" Kiff weiter, Bommi! Und was hat der Eso-Langhans zu sagen? "Wir wollten schöner leben. Das war alles." Man glaubt's ihm sofort. Und: "Der Andreas (Baader) war ein absoluter Frauentyp, ein Zuhälter-Typ." Und Langhans ist der absolute Null-Ahnung-Typ. Interessant sind nur Jünschke und Mahler. Doch auch sie mißbrauchen den Film, um ihre Komplexe abzubauen. Vor allem Jünschke, der hier endlich mal sagen muß, daß es nicht okay war, so viele Menschen abzuknallen, und daß es schön wäre, wenn sie alle wieder leben würden - die RAFler, die Fahrer und die Politiker. Na, so was. Stellt euch vor, der Schleyer würde wieder auferstehen! Plötzlich stünde er da, der Altnazi, würde sich den Staub aus dem Ärmel schütteln und sagen: "Da bin ich wieder!" Doch keine Sorge, dieser Spuk wäre schnell vorbei. Denn in Jünschkes Wünsch-dir-was-Show hätte ja auch Holger Meins seinen zweiten Auftritt, und ich wette, der würde keine Sekunde zögern und den Schleyer wieder in seine Gruft zurückbefördern.

Am angenehmsten ist in diesem Reigen der Zeitzeugen dann doch Horst Mahler. Er hat nette Anekdoten auf Lager, wie diese: "Ich habe Baader nur Comics lesen sehen, Asterix und Obelix, nie ein politisches Buch, schon gar nicht Marx. Aber in der Diskussion war er topfit." Aber er hat auch eine kritische Sicht auf die RAF: In dem Maße wie die Militarisierung zugenommen habe, seien die Inhalte abhanden gekommen, resümiert Mahler; wobei diese Feststellung natürlich längst ein Allgemeinplatz ist.

Insgesamt gibt der Film über die Täter, der eigentlich nur ein Film über Meinhof und Baader ist, viel von der Stimmung der Zeit wieder. Darum ist er trotz inhaltlicher Leichtigkeit ein guter Film. RAF für Einsteiger. Es geht nicht um die politische Analyse, aber es wird ein Gefühl dafür vermittelt, wie es zum bewaffneten Kampf gekommen ist, weshalb damals junge Leute aufgestanden sind und sich kompromißlos dem System entgegenstellten. Das war, so sagen sie, auch das Ziel der Autoren Christian Berg und Cordt Schnibben. Berg: "Wir wollten die Terroristentruppe eingebettet in ihre Generation zeigen."

Bei so viel Verständnis darf im ARD-RAF-Reigen natürlich der Zeigefinger-Film nicht fehlen. Er heißt "Die Familien" und läßt Angehörige von Opfern wie von Tätern zu Wort kommen. Der Buback-Sohn, die Mutter von Birgit Hogefeld, ein Braunmühl-Bruder natürlich und völlig unverständlicherweise die Schwester von Christoph Seidler, obwohl der sich letztes Jahr stellte und glaubhaft machen konnte, daß er eben nicht in der RAF gewesen ist. Wie Seidler wohl in den Film gerutscht ist? Aber wenn es um Gefühle geht, wird das mit der Genauigkeit schon mal nicht so genau genommen. Anders dagegen der Filmbeitrag über die Flucht der RAF-Aussteiger in die DDR, der viele interessante Details oder auch Kuriositäten des Exillebens preisgibt. Inge Viett, die sich nicht verkauft hat, kommt ebenso zu Wort wie die Kronzeugen Christine Dümlein und Ralf Baptist Friedrich.

Bemerkenswert ist auch der letzte Beitrag, "Die Öffentlichkeit" (14. November, 21.40 Uhr). Er setzt sich vor allem mit der Hatz gegen Intellektuelle wie Heinrich Böll und der Rolle der Medien auseinander. Auch zaghafte Selbstkritik aus der ersten Reihe ist dabei möglich. So, wenn der Tagesschau-Kommentar des SFB-Journalisten Matthias Walden, der Böll als "Wegbereiter des Terrorismus" bezeichnete, dokumentiert wird. Und der Film bezieht daraufhin Stellung: Mit einem Ausschnitt aus Schlöndorffs Böll-Verfilmung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Damit dürfte Herr von der Tann auch diesen Komplex der ARD abgelegt haben und nunmehr befreit den Deutschen Herbst 1997 erleben.