Wer entsorgte Alba?

Der Berliner Prozeß um das Attentat auf "La Belle" wird kaum Lichtin das Gestrüpp der geheimdienstlichen Intrigen bringen

Berlin-Ost, Am Treptower Park, 2. Mai 1986: Am frühen Morgen wird in einem geparkten Auto die Leiche eines Mannes gefunden. Wie die Untersuchungen ergeben, handelt es sich um den Libyer Mohammed Ashur, Agent in den Diensten des Ministeriums für Staatssicherheit. Die Waffe, mit der er in dem Wagen erschossen wurde, ist registriert: Sie gehört zum Arsenal des libyschen Volksbüros in Ostberlin. Ashur wurde offenbar liquidiert.

Die Geheimen in der Normannenstraße vermuten einen Zusammenhang mit dem Attentat auf die Westberliner Diskothek "La Belle" vier Wochen vorher. Sie haben Ashur im Verdacht, ein Doppelagent der CIA gewesen zu sein. Auch im Umkreis des libyschen Volksbüros, so heißt es in den Akten der Staatssicherheit, verdächtigte man Ashur, ein "Verräter" zu sein. Bereits Ende März sollen demnach die späteren Täter versucht haben, eine Bombe in der Disko zu legen. Sie hätten sich aber zurückgezogen, als sie in der Umgebung erhöhte Polizeipräsenz bemerkten. Von da an sollen die Libyer nach einer möglichen undichten Stelle gesucht haben.

Genau zu diesem Zeitpunkt verstummte auch die vom MfS in der Umgebung des libyschen Volksbüros plazierte Quelle mit dem Decknamen "Alba". War Ashur "Alba"? Als 1990 die Akten der Staatssicherheit geöffnet wurden, lag diese Vermutung nahe: "Alba" könnte ein Doppelagent gewesen sein, der von den Libyern als Verräter hingerichtet wurde, weil er auch einen fremden Dienst belieferte - oder sogar mehrere? Es hieß, neben der CIA habe auch die Abteilung "Ausländerextremismus" des Westberliner Landesamtes für Verfassungsschutz einen Agenten in der Umgebung der mutmaßlichen Attentäter plaziert gehabt. Sogar Ashurs angeblichen V-Mann-Führer in der Westberliner Behörde glaubte die taz 1990 schon ausgemacht zu haben: Einen Beamten namens "Franke", für den seit dem Mord an Ashur "erhöhte Sicherheitsstufe" gelte, "aus Angst vor einer libyschen Racheaktion".

Doch das Amt in der Zehlendorfer Clay-Allee bestritt die Vorwürfe vehement: Es sei zwar schon richtig, daß man in der Umgebung des Volksbüros einen Agenten gehabt habe. Und es könne durchaus sein, daß Ashur diese Quelle gewesen sei. Aber Ashur sei nicht identisch mit dem MfS-Agenten "Alba" und er habe auch nie irgendwelche Informationen über "La Belle" geliefert. Warum Ashur dann ermordet wurde? Nun, die Libyer hätten eben den Falschen getroffen. Zu der naheliegenden Frage, warum Ashur sterben mußte, wenn er doch angeblich gar nicht in der Lage war, Informationen zu liefern, äußerte sich der zuständige Abteilungsleiter Lothar Jachmann nicht.

Auf eine weitere Frage wußte Jachmann keine Antwort, außer daß es sich eben um eine "Fahndungspanne" handle: Seit 1984 steht der nun als "Drahtzieher" Angeklagte Yassir Chraidi auf den Fahndungslisten der Westberliner Polizei. Damals soll der staatenlose Palästinenser an der Ermordung zweier libyscher Dissidenten in Westberlin beteiligt gewesen sein. Zwischen dem Sommer 1984 und dem Anschlag auf die Diskothek war Chraidi, das geht aus den Aufzeichungen der Polizei behörden hervor, mehrmals in Westberlin - unter dem Decknamen "Jussuf Salam", der dem Westberliner Verfassungsschutz bekannt war.

Noch am 27. März 1986 versuchte Chraidi, zusammen mit einem aktenkundigen Angehörigen des libyschen Geheimdienstes nach Westberlin einzureisen. Sein Begleiter wurde von den US-Posten am Übergang Checkpoint Charlie zurückgewiesen, Chraidi durfte passieren. Sollte sich bestätigen, daß westliche Dienste zu diesem Zeitpunkt bereits von den Attentatsvorbereitungen wußten, dann gewänne dieser Vorfall weitere Brisanz.

Nach dem Anschlag gingen die Justizbehörden zunächst nach dem schlichten Strickmuster "einmal Bombenleger - immer Bombenleger" vor und klagten den Jordanier Ahmad Hasi an, der bereits wegen eines Sprengstoffattentats auf die Berliner Deutsch-Arabische Gesellschaft genau eine Woche vor der Explosion in der Disko verurteilt war. Hasi gestand den ersten Anschlag, stritt aber den zweiten ab. Ende 1988 mußte das Verfahren eingestellt werden. Ein zweiter Anlauf wurde 1993 unternommen: Mohamed Amairi, angeblich früherer Leiter des Berliner Ablegers der palästinensischen PFLP-CG, sollte gegen Imad Mahmoud aussagen, dem vorgeworfen wurde, die Bombe zusammen mit zwei Mitarbeitern des libyschen Volksbüros in Ostberlin - darunter dem jetzt angeklagten Yassir Chraidi - gelegt zu haben.

Der Prozeß platzte jedoch am dritten Tag, weil Mahmoud sich weigerte, Norwegen zu verlassen. Selbst wenn er unter Zeugenschutz gestellt werde, fürchte er in Deutschland um sein Leben. Die Undurchsichtigkeit der geheimdienstlichen Zusammenhänge, das zeigte sich jetzt, macht eine gerichtliche Aufklärung des Falls auch mit Hilfe der Stasi-Akten so gut wie unmöglich. Daß in der Affäre "La Belle" der größte Teil der Handlung unter der Oberfläche spielt, deutet sich immer nur dann an, wenn Spektakuläres passiert und der geheimdienstliche Nebelschleier für einen kurzen Augenblick weggeblasen wird.

Am 9. April 1994 starb in einem Krankenhaus in der Nähe von Tripolis ein Deutscher namens Silvan Becker. Becker war von 1977 bis 1990 Referatsleiter "Arabische Extremisten" in der Abteilung 6 "Ausländerextremismus" des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er war es, der im Bundesamt die Untersuchungen zu "La Belle" leitete. Was machte ein Mann wie Becker ausgerechnet in Libyen - wie sich herausstellte, war er aus freien Stücken dorthin gefahren? Die offizielle Erklärung lautet bis heute: Silvan Becker besuchte zusammen mit seiner Frau archäologische Fundstätten in Südlibyen, dabei wurde das Paar von Räubern überfallen und ermordet. Frau Becker sei gut zwei Wochen später im Krankenhaus gestorben, Becker selbst habe vier Wochen im Koma gelegen, bevor er starb. Becker selbst wußte besser, daß es sich um keine normale Urlaubsfahrt handelte: Bei seiner Dienststelle hatte er sich eine Reise nach Ägypten genehmigen lassen. Anschließend beantragte er Visa für seine Frau und sich - beim libyschen Volksbüro in Bonn, unter Verwendung seines echten Namens. Am 8. März reiste das Ehepaar nach Libyen ein, bereits am nächsten Tag sollen die angeblichen Räuber zugeschlagen haben.

Mitte 1996 hatte die Berliner Staatsanwaltschaft erneut genug Material zusammen, um die Sache "La Belle" zur Anklage zu bringen. Die Unterlagen der Staatssicherheit schienen im wesentlichen die "libysche Spur" zu bestätigen, die Aussagen früherer Stasi-Offiziere, so hoffte man, könnten ergänzen, was die Akten nicht hergaben. Besonders auskunftsfreudig war im Ermittlungsverfahren Oberst Frank Wiegand gewesen, als Leiter der Abteilung II/AgA (Arbeitsgruppe Ausländer), die sich hauptsächlich mit den in der DDR lebenden Arabern und ihren Untergrundorganisationen befaßte, gewissermaßen Beckers östliches Gegenstück. Er sollte - als angeblicher Mitwisser des Attentats - im Prozeß einer der wichtigsten Zeugen sein.

Wenige Wochen vor dem geplanten Prozeßbeginn starb Wiegand zusammen mit seiner Frau in Südportugal bei einem Autounfall. Als Wiegands wichtige Rolle in dem Berliner Prozeß bekannt wurde, nahmen die portugiesischen Behörden die Ermittlungen auf, um zu klären, ob es sich um Mord gehandelt haben könnte. Die Untersuchungen wurden jedoch einen Monat nach Wiegands Tod eingestellt, als eine Nachstellung des Geschehens an dem Ort, wo sein Wagen frontal mit einem Kleintransporter kollidiert war, "keine Hinweise auf eine Straftat oder ein Attentat" ergab.

1997 steht endlich eine neue Anklage: Einer der Mitangeklagten, der Libyer Musbah Abulgasem Eter, scheint bereit zu sein auszupacken. Eter, so läßt die Staatsanwaltschaft wissen, hat Gründe, Libyen zu verlassen; um "den familiären Lebensmittelpunkt in Berlin zu begründen", will er im Prozeß aussagen. Klar, daß der Mann als gefährdet gilt. Er wird unter Zeugenschutz gestellt, darf unter Bewachung in einem Einfamilienhäuschen irgendwo in Berlin wohnen, während die Mitangeklagten Chraidi und Ali Schanaa sowie Verena Schanaa und Andrea Häusler, die die Bombe in die Disko gebracht haben sollen, in Haft sitzen. Die Mitangeklagten belasten ihrerseits Eter schwer. Im Februar 1997 ist der unter Bewachung stehende De-facto-Kronzeuge plötzlich verschwunden. Erst im August wird er wieder gefaßt - beim Verlassen der libyschen Botschaft in Rom. Auf seiner Aussage soll nun die Anklage aufbauen.