Keine Mimetiker

Neue Lyrik von Oskar Pastior und Paul Celans Gedichte aus dem Nachlaß

Die Dichter Oskar Pastior (geb. 1927) und Paul Celan (1920 bis 1970) stammen beide aus Rumänien, sie saßen beide in Arbeitslagern ein, der eine - Celan - bei den Nazis, der andere - Pastior - bei den Kommunisten, beider Werke überragen das meiste, was nach dem Krieg an Lyrik in deutscher Sprache entstand.

Hier scheinen die Gemeinsamkeiten zu enden: Während Pastior als einer der letzten großen Vertreter jener Wortkunst gilt, die sich vom Barock, von Hopkins und Stein anregen ließ, in Scheerbart, Stramm und Chlebnikow ihre Lehrmeister fand und ihren Höhepunkt in der österreichischen Dichtung der fünfziger und sechziger Jahre erreichte, schlägt man gewöhnlich Celan einem späten Symbolismus zu, mitsamt dessen unbedingtem, fast priesterlichem Kultus, wie ihn Stéphane Mallarmé inaugurierte, anspielungsreich, dunkel, gelegentlich surrealistisch getönt, aber immer spröde und ernst.

An diesen Vorurteilen ist wie an fast allen etwas dran; und so vorbereitet, raten Sie bitte, auf wessen Konto die folgenden Verse gehen: "ZUR NACHTORDNUNG Über- / gerittener, Über- / geschlitterter, Über- / gewitterter, // Un- / besungener, Un- / bezwungener, Un- / umwundener, vor / die Irrenzelte gepflanzter // seelenbärtiger,

hagel- / äugiger Weißkies- / stotterer." Damit es nicht zu leicht wird, gleich noch ein paar: "(Ö) bloß innehalt in dispersionen / sagen wir auf einem anderen ball- / kahn schweden- // trünke: von stoppeln weit und / abgesprochen (dschingis) haben wirs den / falz entlang

wer bricht / das ei vom zaun / ge-

lernt - // das weiße / bricht ab (Ö)"

Dem ersten Beispiel, könnte man sagen, kommt durch sein launiges Spiel mit Wörtern - d. h. mit aus (iterativen) Partizipien gebildeten Substantiven und mit einem lokalen bzw. einem negierenden Präfix - Wortkunstqualität zu, fällt also eindeutig in Pastiors Bereich. Könnte man sagen. Aber Sie kennen das Gedicht vermutlich aus Celans (posthum veröffentlichter) Sammlung "Schneepart" (1971). Wenn Sie nun schließen, mein zweites Beispiel müsse dann dem Werk Pastiors entnommen sein, haben Sie abermals recht. Es handelt sich um einige Verse aus dem längeren Stück "das weiße blatt / hat ernest", gerade in Pastiors Sammlung "Das Hören des Genitivs" erschienen.

Und doch - "innehalt in dispersionen", "das weiße / bricht ab" -, scheint da nicht ein Geheimnis, etwas Hinter-den-Worten-Liegendes, etwas sozusagen Celansches sich anzudeuten, also etwas, was die strukturierten Oberflächen der Wortkünstler niemals evozieren dürften? Das ist gewiß mehr der Empfindung oder der Kombinationsgabe des Lesers anheimgestellt, als man gemeinhin glaubt.(Vielleicht blättert ja auch nur die Farbe vom Zaun ab.) "das gedicht gibt es nicht. es / gibt immer nur dies gedicht das / dich gerade liest" (Pastior). Was auf den einen unheimlich und rätselhaft wirkt, löst sich für den anderen in kalte Struktur oder gar in Banalität auf. Celan wurde bekanntlich sehr ärgerlich, wenn jemand seine Dichtung für opak hielt. Andererseits wird niemand, der die Methoden Pastiors - Palindrom, Anagramm, "variable Homolettrien", Transformation, Permutation usw. usw. - begriffen hat, behaupten wollen, er habe damit auch das Rätsel seiner Gedichte gelöst. Wenn sich die Bedeutung eines Gedichts fixieren ließe, wäre es keines mehr. Oder, mit Mallarmé: "Le sens trop précis rature / Ta vague littérature." (Der allzu sehr bestimmte Sinn löscht / deine unbestimmbare Schrift)

Das ist sehr allgemein ausgedrückt und ließe sich auf alle möglichen Dichter, Gedichte, Poetiken beziehen. Wenn das Flirren der Bedeutungen, die "vague littérature", das einzige wäre, was Celan und Pastior verbindet, wäre das nicht sehr viel. Aber vielleicht gibt es noch mehr strukturelle Ähnlichkeiten, als die Genre-Zuschreibungen vermuten lassen.

Gerade wurde aus dem Nachlaß Celans ein Band mit Texten veröffentlicht, die er eigentlich nicht veröffentlicht sehen wollte. Die Herausgeber haben, dem Einwand vorgreifend, die Veröffentlichung geschehe gegen den Willen des Dichters, darauf verwiesen, diesem seien die Texte immerhin als so gut erschienen, daß er sie - obwohl er sie mit Sperrvermerken versah - nicht gleich vernichtet hat. "Beides, das Publikationsverbot wie der Akt des Bewahrens, muß als Teil des einen letzten Willens gesehen werden", schreiben sie. Celan lasse eine "Ambivalenz im Umgang mit dem eigenen Werk" erkennen. Möglicherweise. Aber wir wissen alle, daß auch, wenn Celan noch eindeutiger geworden wäre und nicht bloß, wie er es getan hat, "Nicht veröffentlichen!", "Niemals veröffentlichen!", sondern vielleicht sogar "Unter gar keinen Umständen jemals veröffentlichen, sofort in den Reißwolf!!" darüber geschrieben hätte, die Gedichte ihrer Bestimmung zugeführt worden wären. Haben sie es verdient? Ich denke schon.

Ich möchte hier nur einige Arbeiten herausgreifen, die in den bereits skizzierten Zusammenhang gehören. Nicht nur Gelegenheitsgedichte, wie das Jakob Kaspar Demus zum ersten Geburtstag, 9. Juni 1960, gewidmete ("Lieber Jakob, lieber Kaspar! / Bare Fässer sind nicht faßbar, / Fahre-Bässe fahren sölten / doch Sankt Pölten bleibt Sankt Pölten. (Ö)"), zeigen, daß Celan durchaus ein Verhältnis zur großen Tradition der Nonsense-Dichtung und damit zur Wortkunst hatte. Das folgende Gedicht war für eine Anthologie bestimmt, wurde aber zurückgezogen: "Da wo die geige meist, da geigt die meise eben. / Am geigsten, GEIGER, geig - count down, wir leben!" In der Anthologie erschien dann z.B. sein "GROSSES GEBURTSTAGSBLAUBLAU MIT REIMZEUG UND ASSONANZ": "In der R-Mitage, / da hängt ein blauer Page. / Da hängt er, im Lasso: / er stammt von Pik-As(so?) / Wer hängt ihn ab? / Das Papperlapapp. / Wo tut es ihn hin? / Nach Neuruppin. / In den Kuchen. / Da könnt ihr ihn suchen. (Ö)"

Aber auch in Texten, die weniger galgenhumoristisch angelegt sind, findet sich das Spiel mit Sprache und ihren Formen: "ANORGISCH, / das neue Geherz, // Manns genug, / dich zu leichtern, schwuraufwärts, / lötig, läutig, // eingedenklich, / der Zukunft getreu-zuwider, / pfortig." (1968) Hier prägt sich allerdings nur aus, was in Celans Dichtung immer vorhanden ist: Rhythmus und Repetition, "Reimzeug und Assonanz", die Abwandlung der Wortstämme oder ihrer Modifikatoren, die Erzeugung von Vieldeutigkeit durch Bezug auf das Material. Obwohl er die Anwendung genuin musikalischer Prinzipien, die anfangs bereits durch die Titel angezeigt wurde ("Todesfuge", "Engführung"), später aufgab, läuft doch jede Betonung des Sprachstofflichen notwendig auf eine Musikalisierung hinaus. (Das verbürgt schon das Mallarmésche Erbe.)

Die wortkünstlerischen Texte Celans sind also, so gesehen, keine Nebenarbeiten, sondern verdeutlichen nur diesen Grundzug seiner Dichtung. Darüber hinaus hat Celan durch seine Übertragungen von Chlebnikow, Apollinaire, Michaux vor Augen geführt, daß er einer Dichtung, in der solche Verfahren dominieren, nicht nur nicht abgeneigt war, sondern daß er ein großes Gespür für sie besaß.

Pastior wiederum wendet sich in seiner neuen Sammlung einer ganz anderen Traditionslinie zu. Aus den Versen von Stefan Georges "Mein garten" - "Mein garten bedarf nicht luft und nicht wärme (Ö)" - wird bei ihm: "Mulb quarzon besorf uns gals org reprintens (Ö)". Ebenso respektlos springt er mit Benn, Kleist, Lasker-Schüler und anderen um. Sein neues Buch vereint in den letzten Jahren zu unterschiedlichen Gelegenheiten entstandene, teils in Zeitschriften publizierte Texte. Man findet darin nach Mustern gearbeitete neben offenen, manchmal sogar der Prosa angenäherten Formen. Eingestreut sind für Pastior ungewöhnliche lapidare Rückblicke: "Gebirgsjäger mit Rühmann und

Lumpi / Traven - Jud Süß / Ohm Krüger - Katyn / (Gewerbevereinssaal)". Vorherrschend bleibt jedoch ein übermütiger, burlesker Ton: "reib dich am hymen - eisbeutel! / andre musen sich am riesen reimen / bist gemüse du,

reisig, oder was weiß man / limes - drüsen die dich mühsam beißen / schäumen brosam - du mußt reis essen".

Aber vielleicht erscheint mir die Stimmung solcher Gedichte nur deshalb als so heiter, weil sie mich im Lesen (indem sie mich lesen) wegtreiben lassen von den Gestaden der alltäglichen Rede, von der alten Ordnung mit ihren alten Bedeutungen. Noch in den düstersten Gedichten Celans finden sich solche heiteren, ungebundenen Momente, immer da, wo die poetische Sprache über das hinausweist, was uns die konventionelle Sprache zu denken befiehlt. Und in diesen wirkt mehr Rebellion, als der sozialistische oder kapitalistische Realist zu glauben wagt. Es ist wahr, "kein Mimetiker, noch so gelettert, / schrieb je ein Wort auf, / das rebelliert" (Celan).

Paul Celan: Die Gedichte aus dem Nachlaß. Hg. v. B. Badiou, J. C. Rambach und B. Wiedemann. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1997, 547 S., DM 78 Oskar Pastior: Das Hören des Genitivs. Gedichte. Carl Hanser, München/ Wien 1997, 145 S., DM 36