Die Mühlen der Justiz mahlen weiter

Der RAF-Gefangene Helmut Pohl hofft auf eine Begnadigung durch Bundespräsident Roman Herzog

Die Nachricht warf Fragen auf. Hat sich Helmut Pohl tatsächlich, wie der Spiegel vergangene Woche nahelegte, von den anderen neun RAF-Gefangenen losgesagt und sucht nun eine "individuelle Lösung", damit er den Knast verlassen kann?

Noch vor wenigen Monaten initiierte die Gruppe der Angehörigen politischer Gefangener eine Kampagne für die "sofortige Freilassung" des schwerkranken Pohl und der ebenfalls gesundheitlich stark angeschlagenen Adelheid Schultz. Jetzt meldet das Hamburger Nachrichtenmagazin: Helmut Pohl, der inzwischen 21 Jahre seines Lebens hinter Gefängnismauern verbrachte, habe Bundespräsident Roman Herzog im Januar um Gnade gebeten. Bislang standen die RAF-Gefangenen solchen Gnadengesuchen sehr kritisch gegenüber, stellten sie doch eine Art Schuldeingeständnis und ein Akzeptieren des bürgerlichen Justizsystems dar. Erst im Juli plädierte Pohls Mithäftling Rolf-Clemens Wagner für eine politisch geführte Freilassungskampagne. Man dürfe sich nicht ausschließlich um den schlechten gesundheitlichen Zustand kümmern, "sonst saufen die wirklichen Zusammenhänge im Krankheitsjammer ab", schrieb er im Angehörigeninfo und sprach sich für eine kollektive Lösung aus.

Gerd Klußmeyer, der Rechtsanwalt Helmut Pohls, erkennt hier keinen Widerspruch. Im Gegenteil: "Ein erfolgreiches Gnadengesuch könnte auch für die anderen RAF-Gefangenen etwas bewegen." Das Schreiben Pohls an Herzog stehe auch nicht der Aussage der Unterstützerszene entgegen, daß der Staat eine fortdauernde "Vernichtungshaft" betreibe. Einen solchen Widerspruch hatte der Spiegel nahegelegt. Aber ohnehin entzieht der Hannoveraner Verteidiger jeglichen Spekulationen die Grundlage, nach denen sein Mandant diesen Schritt im Alleingang gegangen ist. "Die Entscheidung Pohls wurde vorab mit allen anderen RAF-Inhaftierten abgesprochen", sagte er im Gespräch mit der Jungle World.

Dennoch fühlen sich einige Unterstützer und Unterstützerinnen vor den Kopf gestoßen, hatten sie doch erst jetzt aus dem Spiegel von dem Gnadenbegehren erfahren. In der Solidaritäts-Szene reagiert man auf mögliche Alleingänge sehr empfindlich, seit es 1993 zur Spaltung des Kollektivs kam, nachdem die damals noch in Celle inhaftierten Knut Folkerts, Lutz Taufer und Karl-Heinz Dellwo unabgesprochene und politisch umstrittene Initiativen für die Freilassung aller Gefangenen unternahmen. Trotzdem ist der vorsichtige Umgang mit der Öffentlichkeit naheliegend. Schließlich war mit dem Präsidialamt im Januar abgesprochen worden, daß eine öffentliche Diskussion einer positiven Entscheidung Roman Herzogs nicht förderlich sei.

So waren es auch nicht die Rechtsanwälte Pohls, die dem Spiegel von der Initiative berichteten. Der Schluß liegt also nahe, daß die Information gezielt an das Nachrichtenmagazin weitergegeben wurde, um einer möglichen Freilassung des 54jährigen Steine in den Weg zu legen. Daß es innerhalb des Staatsapparates Kräfte gibt, die die RAF-Gefangenen noch im nächsten Jahrtausend im Gefängnis sehen wollen, hat die Bundesanwaltschaft (BAW) erst vergangene Woche unmißverständlich deutlich gemacht.

Nach dem Willen der obersten Strafverfolger soll Christian Klar mindestens noch elf, die schwerkranke Adelheid Schultz weitere vier Jahre in Haft verbringen. Auch Sieglinde Hofmann wird nicht vor 1999 freikommen. Dies zumindest haben die Bundesanwälte dem Stuttgarter Oberlandesgericht jetzt empfohlen, das derzeit über die Möglichkeiten einer vorzeitigen Haftentlassung befindet. Demnach würden Klar nach insgesamt 26 Jahren, Schultz und Hofmann nach 19 Jahren Haft entlassen. Über eine sogenannte Mindestverbüßungszeit von Rolf Heißler, Brigitte Mohnhaupt sowie Rolf-Clemens Wagner wird im kommenden Jahr entschieden werden. Die RAF-Gefangenen Birgit Hogefeld und Eva Haule müssen allein mit dieser nicht unbedingt erfolgversprechenden Prüfung noch länger warten, da sie bislang keine 15 Jahre in Haft verbracht haben. Lediglich der seit knapp 20 Jahren einsitzende Stefan Wiesniewski könnte im kommenden Jahr den Knast verlassen - "bei günstiger Sozialprognose", wie die BAW-Sprecherin Eva Schübel gegenüber der Jungle World betont.

Ob sich die Stuttgarter Richter an den Karlsruher Vorgaben für Christian Klar, Adelheid Schultz und Sieglinde Hofmann orientieren, ist zumindest nach den Worten Schübels offen. Schließlich spielten hier auch die Einschätzung der Gefängnisleitung sowie die Angaben der Rechtsanwälte eine Rolle. Die Behördensprecherin ist überzeugt: "Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes wird völlig unabhängig getroffen." Pohls Verteidiger Klußmeyer hat andere Erfahrungen: "Wenn die Bundesanwaltschaft von 26 Jahren Haft für Christian Klar spricht, dann ist nicht davon auszugehen, daß das Stuttgarter Gericht anders entscheidet." Schon deshalb hält er das Gnadengesuch seines Mandanten für einen sinnvollen Versuch, "von der Justizmühle wegzukommen".

Bislang konnte lediglich Bernd Rößner durch einen Gnadenakt aus dem Gefängnis freikommen, ohne zuvor eindeutig seiner eigenen Geschichte abzuschwören. Die Entscheidung des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker wurde in der solidarischen Szene als Ergebnis einer jahrelangen Kampagne für die Freilassung des schwerkranken Rößner gewertet. "Es war für den Staat eine Variante, auf die Initiativen zu reagieren, ohne tatsächlich auf die Kritik an den zerstörerischen Haftbedingungen einzugehen", erläutert ein Unterstützer der Inhaftierten. Schwer gezeichnet von der knapp 20jährigen Haft war der RAF-Gefangene 1994 im Anschluß an einen Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik von dem Herzog-Vorgänger begnadigt worden.

Ähnlich könnte das Prozedere auch jetzt vonstatten gehen. Denn auch der im hessischen Schwalmstadt inhaftierte Helmut Pohl muß dringend ins Krankenhaus. Er leidet an einer Degeneration im Halswirbelbereich, die zu Krämpfen und Taubheitsgefühlen bis hin zu Lähmungserscheinungen führt. Eine Operation ist also unumgänglich und steht trotz eines Versuches der BAW, sie zu verhindern, in absehbarer Zeit an.

Denn mittlerweile hat auch der ehemalige RAF-Verteidiger und heutige grüne hessische Justizminister Rupert von Plottnitz gegenüber Pohls Rechtsanwälten seine Zustimmung zu dem ärztlichen Eingriff signalisiert. "Wenn die Operation notwendig ist und der Gefangene das wünscht, dann steht dem nichts im Wege", bestätigte Claudia Weißhaupt, die Sprecherin im Wiesbadener Justizministerium, auf Jungle World-Anfrage. Daß diese Behandlung im einzigen Gefängniskrankenhaus Hessens in Kassel stattfindet, hält sie für unwahrscheinlich. Für eine solch komplizierte Operation sei man dort kaum eingerichtet, sagte die Justizsprecherin. Also wird Pohl wohl extern behandelt. Herzog müßte dann, wie auch schon bei Bernd Rößner, einen Gefangenen begnadigen, der sich bereits außerhalb der Knastmauern befindet. Ein offensichtlich einfacherer Schritt.

Verteidiger Klußmeyer will allerdings keine Prognosen darüber abgeben, wann der Bundespräsident über das Gnadengesuch entscheiden wird. Für ihn ist vor allem eines klar: "Helmut Pohl muß so schnell wie möglich raus."