Ordnungskräfte unter sich

Warum die Wochenzeitung Interim nur alle zwei Wochen erscheint
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Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ist dafür bekannt, daß sie äußerst großzügig den Vorwurf der Mitgliedschaft, Unterstützung oder Werbung für eine terroristische Vereinigung (Paragraph 129a des Starfgesetzbuches) erhebt - jedenfalls gegen Linke. Selbst wenn schließlich nichts oder fast nichts bei den Ermittlungen herauskommt - wie im Verfahren gegen die Untergrundzeitung radikal -, so rechtfertigt der Vorwurf doch den Einsatz geheimdienstlicher Methoden im Ermittlungsverfahren und die so gewonnenen Eindrücke sind oft Ergebnis genug. Im Verfahren gegen die autonome Berliner Wochenzeitung Interim jedoch ist es ausgerechnet der Bundesanwaltschaft zu verdanken, daß die Ermittlungen nicht nach Paragraph 129a geführt wurden, sondern als Tatvorwurf nur die Belohnung und Billigung von Straftaten (Paragraph 140 StGB) erhoben wird. Das geht aus den nun bekanntgewordenen Ermittlungsakten hervor. Demnach begannen die Ermittlungen bereits 1995.

Am 12. Juni 1997 war es zu einer Großrazzia in neun Wohnungen, Hausprojekten und in einer Druckerei gekommen. Über 500 PolizistInnen waren im Einsatz. Zwölf Personen wurde vorgeworfen, als "Verantwortliche(r) für die redaktionelle Zusammenstellung, Herstellung, den Druck sowie den Vertrieb der Zeitschrift Interim in mindestens drei Fällen durch den Abdruck anonymer Bekenner- bzw. Bezichtigungsschreiben zu Brandanschlägen auf Pkw sowie Eingriffen in den Schienenverkehr Straftaten gebilligt zu haben". Acht Beschuldigte, die man bei der Durchsuchung angetroffen hatte, wurden vorübergehend festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Die vier nicht greifbaren Personen blieben unbehelligt - sie erhielten nicht einmal eine Vorladung.

Offensichtlich diente die Durchsuchung der Staatsanwaltschaft insbesondere dazu, sich Einblick in bestimmte Wohnprojekte (eine Groß-WG wurde sogar vollständig ausgemessen) und in die Organisation der anonym herausgegebenen Interim zu verschaffen. Dabei landeten die ErmittlerInnen zwar nur einen Treffer, aber der saß: In einer Wohnung in der Neuköllner Pannierstraße fand man 750 Exemplare einer aktuellen Interim-Nummer, einen redaktionellen Entwurf, Deckblätter und ungeheftete Seiten, Montagefolien, Druckabfälle, Drahtheftgeräte, Aktenordner mit Vertriebsadressen und eine Schreibmaschine.

Der Aktion vom 12. Juni gingen zahlreiche Observationen durch den Staatsschutz voraus. Über Wochen waren an verschiedenen Orten Berlins BeamtInnen eingesetzt, um verdächtige Bewegungen zu registrieren, vor allem mittwochs und donnerstags, wenn die Interim ausgeliefert wurde. Dem hohen Ermittlungsaufwand standen relativ geringe Erkenntnisse gegenüber. Schließlich aber waren die Bemühungen doch von Erfolg gekrönt: Späher des Staatsschutzes beobachteten, wie Druckreste der Interim in einem Altpapiercontainer entsorgt wurden: Es kam zu einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit zweier für Ordnung zuständigen Dienste. Die eigens herangeholte Berliner Stadtreinigung holte unauffällig den Container ab und lieferte ihn den ErmittlerInnen frei Haus. Eine grün-orange Koalition sozusagen. So kam man der "Interim-Zentrale" auf die Spur. Spielten die Interim-MacherInnen die zunächst Folgen der Razzia herunter, so zeigte sich doch, daß der Einsatz der StaatsschützerInnen die Arbeit am Blatt behindert. Bis heute erscheint das Wochenblatt nur alle 14 Tage. Eigentlich nur als Zeitungsprojekt für die Berliner Autonomen gedacht, avancierte die Zeitung der Berliner Szene zu einem Projekt mit überregionaler Verbreitung.

Die Autonomen-Zeitung wird konspirativ und von jeweils wechselnden Redaktionen hergestellt. Sie hat außer einem Vorwort keinen redaktionellen Teil und dokumentiert die aktuell kursierenden Flugblätter, die - immer seltener eingehenden - Bekennerschreiben der Szene und die Diskussionspapiere der Autonomen. Zur Zeit etwa wird ausgiebig über Sexismus, Vergewaltigung und Patriarchat gestritten (vgl. Jungle World, Nr. 45/97, "Sex ist Käse").