Waage ohne Zünglein

Der voraussichtliche wirtschaftliche Ruin der FDP nimmt lediglich ihr programmatisches Ende vorweg

Schon vor der Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts sprach sich FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle selbst Trost zu: "Als Anwalt habe ich mehr als einmal erlebt, daß man in der ersten Instanz verliert und in der zweiten gewinnt." Nun ist die Niederlage der Liberalen in der ersten Instanz da, und Trost haben nicht nur sie selbst nötig, sondern auch die Bonner Koalitionspartner CDU und CSU. Denn wenn es auch in den Folge-Instanzen bei der Entscheidung bleibt, könnte das das Ende des Bonner Regierungsbündnisses bedeuten.

Um die Finanzen der FDP ist es denkbar schlecht bestellt - das wäre selbst dann so, wenn die Partei jene 12,4 Millionen Mark nicht zurückzahlen müßte, die sie wegen eines Formfehlers ihres Schatzmeisters Hermann Otto Solms zu Unrecht aus der Parteienfinanzierung des Bundes erhalten hat. In streng geheimer Sitzung mußte Solms am Montag vergangener Woche dem Präsidium der Partei darlegen, in welch aussichtslose Lage er die FDP manövriert hat. Von den zehn Millionen, die sie nun bezahlen soll, besitzt die Partei nur acht. Und daran ist vor allem ihre finanzkräftige Klientel schuld, die nicht nur keine Spenden mehr zahlt, sondern auch keine Beiträge. Im kommenden Wahlkampf hätten die Liberalen deswegen auch ohne Gerichtsurteil nur fünf bis sechs Millionen Mark ausgeben können: Etwa halb soviel, wie sie bislang gewöhnt waren, für Werbefeldzüge vor Bundestagswahlen aufzuwenden. Die einfache Rechnung fünf Millionen minus zehn Millionen dürfte nun selbst Solms nicht mehr schönrechnen können. Wenn nicht ganz schnell irgend etwas passiert, muß der Wahlkampf 1998 mangels Masse abgesagt werden.

Dabei hätte die FDP im kommenden Wahljahr eine groß angelegte Kampagne dringender nötig denn je. In den Meinungsumfragen dümpelt sie derzeit bei vier Prozent herum. Das ist nichts Ungewöhnliches - immer wieder konnten die Liberalen bei Bundestagswahlen mit Ergebnissen überraschen, die weit über dem lagen, was die Demoskopen prognostiziert hatten, und auch der Solidarisierungseffekt ist nicht zu unterschätzen, der selbst bei halbherzigen Anhängern der Partei greifen könnte, wenn deren Existenz gefährdet sein sollte. Zwar lag die Partei zehn Monate vor der letzten Bundestagswahl in den Umfragen noch bei sechs Prozent - um dann mit 6,9 Prozent bequem ins Parlament zu ziehen. Könnte man die Entwicklung einfach hochrechnen, hätten die Liberalen also eine reelle Chance, 1999 die Jubelfeiern zum fünfzigsten Jahrestag der BRD als Regierungspartei zu erleben, die immerhin in 47 dieser Jahre mitentscheiden durfte. Doch die Bedingungen, um die Zustimmung in der Bevölkerung zu verbessern, sind heute für die FDP ungleich schlechter als vor vier Jahren - nicht nur wegen der voraussichtlichen materiellen Beschränkung, sondern auch in thematischer Hinsicht.

Die Themen "schlanker Staat" und "weniger Steuern", mit denen die Liberalen 1994 in die Wahlauseinandersetzung gingen, sind heute verbraucht, ohne daß es der Partei gelungen wäre, dafür einen Ersatz zu finden, der ihr die Möglichkeit gäbe, das eigene Profil zu schärfen. Der Koalitionspartner CDU leidet so sehr unter dem eigenen programmatischen Burn-out, daß es schwer vorstellbar ist, er werde der FDP einzelne Themen überlassen - was in vergangenen Jahren wesentlich effektiver war als angebliche Leihstimmen-Kampagnen, die Kommentatoren immer wieder entdeckt zu haben glaubten. Für Wahlkampfmanager Guido Westerwelle rächt sich nun die monomanische Fixierung auf das Thema Steuern. Seit die Verhandlungen um die sogenannte Steuerreform zwischen Union und SPD geführt werden, während die FDP allenfalls noch an den Katzentisch gebeten wird, dürfte auch die mittelständische Klientel das Vertrauen in die Pünktchenpartei verloren haben.

Doch auch Teile der Unionsparteien könnten sich durchaus vorstellen, dem Zustand der Lähmung, in den die Koalition geraten ist, durch ein Bündnis mit den Sozialdemokraten zu entkommen - zunächst vielleicht nur in Einzelfragen, später vielleicht auch etwas dauerhafter. Steuer, Rente, geringfügige Beschäftigung: Die Liste jener Themen, über die sich die Volksparteien ohne das einstige Zünglein an der Waage verständigen, wächst beinahe wöchentlich. Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Unions-Fraktionschef Wolfgang Schäuble und dem SPD-Programmatiker Gerhard Schröder liegen so nahe zusammen, daß die Auguren allein daran schon das Heraufdämmern der Großen Koalition zu erkennen meinen. Für Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt, der zudem seit mehr als zwei Jahren auch von der eigenen Partei demontiert wird, hat das die äußerst unangenehme Begleiterscheinung, daß sich keiner mehr interessiert für das, was der eigentlich zu seinem eigenen Ressort meint. Die FDP hat die Definitionsmacht auf jenem Gebiet verloren, das jahrzehntelang als ihr ureigenes galt. Das haben auch die Wähler gemerkt. 67 Prozent der Befragten stimmten im jüngsten ZDF-Politbarometer der These zu, es sei "an der Zeit, daß in Bonn andere Parteien an die Regierung kommen". Selbst unter denjenigen, die sich selbst als FDP-Anhänger bezeichnen, sind 62 Prozent dieser Meinung.