Das Golf-Trauma der Linken

Könnte sich 1997 die Geschichte von 1991 als Farce wiederholen? Damals teilte sich die deutsche Linke in Kriegsfans und Feinde Israels auf. Gibt es die deutsche Linke überhaupt noch? Interessierte Kreise auf beiden Seiten der früheren Demarkationslinie halten die Fiktion einer Grenze, an der nach wie vor zumindest argumentativ scharf geschossen wird, aufrecht. Doch schon beim letzten Golfkrieg wurden die dicksten Kaliber auf Ziele innerhalb des halluzinierten linken Lagers abgefeuert.

Auch heuer verspricht die Sache interessant zu werden. Nehmen wir etwa die beiden Wochenzeitungen für die anvisierte "Mehrheit links der Union" (Willy Brandt), also die Schmidt-liberale Zeit und den Gaus-liberalen Freitag. Von der Titelseite des Hamburger Blattes blicken einen fünfmarkstückgroß die Augen Saddam Husseins an - das ultimative Böse, das endlich ausgelöscht werden muß. Die Zeitung des ehemaligen Ständigen Vertreters läßt dagegen auf der Titelseite einen Nachwuchsmann mit PC-Garantie zu Wort kommen, der unbeeinflußt von diesem imperialistischen Täuschungsmanöver das "eigentliche Dilemma" im Nahen Osten erkannt hat. "Das aber heißt nicht Saddam Hussein, sondern Benjamin Netanjahu".Hinter dem Gutmenschen laufen sich schon die Militanten warm: Im Thommy-Weißbecker-Haus in Berlin-Kreuzberg fand Mitte letzter Woche ein Solidaritätstreffen statt, bei dem über Aktionen im Falle amerikanischer Militärschläge gegen Irak beraten werden sollte. Referent war ein Journalist der "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) - also genau jener Truppe, die einst mit Entführungen israelischer Passagier-Maschinen Furore machte und heute mit Hamas ein Bündnis gegen den vermeintlich mit Netanjahu kollabierenden Arafat eingegangen ist.

Damit sind die Schützengräben des Jahres 1991 erneut ausgehoben. Nicht, daß man die genannten Kombattanten davon abhalten könnte hineinzusteigen - das sind Pawlowsche Reflexe des verspäteten Nationalbewußtseins, die frühere Kriegsdienstverweigerer an die Seite der Bundeswehr und Antifa-Spezialisten zum Schulterschluß mit Antisemiten treiben. Dramatisch am 91er-Zerwürfnis war, daß auch die wenigen den Kopf verloren haben, auf die man sonst bauen konnte. Innerhalb von zwei Wochen zerfiel damals etwa das Aktionsbündnis "Radikale Linke", das 1989 von früher verfeindeten linken Strömungen aufgebaut worden war: Von den Noch-Grünen wie Ebermann, Trampert und Ditfurth, über DKP-Leute wie Fülberth, Gremliza von konkret, schließlich die Klügsten von KB, VSP, den Autonomen und der RAF. Diese lose Koalition hatte 1990 den einzigen öffentlich wahrnehmbaren Widerspruch gegen die Wiedervereinigung organisiert - die Demonstration "Nie wieder Deutschland" in Frankfurt/M. Dieses Potential wurde im Golfkrieg zersprengt: Die Mehrheit der "Radikalen Linken" wollte sich partout in die Front der Ökopaxe einreihen, die konkret als wichtigste Zeitung fand hingegen, daß die US-Kriegspolitik zu unterstützen sei, da sie mit den falschen Zielen dennoch etwas Richtiges bewirke: den Schutz Israels. In dieser Polarisierung hatten vermittelnde Stimmen - etwa Oliver Tolmein und Detlef zum Winkel, die den Antisemitismus der Friedensbewegung kritisierten und dennoch die Kriegführung ablehnten - keine Chance.

"Warum hat der Golfkrieg die Linke so außerordentlich überfordert? Nun, ich denke, daß nicht er es gewesen ist, er hat allenfalls als Katalysator gewirkt. Oder um ein anderes Bild zu gebrauchen: er hat auf die (west)deutsche Nachkriegslinke so gewirkt wie das Theaterstück auf Hamlets Oheim, bzw. der Anblick des gefesselten Dieners auf den ägyptischen König in der Erzählung des Herodot. Er war eine symbolische Überforderung. Das eigentliche Ereignis lag ein Jahr zurück, es war die faktische Vereinigung der beiden Nachfolgestaaten des nationalsozialistischen Deutschen Reiches zu einer vergrößerten Bundesrepublik Deutschland", analysierte Jan Philipp Reemtsma im November 1991. Mit der Wiedervereinigung, so Reemtsma weiter, habe das BRD-Establishment seine Geschäftsgrundlage, die Westbindung, gekündigt. Die Linke aber habe das nicht gemerkt und renne immer noch in anti-westlicher Sturheit gegen Chimären. Das ist richtig beobachtet - was heute noch links ist, repetiert wie im Starrkrampf die Kampagnen aus der Zeit vor dem Mauerfall: Man geht ins Wendland, schwärmt für mittelamerikanische Guerilleros und giftet gegen den IWF. Doch Reeemtsmas Schlußfolgerung stimmt nicht ganz: Man kann nicht so tun, als sei die Tendenz der Bonner Republik zu einem anti-westlichen Sonderweg schon so dominant, daß nur noch die Unterstützung der Westalliierten auf Zähmung des Furor Teutonicus hoffen ließe. Der Aufstieg Deutschlands vollzieht sich immer noch in Widersprüchen: Rühe versteckt sich hinter der US-Außenministerin Albright, um Kampftruppen an den Persischen Golf schicken zu können, während Kinkel und Schmidbauer den Judenfressern im Iran aus der Isolation herauszuhelfen.

Historische Vergleiche hinken immer, aber sie stellen immerhin einen analytischen Apparat bereit. Mit dieser Einschränkung: Die aktuelle Situation ähnelt der Ende der zwanziger Jahre. Auch unter Außenminister Stresemann betrieben die Deutschen eine Schaukelpolitik: Ausbau der Westbindung, Verträge mit Frankreich, Unterstützung des Völkerbunds - und gleichzeitig C-Waffen-Kooperation mit der Sowjetunion. Das Verhalten der Roten Armee und dessen Deckung durch die KPD war skandalös - aber wäre eine Einbindung der Deutschen in die anti-sowjetische Einkreisungspolitik des Westens eine Vorkehrung gegen die Aufrüstung der Reichswehr gewesen?

1997 ist nicht 1991. Die radikale Gesellschaftskritik hat sich spätestens damals der real existierenden Linken entfremdet. Das ist gut so, denn so können wir uns heute ohne Rücksicht auf Einfluß, egal ob bei Rot-Grün oder den Autonomen, auf unser eigentliches Geschäft beschränken - die Negation. Das heißt im konkreten: die Kritik der weltweiten Ambitionen der Bundeswehrmacht ebenso wie des Antisemitismus in der Linken. Und wenn es eine Demonstration Pro Israel gibt, auch wenn sie der Biermann oder der Broder macht, sind wir dabei. Der Rest sind - wie heißt es so schön - Nebenwidersprüche.