Netanjahus Pannen mit System

Israels Ministerpräsident beschimpft die Linke, sie hätte das Judentum verraten, und stimmt aus Versehen mit den Rechtsextremen

Zwei Pannen sind es, die Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in den letzten zwei Wochen ins Gerede brachten. Zuerst hatte er auf einem privaten Empfang dem Gastgeber ins Ohr geflüstert: "Die Linken haben vergessen, was es heißt, ein Jude zu sein. Die Linken denken, daß die Araber schon auf uns aufpassen, wenn wir unsere Sicherheit in ihre Hände geben." Diese Aussage hat ein Radioreporter aufgezeichnet und gesendet.

Am Dienstag vergangener Woche ging es weiter: Als im israelischen Parlament, der Knesset, die Arbeitspartei noch heftig gegen Netanjahus Lapsus protestierte, unterlief dem offensichtlich nervös gewordenen Premier die zweite Panne: "Versehentlich", wie der Fraktionschef der Regierungspartei Likud im nachhinein behauptete, stimmten Netanjahu und seine Kollegen für den Antrag der rechtsextremen Molodet-Partei, die israelische Armee solle sofort wieder in Hebron einmarschieren, die Polizei der Palästinensischen Autonomiebehörde vertreiben, der Siedlungsbau solle beschleunigt werden.

Der Antrag der mit nur zwei Abgeordneten in der Knesset vertretenen Splittergruppe wurde dank der Arbeitspartei, linken Parteien und zur Rechtskoalition gehörenden liberalen Parteien abgelehnt.

"Der Regierungschef und die Mehrheit der Kabinettsmitglieder sprachen sich durch einen technischen Fehler bei der Abstimmungsprozedur für die Resolution aus", so die kleinlaute Verteidigung des Likud-Fraktionschefs, Meir Schetrit.

Einige Abgeordnete der Arbeitspartei hingegen glauben nicht an eine Panne und sehen ihre Befürchtung bestätigt, daß Netanjahu ein undurchsichtiges Koalitionsrettungsspiel treibt. Chaim Ramon von der Arbeitspartei: "Er hat sein wahres Gesicht gezeigt." Bestätigt sieht sich Ramon auch durch den ersten Skandal und die Art und Weise, wie Netanjahu sich rechtfertigte.

Mit der Behauptung, die Linke - womit er vor allem die Arbeitspartei meint, mit der man in und außerhalb Israels die zionistische Gründergeneration verbindet - habe das Judentum verraten, hat Netanjahu mit einem Schlag David Ben-Gurion, Golda Meir, Shimon Peres und den ermordeten Yitzhak Rabin geschmäht.

Was auf den ersten Blick als Faux-pas erscheint, halten viele für das Programm der israelischen Rechten. Für Netanjahu ist die Westintegration Israels, was vor allem US-Anbindung heißt, weniger wichtig als für seine Vorgänger. Er steht vielmehr für eine Mischung aus Selbstvertrauen in die eigene militärische und ökonomische Stärke, die den Friedensprozeß nur dann als sinnvoll erachtet, wenn neue Märkte für israelische Firmen entstehen, und für eine orthodox-religiöse Begründung der israelischen Staatlichkeit. Sozialistische Ansätze der Staatsgründer sind in diesem Modell nicht mehr vorgesehen.

Schon in seinem Buch "A Place Among the Nations" schrieb Netanjahu, der sich jetzt darüber beschwert, sein mitgeschnittener Satz sei aus dem Zusammenhang gerissen worden, "die jüdische Frage wird nicht mal teilweise von der Linken besetzt, die besessen ist von der Idee, die Palästinenser von der Last der israelischen Besetzung zu befreien. Die Erkenntnis, daß das Volk von Israel auch einen Platz unter der Sonne braucht und daß es keinen anderen Platz hat als das Land Israel, ist kein Konzept, das die Linken heutzutage motiviert."

Solche Sätze empören die Mehrheit der Israelis, finden jedoch bei einer wachsenden Zahl von Anhängern Netanjahus durchaus Beifall. Eine jüngst veröffentlichte Studie der Bar-Ilan-Universität zeigt, daß 27 Prozent der religiösen Jugendlichen das Attentat auf Yitzhak Rabin im November 1995 gutheißen, genauso wie 4,5 Prozent der säkular orientierten Jugendlichen. Die Zahlen, die der Psychologe David Green ermittelte, sind erschreckend. Aber noch schlimmer, so Green, sei, daß diejenigen, die dem Attentäter applaudieren, sich bereits von der Politk verabschiedet hätten. "Der Jugend fehlt ein Instrumentarium der politischen Analyse, und sie kann leicht manipuliert werden", sagt Green, und fügt pessimistisch hinzu, man könne nicht davon ausgehen, daß seine Studie Empörung hervorrufe. Die religiös orientierten Jugendlichen bildeten stärker denn je in der israelischen Geschichte eine eigene Subkultur.

Auf solche Kräfte baut Netanjahu, wenn er versucht, einen eigenen israelischen Nationalismus zu begründen, der keine guten Kontakte zu den USA braucht und der nichts gemein hat mit dem kosmopolitischen Ansatz des Zionismus.

Und so isoliert, wie die Pannenstatistiker Glauben machen wollen, ist Netanjahu damit gar nicht. Denn die Stimmen, die eine Ablösung Netanjahus verlangen, sind mittlerweile seltener zu hören, als die Stimmen, die eine große Koalition fordern.