Killing Fields

Eine Dokumentation rassistischer und neofaschistischer Übergriffe im Land Brandenburg im Jahr 1997

Zwei Tote und unzählige Verletzte, zahllose Angriffe und Propagandadelikte - die Bilanz der rechten Jugendszene und organisierten Neonazis in Brandenburg sieht auch 1997 nicht besser aus als 1996. In den offiziellen Zahlen des LKA Brandenburg lautet die Bilanz: 137 "fremdenfeindliche Straftaten" (1996 waren es 115) und 55 (1996: 50) "fremdenfeindliche Gewalttaten". Insgesamt hat das LKA 343 rechtsextremistische Straftaten gezählt, davon 35 mit antisemitischem Hintergrund. Nichts hat sich also geändert in dem Bundesland, in dem ein Ministerpräsident sich öffentlich hinter die antisemitische Dorfbevölkerung stellt und die Mehrheit der Menschen unbeteiligt wegschaut, wenn MigrantInnen gejagt werden. Die Chronik wird fortgesetzt.

Januar

3./4. Ein indischer Angestellter und der türkische Besitzer einer Imbißbude werden in der Stadt Brandenburg mehrfach von einem 18jährigen rechten Jugendlichen bedroht und beleidigt.

5. Ein polnischer Reisebus wird auf der A 12 bei Frankfurt/Oder von einer Brücke mit einer Flasche beworfen. Der Fahrer kann das Fahrzeug zum Stehen bringen. Die Täter fliehen unerkannt.

7. In Elsterwerda verfolgt eine Gruppe von 15 rechten Jugendlichen vier "linke" Jugendliche und beschießt sie mit Leuchtspurmunition.

10. In Jüterbog werden vier indische Männer von zwei deutschen Jugendlichen mit rassistischen Sprüchen beschimpft. Die Inder wehren sich. Im Verlauf der Auseinandersetzung werden ein indischer Mann und die beiden Deutschen verletzt.

17. Am Bahnhof in Dabendorf bewerfen zwei Jugendliche einen türkischen Mann, der auf dem Weg zur Arbeit war, mit Steinen. Die Täter können unerkannt entkommen.

23. Ein 14jähriger polnischer Jugendlicher wird in Frankfurt/Oder von drei Deutschen beraubt und verprügelt. Anschließend wird er in eine "Spielothek" verschleppt, wo ihn weitere sechs Männer und eine Frau brutal mißhandeln.

24. Rund 20 Jugendliche randalieren in Potsdam in einer Straßenbahn und grölen Neonaziparolen.

29. In Ludwigslust werden zwei Asylbewerber aus der ehemaligen Sowjetunion von einer Gruppe rechter Jugendlicher bedroht und mit einem Luftgewehr beschossen. Die Jugendlichen hatten zuvor Zettel mit ausländerfeindlichen Parolen und Hakenkreuzen an der Windschutzscheibe des Autos der beiden Asylbewerber angebracht.

31. Am S-Bahnhof Fredersdorf mißhandeln zwei deutsche Männer einen Vietnamesen und verletzen ihn so schwer am Kopf und im Wirbelsäulenbereich, daß er im Mai nach mehrmonatigem Koma im Krankenhaus stirbt. Die Täter hatten ihn kopfüber auf den Asphalt geworfen.

31. In Perleberg wird ein Asylbewerber aus Zaire von zehn rechten Jugendlichen vor einem Supermarkt vom Fahrrad gezerrt, beschimpft, getreten und zusammengeschlagen. Die Gruppe skandiert während des Überfalls "Sieg Heil".

Februar

Im Fall der Brandstiftung an dem Asylbewerberheim in Dolgenbrodt werden weitere Haftbefehle erlassen. Einer der verhafteten Dolgenbrodter, der Blumenhändler Thomas Oste, gesteht, dem Brandstifter Silvio Jankowski zunächst 2 000 Mark für den Brandanschlag und später 10 900 Mark als Schweigegeld gezahlt zu haben.

Aus Oranienburg wird ein rassistisches Schreiben des Jugenddezernenten bekannt, der auf eine Einladung zu einem Forum gegen Rassismus geantwortet hatte, "von Ausländern geht unvergleichlich mehr Gewalt gegen Deutsche aus als umgekehrt". Der Jugenddezernent entschuldigte sich im nachhinein für den Brief und verwies darauf, daß nicht alle Schreiben seiner Abteilung von ihm verfaßt werden.

7. In der Regionalbahn Nauen-Falkensee mißhandeln fünf rechte Jugendliche einen libanesischen Asylbewerber schwer.

8. Acht rechte Jugendliche grölen in einem Potsdamer Nachtbus nationalsozialistische Parolen. Anschließend verfolgen sie zwei Fahrgäste, reißen einen von ihnen zu Boden und treten ihn mit Springerstiefeln.

9. In Belzig beschmieren rechte Jugendliche einen China-Imbiß mit Hakenkreuzen und der Parole "Ausländer raus".

11. In Potsdam wird ein Mann aus Afrika von drei rechten Jugendlichen verfolgt und angegriffen. Zwei Passanten, die eingreifen, werden von den Rechten ebenfalls angegriffen.

13. Der Italiener Antonio Melis wird in Caputh nach einem gemeinsamen Trinkgelage von zwei Deutschen verprügelt, rassistisch beschimpft und schwer verletzt in die Havel geworfen. Antonio Melis ertrinkt. Staatsanwaltschaft und Polizei weigern sich, einen rassistischen Hintergrund der Tat anzuerkennen.

14. Eine Versammlung der Jungen Nationaldemokraten (JN) mit 40 TeilnehmerInnen wird in Guben von der Polizei aufgelöst.

14. In Oranienburg wird ein Jugendlicher wegen rechtsextremer Parolen festgenommen.

15. Eine Gruppe von rund 15 rechten Jugendlichen greift in Neuruppin drei Algerier mit Baseballschlägern an.

16. In Oranienburg versuchen 17 rechte Jugendliche, eine Diskoveranstaltung des Louise-Henriette-Gymnasiums zu besuchen. Nachdem ihnen der Einlaß verwehrt wird, demolieren sie Einrichtungsgegenstände, grölen "Sieg Heil" und zeigen den Hitlergruß.

17. Zwei linke werden von zwei rechten Jugendlichen in Stadt Brandenburg in einer Straßenbahn angepöbelt und dann zusammengeschlagen.

22. In Bad Freienwalde werden mehrere AusländerInnen von Deutschen mißhandelt.

22. Auf einer Autobahntankstelle bei Waltersdorf wird ein englischer Rockmusiker von einem Neonazi zusammengeschlagen.

22. Zwei afrikanische Asylbewerber werden in Ludswigslust an einer Bushaltestelle aus einem vorbeifahrenden Auto heraus mit einer Schreckschußpistole bedroht.

22. In Potsdam wird ein 38jähriger türkischer Mann von 13 rechten Jugendlichen am S-Bahnhof Rehbrücke überfallen und beraubt.

23. Ein 35jähriger Kubaner wird in Frankfurt/Oder nachts von fünf rechten Jugendlichen verfolgt, getreten und geschlagen. Dabei werden Parolen gerufen wie "Ausländer raus" und "Hau ab aus Deutschland".

28. Ein 26jähriger russischer Mann wird in Fürstenwalde von sechs rechten Männern überfallen, die mit einem Schraubenschlüssel auf ihn einschlagen und ihn berauben.

März

1. In Hardenbeck grölen in einer Diskothek rechte Jugendliche "Sieg Heil" und zeigen den Hitlergruß. Ein 16jähriger, der daraufhin nach Hause gehen will, wird geschlagen und getreten.

1. In Frankfurt/Oder überfallen zwei rechte Jugendliche eine 35jährige Frau und ihren türkischen Ehemann. Sie schlagen und treten auf ihre Opfer ein und rufen rassistische Parolen.

3. Nachts schmieren Unbekannte in Zossen an mehrere Häuserwände Hakenkreuze und Losungen wie "Sieg Heil" und "Ausländer raus".

4. In Ludwigsfelde findet in der Nacht ein Brandanschlag auf einen türkischen Imbiß statt.

5. Vor den Toren eines Aussiedlerheims in Röddelin versammeln sich rund 30 rechte Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren und rufen rassistische Parolen. Die alarmierte Polizei kann gerade noch einen Angriff auf das Heim verhindern.

7. In Frankfurt/Oder kommt es im Laufe des Tages zu mehreren rassistischen Angriffen auf polnische Staatsbürger. Ein Pole wird von einem Unbekannten aus einem Supermarkt hinausgeworfen und verprügelt. Der Unbekannte beschimpft ihn mit rassistischen Sprüchen. Abends greifen 15 rechte Jugendliche mit Steinen ein Fahrzeug mit polnischen Kennzeichen an.

8. Drei rechte Jugendliche schlagen in der Diskothek "Pflaumenbaum" in Frankfurt/Oder einen marokkanischen Mann zusammen.

8. In Müllrose im Landkreis Oder-Spree werden vier Rechte festgenommen, die zuvor die Insassen eines polnischen Autos verprügelt hatten.

11. Vier Naziskins überfallen in Fürstenwalde ein Treffen "linker" Jugendlicher im St.-Marien-Dom. Sie greifen gezielt einen Jugendlichen an, der ein T-Shirt mit den Worten "Nazis raus" trägt, und schlagen ihn zusammen. Einer der Naziskins schlägt am gleichen Tag noch einen 45jährigen Mann brutal nieder.

14./15. In Rathenow greift eine Gruppe von zwölf rechten Jugendlichen drei Jugendliche vor einer Diskothek an.

15. In Frankfurt/Oder randalieren drei Naziskins in einer Straßenbahn, rufen faschistische Parolen, zeigen den Hitlergruß und drohen mit einer Schreckschußpistole. Später belästigen sie in einer Rettungsstelle eines Krankenhauses Patienten und Pflegepersonal.

18. In Fürstenwalde wird eine libanesische Familie von vier Naziskins angegriffen und mit Messern bedroht.

22. In der Nacht werden 26 überwiegend aus Frankfurt/Oder stammende rechte Jugendliche festgenommen. Sie waren "Sieg Heil" und "Deutschland den Deutschen" grölend durch die Innenstadt gezogen.

25. In Wriezen bedroht ein 40jähriger Mann einen türkischen Imbißbesitzer mit einem Messer, ruft rassistische Parolen und verwüstet den Imbißstand.

26. Sechs rechte Jugendliche überfallen in Niederlehne zwei andere Jugendliche und schlagen sie mit einem Baseballschläger und Steinen zusammen.

28. In Potsdam wird ein kroatischer Asylbewerber von acht Naziskins überfallen, mit Steinen beworfen, geschlagen und getreten. Dabei werden rassistische Parolen gerufen.

28. In Frankfurt/Oder wollen rund 70 Neonazis aus dem Umfeld der JN/NPD trotz Verbots einen Aufmarsch der JN unter dem Motto "Stoppt den antideutschen Rassismus - Keine Gewalt gegen Deutsche" durchführen, werden aber von der Polizei davon abgehalten. Abends überfallen 15 Naziskins im Alter von 14 bis 20 Jahren einen Ausländer und schlagen die Scheiben eines Jugendclubs ein.

April

3. In Frankfurt/Oder wird ein Pole von drei Deutschen mit einem Vorschlaghammer zusammengschlagen und beraubt. Einer der beiden erwachsenen Täter, Sven Lemke, gehört zum harten Kern der rechten Szene in Frankfurt/Oder. Er war mehrmals wegen Körperverletzungen und Naziparolen aufgefallen.

Mai

10. In der Nacht schleudern zwei Täter Molotowcocktails auf ein Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Fürstenwalde.

10. In Königs Wusterhausen wird ein 44jähriger Pole von drei rechten Jugendlichen zusammengeschlagen.

Juli

4. In Saarmund werden drei Italiener angegriffen und verletzt.

8. In Potsdam wehrt sich ein türkischer Imbißangestellter gegen einen Angriff von vier Skins mit einem Dönermesser. Alle Angreifer sind wegen rassistischer Vorfälle bekannt.

24. Vier Männer werden festgenommen, nachdem sie in Ahlbeck einen Polen mit ihren Motorrädern umkreisten und dabei auf ihn einschlugen.

26. In Linthe überfallen drei rechte Jugendliche einen tunesischen Mann, dessen Verletzungen stationär behandelt werden müssen.

27. Zwei armenische Männer werden in Uckermünde nach einem Volksfest von 20 bis 30 rechten Jugendlichen angegriffen und aus der Stadt gejagt.

August

Im August werden überall im Land Brandenburg vermehrt Neonazi-Propagandamaterialien zu Rudolf Heß verteilt und plakatiert. Brandenburger Neonazis beteiligen sich an den bundesweiten Aktionen der rechten Szene.

6. Zwei libanesische Männer werden bei einem Angriff in Frankfurt/Oder von sechs Rechten im Alter zwischen 17 und 24 Jahren schwer verletzt.

9. In Fürstenwalde werden zwei liberianische Asylbewerber von einer 15köpfigen Neonazigruppe verprügelt.

16. Nachts überfallen 15 Neonazis ein Zeltlager von Berliner Schülern am Falkenhagener See bei Falkensee. Zwei Personen werden schwer verletzt.

24. Nach einem ausgefallenen Konzert mit dem rechten Liedermacher Frank Rennicke sammeln sich 150 Neonazis in Ludwigslust zu einem Rudolf-Heß-Gedenkmarsch in der Stadt und ziehen ungestört Naziparolen rufend mit Fackeln durch die Stadt.

Die Chronologie wurde von unserer Autorin zusammengestellt und wird im Januar fortgesetzt. Dank an das Antifaschistische Pressearchiv Berlin und an das Zentrum Demokratische Kultur.