Die Schönheit des Beamten

Neue Spielfilme um Deutschlands Lieblingspolizisten Schimanski, letzte Folge mit Deutschlands zweitliebstem Polizisten Derrick. Eine typologische Untersuchung

Schimanski kehrt zurück, Derrick geht für immer. Wem über diesen Ereignissen der Strukturwandel im Kapitalismus nicht deutlich wird, dem helfen auch Habermas und Luhmann nicht mehr. Während Schimanski etwa so attraktiv ist wie der neueste Kapitalismus, eignet Derrick die Schönheit des Beamten im älteren westdeutschen Fernsehkrimi. Derricks Ende ist beschlossen, Schimanskis Überleben alleine schon durch seine vielen Epigonen (Der Fahnder, Peter Strohm, Max Palü, Liebling Kreuzberg usf.) gesichert.

Angesichts dieser Umwälzung liegt die Frage nahe: Bekam uns die schwächliche Schönheit eines Stephan Derrick nicht doch besser? Es bedarf keiner Nostalgie, bloß ein wenig der Feigheit, das zu bejahen. Es ist das selbstverantwortliche Handeln von der Art Schimanskis, das nun Eigenbedarf an Mietwohnungen anmeldet, ganze Branchen stillegt und den Sozialstaat einreißt. Dem Phlegma des alten Fernseh-Kommissars wäre das gewiß nicht zuzutrauen gewesen.

Der große Erfolg der wichtigen westdeutschen Krimiserien läßt sich umstandslos auf die Wirklichkeit ihrer Typen zurückführen. Der Phänotyp vor dem Fernsehapparat fühlt sich von seinem Idealtyp im Fernsehapparat geschmeichelt. Das Gros der Fernsehzuschauer genießt, indem es sich qua Identifikation selbst bestätigt. Was wirkt, ist wirklich.

Das heißt folglich: Der Erfolg Schimanskis (und seiner Epigonen) - also des Typs initiativ, illegal und brachial - deutet auf eine zunehmende Verbreitung des entsprechenden Identifikationsmusters vom Typ initiativ, illegal, brachial. Jeder zweite will heute sein eigener Unternehmer werden.

Eine allgemeine Überschätzung der individuellen Kräfte wird spürbar. Aus der Selbstverwirklichung, einem Glaubensartikel von Sekten, wurde der Weg-zum-Erfolg, das Programm einer aufstrebenden Jugend. Aus dem "Engagement" wurde "Innovation". Schimanski ist eine Erfindung von Achtundsechzigern: "Das damalige junge Autoren-Team bei der Bavaria, das waren Spontis und Chaoten von sich aus. Nach '68, nach Brokdorf, waren die skeptisch, daß Polizisten immer superschlaue Durchblicker sind. Deswegen haben wir gesagt: Laßt den nicht zu gescheit, sondern ein bißchen tumber sein." (Götz George, Spiegel, 14/1991) Sein Engagement ist jenes, das man inzwischen noch dem letzten Lohnarbeiter für die Ziele der Groß-Unternehmung abverlangt: Jeder arbeitet für sich, und alle ziehen an einem Strick. Kurz gefaßt, der tumbe, aber zupackende Typ Schimanski ist unser Zeitgenosse.

Aber schauen wir uns noch einmal Typ Derrick an, wie er uns aus dem öden Dezennium der Siebziger entgegentritt. Aus jener fahlen Zeit, als nicht nur die Sozialarbeit der Polizei - Reparatur an den Verschleißteilen des Kapitalismus - peu engagé getan wurde, den Protestlern zum Trotz. Derrick (bzw. Der Kommissar, Der Alte, Marek und fast alle älteren Tatort-Kommissare) war das Vorbild einer formierten Gesellschaft von Beamten und Fest-Angestellten. Er erledigte, wie sie, den Job ohne übertriebenen Ehrgeiz. Das kam den Nicht-Beamten zugute, dem Rest also, also uns.

Der alte Fernseh-Kommissar bewährte sich, gegen alle Widrigkeiten, am Tatort. Seine vornehmste Aufgabe war nicht, die Umtriebe des Verbrechens zu vereiteln, sondern: trotz Unscheinbarkeit zu erscheinen. Da ihm, typgerecht, weder übermäßige Fähigkeit noch Ausstrahlung, noch Distinktion zukamen, erschien er durch seine Funktion. "So kann auf der bürokratischen Leinwand der Schatten eines unverwirklichten Menschen für einen Menschen gehalten werden", schreibt Trotzki in "Mein Leben". Indessen kann es ohne Projektionsfläche keine Projektion geben, und ohne Hintergrund gibt es keine Figur. Für den Staatsfunktionär, den Beamten (mutatis mutandis den Fest-Angestellten), gilt das in besonderem Maße. Wäre er kein Kommissar, er wäre nur Kleinbürger, ein Nichts.

Der pensionierte Marek etwa muß, um erscheinen zu können, vorübergehend in seine alten Funktionen wiedereingesetzt werden (in einigen ab 1990 gesendeten Folgen des ORF-"Tatort"). Ihn, den schnüffelnden Pensionär, zieht es aus gutem Grund zurück zur Polizei: Er ist nur mit der Marke. Demgegenüber handelt Typ Schimanski vorgeblich auf eigene Faust; Peter Strohm ist folgerichtig ein ehemaliger Polizist, der sich privatisiert hat.

Es war also der alte Kommissar loyal, weil nur der Staat ihn existieren ließ. Wie der Staat, eine Schimäre, erst durch ihn wurde, so wurde er, eine Schimäre, durch den Staat. Aber das ist bereits zu sehr Psychologie des zuschauenden Beamten (und Angestellten). Der idealtypische Beamte, der Fernseh-Kommissar also, kam dem Auftrag des Zuschauers nach, gerade die Bedingungen dieser geliehenen Souveränität zu verdecken.

Der alte Kommissar investigierte entweder in den Villen der gehobenen Bourgeoisie oder in der Drogendisco. An den Schauplätzen war er vorderhand deplaziert und hatte sich durchzusetzen. Das Verbrechen spielte keine Rolle im alten "Tatort", wohl aber ... der Tatort. An ihm erschien muffig der Beamte und erfüllte seine Aufgabe. Seine stupide Hartnäckigkeit bezwang schließlich auch Bourgeois und aufdringliche Jugendliche, die es regelmäßig wagten, sich ihm, dem kleinbürgerlichen Bürokraten, in den Weg zu stellen. Ohne Ehrfurcht, ohne Neid und unbestechlich entschied der Fernseh-Kommissar die Angelegenheit für den Kleinbürger.

Bemerkenswert die fast vollständige Abwesenheit des kriminalisierten Proletariats, das doch nach wie vor für die meisten polizeilich definierten Verbrechen herhalten muß. Fürchteten die Autoren den peinlichen Umstand, daß auch eine nur oberflächliche Betrachtung desjenigen, den man gemeinhin für den Verbrecher zu halten sich bemüht, dessen Schuldunfähigkeit erwiese? Der freie Willen, juristisch Voraussetzung der Schuld, verliert sich in den Tatbeständen des gewöhnlichen Verbrechens. Er ist nur eine mühsam am Leben gehaltene Fiktion.

Nicht allzudeutlich darf außerdem der Verdacht werden, die undurchschaubaren Verbrecher-Syndikate unterschieden sich nicht wesentlich von anderen Unternehmen der freien Wirtschaft. Typ Schimanski begibt sich auf den Boden jener aussichtslosen Moral, die zwischen großen Haien und kleinen Fischen unterscheiden zu können glaubt. Am Ende ist er doch nur ein kleiner Fisch, der großen Fischen den Weg freibeißt.

Das polizeilich definierte Verbrechen ist ein Produkt aus Zwang und Zuschreibung. Es ist einfach häßlich. Deshalb spielte es im älteren westdeutschen Fernseh-Krimi keine Rolle. Dieser verlegte sich auf eine verfälschende Milieutheorie. Der Fernseh-Kommissar, wiewohl offensichtlich der Geleimte, betrat die Welt der mächtigen Mehrwertgewinnler - und verließ sie siegreich. Seine von keinerlei Ressentiments getrübte Haltung schien von der Überzeugung gestützt, daß das, was nach außen Autorität und Wohlleben signalisierte, innerlich verfaulte.

Damit war das kleinbürgerliche Ressentiment allerdings bloß in die Struktur transponiert worden: Der Kommissar konnte sich einfach deshalb Neid ersparen, weil nur er sicher überlebte. Der Verführung durch bürgerlichen oder unbürgerlichen Lebensstil widerstand er leicht. Anders der Zuschauer, dessen Ehre der Kommissar zu retten hatte.

Der alte Kommissar hatte also das Modell des Kleinbürgers vorzustellen, aber des Kleinbürgers netto, abzüglich der Angst, des Minderwertigkeitsgefühls, des Neids, der Ressentiments, der Selbstgefälligkeit, der Bigotterie, des Ehrgeizes, der Hörigkeit, der Selbstverachtung - abzüglich alles dessen also, was den Kleinbürger zur Persönlichkeit macht. Es war damit der Kommissar eine Person ohne Persönlichkeit, und jeder Versuch der Autoren, ihm mit kleinen Vorlieben, hobby horses und Marotten eine anzukleben, wirkte lächerlich.

All die empirische Schlacke, die bei der Modellierung des Kommissars abgefallen war, wurde auf die Assistenten verteilt. Deren Vordrängelei, deren laue Lösungen und undurchdachte Vorschläge waren sämtlich nicht der Unerfahrenheit, sondern ihren Kleinbürger-Qualitäten geschuldet: Mal war es die Angst, mal die Ängstlichkeit, die sie trieb, mal kam ihnen ein Ressentiment in die Quere, mal ihr präpotenter Ehrgeiz. Aber immer wurstelten sie kraftlos in ihrer Klasse, sie sanken nicht ab, sie stiegen nicht auf; aus einem Assistenten konnte niemals ein Kommissar werden.

Die alten Kommissare, unpersönliche Personen, waren Illusionen einer untergehenden Bürokratie. Sie waren, einer ebenfalls untergehenden Empfindungsweise zufolge, schön, weil sie ideal und ideal, weil sie schön waren. An ihnen stach nichts hervor, Niedrigkeit war ihnen so fremd wie Erhabenheit. Ihre Schönheit war die einer in sich ruhenden, unproduktiven Bürokratie, ihrer wohlorganisierten Aktenwände, ihrer zweckfreien Formulare, ihrer Bestimmungen von Bestimmungen von Bestimmungen.

Gab es doch ein Verbrechen in den alten Serien, dann das der Häßlichkeit. Häßlich waren sowohl die natürlichen Feinde des Kleinbürgers - Bürger und Anti-Bürger - als auch die Fratze des Kleinbürgers selbst: der Assistent. Arroganz und Übermut entdeckte der Kommissar auf der einen, Neid und Schwäche auf der anderen Seite. Das Verfahren war einzuleiten.

Der alte Kommissar machte alles richtig, indem er so blieb, wie er war. So konnte das nicht auf ewig weitergehen. Also wird seit den Achtzigern - seit der Thatcherisierung des Kapitalismus - Sinnlichkeit injiziert und eine plumpe Idee von Bewegtheit vernutzt. Delikate Formen der Gewalt weichen den simplen. Viel Schwung, viel Sinn. Um wieviel angenehmer scheint das Leben vor Schimanski gewesen zu sein, als die originelle Persönlichkeit noch kein Kollektivtitel war.