Wir schlagen zu und verschwinden

Mit Ausrüstung der Bereitschaftspolizeitruppe CRS und unter fachkundiger Anleitung baut der Front National einen paramilitärischen Ordnerdienst auf

Der rechtsextreme Front National (FN) sorgt derzeit in Frankreich erneut für Schlagzeilen. Da ist, erstens, der erneute Vorstoß der neofaschistischen Partei auf das soziale Terrain und in die Arbeitswelt: So präsentiert der FN in diesen Tagen Kandidaten zu den bevorstehenden "Sozialwahlen": zum einen für die am 17. November stattfindenden Wahlen zu den Industrie- und Handelskammern (CCI - Chambres du Commerce et de l'Industrie), als Interessenvertretung der Unternehmerschaft und des Mittelstands. Vor allem aber steht der Front National in den Startlöchern für die Wahl zu den "Prud'hommes", den mit Vertretern der abhängig Beschäftigten und der Kapitalseite paritätisch besetzten Arbeitsgerichten; hierzu sind am 10. Dezember rund 15 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen. Der Front National, dessen Präsidentschaftskandidat Jean-Marie Le Pen bei der Präsidentenwahl im April 1995 von 30 Prozent der Arbeiter gewählt worden ist, hofft, durch erstmaliges Antreten zu den Prud'hommes-Wahlen, die alle fünf Jahre stattfinden, seine Stimmenpotentiale in der Arbeitswelt in eine reale Repräsentanz umsetzen zu können - während ihm der Weg zu den Parlamenten bisher durch das Mehrheitswahlrecht versperrt ist. Gelingt es ihm, ein "Fanal" zu setzen, so könnte dadurch gleichzeitig die institutionelle Blockade des Mehrheitswahlrechts wegfallen - eine Art Generalprobe für die im März 1998 anstehenden Regional- und Départementswahlen.

Bisher fiel es den Rechtsextremen freilich schwer, ihre starke Präsenz auf politisch-ideologischer Ebene auch in eine konkrete Anwesenheit auf dem Gebiet der Arbeitswelt umzusetzen. Denn ihre ideologischen "Lösungen" (Versöhnung von nationalem Kapital und nationaler Arbeit durch gemeinsame Abgrenzung von der Immigration einerseits und der ökonomischen Globalisierung andererseits) müßten sich in der konkreten Realität sozialer Interessenkonflikte bewähren. Bei den CCI-Wahlen ist der FN nunmehr mit 352 Kandidaten in 61 (von 95) Departements vertreten. In Paris stellte er 29 Kandidaten für 61 zu besetzende Posten auf, in Lyon sind es 20 Bewerber für 52 Posten. Für die

Prud'hommes-Wahlen tritt die rechtsextreme Partei unter dem Mantel der CFNT (Confédération Francaise Nationale des Travailleurs - Französischer nationaler Verband der Arbeiter) auf; die CFNT ist in 121 von insgesamt 326 Wahlsektionen präsent.

Neben diesem Versuch, auf das "soziale Terrain" vorzudringen, hat den Front National vor allem aber seine paramilitärische Parallelstruktur ins Gerede gebracht. Es geht um den DPS (Département Protection-Sécurité, Abteilung Schutz und Sicherheit), den Ordnerdienst der Partei, dessen geschätzte Mitgliederzahl zwischen 3 000 und 7 000 Mann (offizielle Angaben: 1 700 Mann) beträgt. In den Medien immer häufiger als "Miliz" bezeichnet, machte der DPS in den letzten zwölf Monaten anläßlich mehrerer Zwischenfälle auf sich aufmerksam.

Am Anfang stand ein Vorfall anläßlich einer Veranstaltung von FN-Generalsekretär Bruno Gollnisch in Montceau-les-Mines. Am 25. Oktober 1996, zerstreute ein Trupp von 40 bis 60 DPS-Angehörigen - ausgerüstet mit Helmen, Masken, Knüppeln und Eisenstangen - gewaltsam eine Menge von Gegendemonstranten. Bruno Gollnisch erklärte dazu öffentlich: "Der Polizeikommissar hatte von oben den Befehl bekommen, keine Kräfte vor Ort zu schicken. Wir haben die Initative ergriffen, selbst aufzuräumen."

Am Rande des Front National-Kongresses am letzten Märzwochenende dieses Jahres in Strasbourg kam es erneut zu einem bemerkenswerten Ereignis. Vier FN-Mitglieder, darunter drei Angehörige des DPS sowie der Fraktionsvorsitzende der Partei im Regionalparlament der Auvergne, Claude Jaffrès, spielten - in Fantasieuniformen - Polizei und kontrollierten auf einem Hotelparkplatz zwei junge Antifaschisten, die sie "festnahmen" und filzten. Am 1. April wurden die vier deshalb wegen Amtsanmaßung zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Die Öffentlichkeit beschäftigte sich aus diesem Anlaß erstmals näher mit der "Miliz" des Front National, deren Funktionsweise von der Satire- und Wochenzeitung Le Canard encha"né vom 9. April 1997 detailliert beschrieben wurde.

In jüngster Zeit kamen die rechtsextremen Paramilitärs erneut in die Schlagzeilen. Mitte vergangener Woche veröffentlichte die Tageszeitung Libération auf ihrer Titelseite die Zeugenaussage eines ehemaligen DPS-Angehörigen, der am selben Abend auch in den Fernsehnachrichten des Senders France 2 auftrat. Dieses ausgestiegene Mitglied, das unter dem Pseudonym "Dominique" vorgestellt wird, schildert detailliert die Arbeitsweise der "Abteilung Schutz und Sicherheit"; seine Beschreibungen bestätigen und ergänzen dabei in voller inhaltlicher Übereinstimmung die Angaben des Canard encha"né vom April.

Anfang der achtziger Jahre vom Hauptmann der Reserve, Janbart (im bürgerlichen Leben Ingenieur), gegründet, diente der DPS in den Départements zunächst in erster Linie dazu, Parteichef Jean-Marie Le Pen über die Aktivitäten der örtlichen Parteifunktionäre auf dem laufenden zu halten und über befürchtete "Unterwanderungen" und Verschwörungen gegen ihn zu informieren. Daher die Tätigkeit als eine Art Nachrichtendienst, die in Paris zu Anfang einem Beamten der RG (Renseignements Généraux - die RG sind der Polizei angegliedert und entsprechen ungefähr den deutschen Verfassungsschutzämtern) anvertraut wurde. In der Polizeipräfektur sitzend war dieser über Parteien, Gewerkschaften sowie Journalisten und andere "Feinde" bestens unterrichtet. Auch FN-intern führte er seine Kollegen in die Überwachungstätigkeit etwa gegenüber FN-Mandatsträgern in den Parlamenten ein - regelmäßiger Bericht an den obersten Chef inbegriffen.

Die Aktivität als Ordnerdienst (bei Veranstaltungen und Demonstrationen) wurde von Bernard Courcelle geleitet, Leutnant der Fallschirmjäger und Ex-Mitglied der Sécurité Militaire (entspricht dem deutschen Militärischen Abschirmdienst, MAD), der Janbart im Mai 1994 als DPS-Chef ablöste. Courcelle teilte die DPS-Struktur in sechs Großregionen auf, was exakt dem Aufbau der französischen Armee entspricht. Den Leitern dieser sechs Großregionen unterstehen die DPS-Chefs in den 22 "normalen" Regionen (dem Aufbau der gewöhnlichen, außermilitärischen, staatlichen Verwaltungsgliederung entsprechend) und den 95 Départements. Auf Ebene der Großregionen bestehen "Mobile Interventionseinheiten" (UMI - Unités Mobiles d'Intervention), welche Janbart nach dem Modell der gleichnamigen UMI der Bereitschaftspolizei geschaffen hat. Die UMI des FN waren es, die in Montceau-les-Mines am Werk waren; seit den Ereignissen rund um den Strasbourger Kongreß wird die Existenz dieser Einheiten bestritten.

Diese UMI bestehen aus jeweils rund 40 Mann, ausgesucht unter den sportlichsten und kräftigsten Mitgliedern. Sie stehen für Kommandoaktionen bereit - wie im Oktober 1996 in Montceau-les-Mines. In einer Spezialkartei "DPS-Hilfskräfte" erfaßt, sind sie gehalten, keinerlei Dokument bei sich zu führen, aus dem ihre Zugehörigkeit zum Front National hervorgehen könnte. Die "Behaarten" (so nennen sie sich selbst) werden von Angehörigen der "Republikanischen Sicherheitsgarden" CRS - eine Art Elite-Bereitschaftspolizei des französischen Staates -, aktiv oder im Ruhestand befindlich, ausgebildet - etwa im "Zerstreuen gefährlicher Menschenmengen". Und sie verfügen über ehemalige CRS-Ausrüstungen und Uniformteile, die vom Innenministerium nach Gebrauch verkauft werden: Helme mit Plexiglas-Visier, rechteckige Schilder, Gürtel mit Tränengas-Granaten. In dieser Uniform trat auch das Kommando von Montceau-les-Mines auf.

Einer der Chefs der "Behaarten", so Le Canard encha"né, hat ein Einführungsritual übernommen, das exakt dem bei der SA der Nationalsozialisten nachgeahmt ist. Und "Dominique" ergänzt gegenüber Libération, die DPS-Angehörigen fanden "Spaß daran, sich als pompiers du Reich (Feuerwehrleute des Reichs) zu bezeichnen und sich mit "Sieg Heil" zu grüßen".

Das ausgestiegene Mitglied gibt in Libération seinerseits an, Mitglied einer offiziell nicht existierenden Einsatzgruppe "G 11 (Groupe 11)" gewesen zu sein. Es gebe eine Arbeitsteilung zwischen dem offiziellen DPS und den parallell existierenden Gruppen: "Der offizielle DPS führt die Personenkontrollen am Eingang der öffentlichen Veranstaltungen durch." Die inoffiziellen Gruppen hingegen träten nicht, wie die vorgenannten, in DPS-Uniform auf, sondern in Bomberjacken und Stiefeln oder aber in Zivil. Ihre Aufgabe: "In den Gruppen von Anti-FN-Demonstranten auftauchen, die Rädelsführer ausmachen (Ö) Wir treten in Gruppen von drei oder vier in den Demos auf, machen die Anführer ausfindig und bringen sie ins Abseits, wir schlagen zu und verschwinden." Die Beziehungen zu den Ordnungskräften seien "fabelhaft", in Strasbourg hätten die CRS-Bereitschaftspolizisten "nicht aufgehört, unsere Anstecknadeln mit der blau-weiß-roten Flamme", dem FN-Parteisymbol, zu kaufen. Man sammele insbesondere auch Informationen über Journalisten, die zum Front National arbeiten - über diese bestehe eine Kartei mit Fotos, Adressen und persönlichen Daten -, sowie antifaschistische Organisationen wie Ras Le Front ("Schnauze voll vom FN") und SCALP.

Schließlich schildert "Dominique" auch die Art der Rekrutierung für die Kommandos: "In Kneipen, die von Aktivisten besucht werden, aber auch in Obdachlosenheimen. Unter den Obdachlosen finden sich viele ehemalige Militärs, die aus dem Knast kommen. Man verspricht dir Geld, einen Job (Ö) Offiziell darf man nicht vorbestraft sein. Aber 80 Prozent der ehemaligen Soldaten des Kommandanten Courcelle sind ehemalige Knackis."

Im April 1997 hatte der damalige konservative Innenminister Jean-Louis Debré eine Untersuchung der Renseignements Généraux und der General-Dienstinspektion IGS (die amtsinterne "Polizei der Polizei") über den DPS einleiten lassen. Die Polizeigewerkschaft SGP-CUP, die linksliberale "Radikalsozialistische Partei" PRS und die sozialistische Strasbourger Bürgermeisterin Catherine Trautmann (inzwischen Regierungssprecherin und Kulturministerin) forderten daraufhin das Verbot des DPS. Der sozialistische Abgeordnete Jean-Luc Melenchon vom linken PS-Flügel "Gauche Socialiste" hingegen erklärte: "Der Baum des Ordnerdiensts darf nicht den Wald des Front National verdecken", und forderte ein Parteiverbot nach dem Gesetz vom Juni 1936, mit dem damals unter der Volksfront-Regierung von Léon Blum die rechtsextremen "Bünde" aufgelöst worden waren.

Nach den jüngsten Medienberichten forderte nun insbesondere die Vereinigung Reporters Sans Frontières (Reporter ohne Grenzen) Ermittlungen gegen den DPS. Sie erinnerte daran, daß seit 1990 bereits 15 Journalisten bei Untersuchungen über den FN verletzt worden seien. Nach Angaben der Polizeigewerkschaft SGP-CUP habe man bereits im Juli den neuen Innenminister der Linken, Jean-Pierre Chevènement, zur Fortführung der von seinem Vorgänger eingeleiteten Untersuchungen gegen den DPS und zu Verbotsmaßnahmen aufgefordert. Chevènement habe dies zugesagt, doch 14 Tage später habe man erfahren, daß dieser nur eine "normale" amtliche Untersuchung ohne Folgen in die Wege geleitet habe. Seitens der Behörden laute die Position, so Libération: "Der DPS hat keinen autonomen (vom Front National unabhängigen) Rechtsstatus. Man kann keine Organisation auflösen, die legal nicht existiert."