Heiko Kaufmann, Pro Asyl

Ein System der Flüchtlingsabwehr

Gilt angesichts der deutschen Asylverhinderungspolitik "Vorwärts nach Schengen"?

Nein. Bei der Harmonisierung, die mit Schengen begonnen hat, geht es in erster Linie um polizeiliche Maßnahmen zur Verhinderung der Einreise möglicher Asylsuchender. Einheitliche Verfahren an den Außengrenzen, deren Kontrolle, Festlegung der gemeinsamen Visapolitik, Vereinbarungen über Sanktionen z.B. gegenüber Fluggesellschaften. Der Preis für die Freizügigkeit im Schengengebiet ist eine verstärkte Abschottung gegen Flüchtlingen und Einwanderern.

Aber nach dem deutschen Verfassungsgerichtsurteil vom Mai 1996 gab es doch Hoffnungen, daß die europäische Regelung im Gegensatz zum deutschen Recht zumindest die Prüfung des Asylantrags garantiert.

Die Verfahrensgarantien, die Schengen hat, werden nicht im positiven Sinn im nationalen Rahmen umgesetzt. Das ist möglich durch die eingebauten Öffnungsklauseln. Die EU-Länder, allen voran die Bundesrepublik, erfinden immer neue bürokratische Verfahren, um Flüchtlinge abzuschrecken. So ist ein System der Be- und Verhinderung der Inanspruchnahme des Asylrechts entstanden, das fast lückenlos ist. In dem ganzen Prozeß, in dem die Abkommen von Schengen und Dublin ein Teil sind, wird der Schutz von Flüchtlingen immer weiter abgebaut. Zum Beispiel durch die Verabredung des eingeschränkten Flüchtlingsbegriffs durch die Justiz- und Innenminister im November 1995. Seither gilt nach deutschem Vorbild das Dogma von der "staatlichen Verfolgung" als einzigem Asylgrund. Bereits im Sommer 1995 wurden unter deutscher Präsidentschaft Mindestgarantien für das Asylverfahren verabredet. Auch hier wurden die am wenigsten Schutz bietenden nationalen Standards zum Ausgangspunkt genommen. Insbesondere, was die sogenannten offensichtlich unbegründeten Asylanträge betrifft. Da sollen Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Oder: An der Grenze sollen Flüchtlinge durch Grenzbeamte in einen sogenannten sicheren Drittstaat zurückgewiesen werden können, ohne daß sich der zurückweisende Staat davon überzeugen muß, daß der Flüchtling dort ein Verfahren erhält. Dies widerspricht, wie die vom Bundesverfassungsgericht abgesegnete deutsche Drittstaatenregelung, den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention.

Also bietet die europäische Politik für Flüchtlinge keine einzige praktische Verbesserung?

Trotz der allgemeinen Ausrichtung auf Flüchtlingsabwehr böte das Dubliner Abkommen im aktuellen Fall Möglichkeiten. Zum Beispiel könnte Italien ein Ersuchen an die Bundesrepublik aus humanitären Gründen stellen. Viele Flüchtlinge, die in Italien ankommen, haben ja Familien in Deutschland. Doch Deutschland lehnt bis jetzt grundsätzlich die Umsetzung der Familienzusammenführung ab.

Mauern nach außen, gleichzeitig Abbau der Binnengrenzen. Da könnte man meinen, wer die Mauern erst einmal überwunden hat, hat dann innerhalb Europas bessere Chancen.

Das ist leider nicht so. Ein Flüchtling, der ins Schengen-Gebiet kommt, kann auch nicht einfach in den Staat reisen, in dem er am leichtesten Asyl bekommt. Die Behörden stellen fest, wo er seinen Asylantrag stellen muß. Schengen hat unter anderem auch ein umfangreiches Instrumentarium zum Datenaustausch bereitgestellt: Das Schengener Informationssystem, den Abgleich von Fingerabdrücken. Und auch die "Asylcard" ist wieder im Gespräch.

Bis jetzt hat der Prozeß von Dublin und Schengen dazu geführt, die schlechtesten Standards zu europäisieren und die Mauer weiter in den Osten vorzuschieben. Im Völkerrecht ist nach den Erfahrungen, die es in diesem Jahrhundert gegeben hat, ein relativ guter Flüchtlingsschutz festgeschrieben. Aber durch Verträge wie Schengen, bilaterale Rückübernahmeabkommen und Beschlüsse der Justiz- und Innenminister wird das Völkerrecht in der Substanz ausgehöhlt. Weniger Freiheitsrechte für das Individuum, immer größere Vollmachen für die Exekutive: Am Beispiel der Flüchtlinge zeigt sich die bedrohliche Richtung, in die die Gesamtgesellschaft sich bewegt.