Flöten im Pool

Johannes B. Kerner lädt Gäste ein, um über sich zu reden

Zu den eher unangenehmen Jobs des Pressewesens dürfte das Verfassen von Ankündigungen für neue Fernsehsendungen gehören. Denn was soll man den Zeitungskollegen z.B. über eine neue Talkshow schreiben? Der Moderator oder die Moderatorin wird mit prominenten Menschen reden, die zuvor schon in jeder einzelnen Talkshow des deutschsprachigen Raums gesessen haben?

Und was soll man erst über die neue Show des frisch von Sat.1 zum ZDF gewechselten Johannes B. Kerner schreiben? Die Wahrheit? Vorrangig ging es darum, die Konkurrenz zu ärgern, und irgendwas mußten wir ihm zu tun geben, deswegen machen wir mit ihm eine Talkshow, denn was anderes als reden kann er nicht? Das geht nicht, deswegen muß man aus dem eher simplen Konzept "Menschen reden miteinander", das auf fast alle Talkshows zutrifft, etwas völlig Sensationelles machen. Das Presseheft versprach dann jedoch doch nur das, was Pressehefte immer so versprechen. Noch nie Dagewesenes und dem Genre vollkommen neue Bedeutung Gebendes eben, oder so. "So sollen Begriffe wie "Verlierer", "Ganz oben", "Lotto" oder "Börse" mit Leben gefüllt werden", wird "JBK" angekündigt, "interessante Ereignisse, kontroverse Meinungen und die Fülle menschlicher Erfahrungen sind hier ebenso gefragt wie Amüsement und Lachsalven". Denn "Kerner spielt auf der gesamten Klaviatur des modernen Lebens".

Das ist keine schöne Vorstellung.

Johannes B. Kerner möchte gern von allen gemocht werden, deswegen inszeniert er sich sorgfältig als der nette Junge von nebenan. Diese netten Jungen von nebenan, von denen Mütter immer so gern schwärmen, sind allerdings meistens nur solange nett, wie sich die Welt um sie herumdreht.

So ähnlich funktioniert der Kerner, dem das "B." im Namen irgendwann während seines Wechsels zum ZDF zulief, wohl auch. Gnadenlos nett spricht er schon in den ersten Minuten der Show ein "Das ist zu gut" in den Applaus des Publikums hinein, "ich danke Ihnen für den netten Empfang!" Sofort stellen die Zuschauer das Klatschen ein, denn der Mann ist so gerührt, daß man einen Tränenausbruch vermeiden möchte.

Die folgende Ruhe dauert nicht lange, denn der Moderator, der sich nur kurzzeitig wieder gefaßt hat, bricht statt dessen in Euphorie aus. Das Thema des Abends soll "Abtauchen" sein, und begeistert erklärt er den Begriff. Und stellt den ersten Gast vor, Ulla Kock am Brink, die sich zur Teilnahme an der Sendung qualifiziert hat, weil sie zwei Wochen Tauchurlaub auf den Malediven hinter sich hat. Und demnächst eine neue Show startet, darüber muß Kerner nun zunächst alles wissen. Aber Themen, die nichts mit Kerner zu tun haben, sind für Kerner erst mal nicht so interessant, deswegen muß der Mann Fragen stellen und Antworten provozieren, zu denen er auch etwas zu sagen hat, vorzugsweise Sätzen mit "Ich".

Das klappt nach einer Weile auch ganz gut, der Mann ist schließlich Profi. "Das wüde ich nicht schaffen!" setzt er zum Beispiel zu einem längeren Kommentar an, in dem es wohl im großen und ganzen darum gehen soll, wieso Johannes B. Kerner im Gegensatz zur Kollegin nicht täglich arbeiten kann, aber Ulla Kock am Brink ist auch Profi und deswegen in der Lage, ihn sofort zu unterbrechen und statt dessen über sich zu erzählen.

Der "klassisch-niveauvolle Abendtalk", den Kerner schon vor dem Start seiner Show versprach, nimmt weiter seinen Lauf, und der Talkmaster beweist nebenher seine Sensibilität, schließlich ist er "an Menschen interessiert" und fragt Kock am Brink: "Dein Vater ist 1988 gestorben, und im RechercheGespräch hast du gesagt, daß es für dich eine sehr wichtige Erfahrung war. Wieso?"

Aber nicht nur Prominente sollen in der Show Begriffe mit Leben füllen, auch nichtprominente Menschen sollen daran beteiligt sein. Indem sie z.B. Sachen machen wie der Unterwasser-Trompeter Gerd Kech. Von dem ist Kerner schwer begeistert, und um zu unterstreichen, daß er einen guten Draht zum Durchschnittsmenschen hat, verkündet er: "Sie machen das ganz toll!" Der Mann hat noch nichts weiter getan als mit der Trompete in der Hand im Bassin rumzustehen, und er schaut den Moderator deswegen ein wenig verunsichert an, aber der plaudert ungerührt weiter - hauptsächlich über sich -, stellt ein paar Fragen, und dann kann Kech endlich trompeten.

Auch andere Nicht-Prominente haben Erfahrungen mit dem Abtauchen, und auch sie dürfen ihre Geschichte erzählen. Zwar nicht auf der Couch bei den Promis, aber im Publikum sitzend wie Hannes Veigel, der aufgrund finanzieller Probleme in Tunesien abtauchte - zackzack werden die Fakten abgefragt, dann ist auch schon wieder eine bekannte Persönlichkeit dran.

Aber die Kerner-Show soll nicht nur Begriffe mit Leben füllen. Weit schlimmer: Man hat auch noch Humor. Der sich natürlich um den Moderator drehen muß, und so darf man dann einen alten Werbespot mit Franziska van Almsick gucken, in dem sie mit ihrem Auto stauvermeidend ab- und am Ende klitschnaß wieder auftaucht. Ohne eine Miene zu verziehen, wringt der eher abgehalfterte Schwimmstar seine Turnschuhe aus, genau über dem auf dem Boden liegenden B. Kerner, der offensichtlich zuviel "Forrest Gump" geguckt hat (schon im Vorspann steht er in jeder einzelnen Show seit Beginn der Fensehunterhaltung herum).

Nach einer dreiviertel Stunde Begriffe-Füllen und kontroversen Lachsalven ist die niveauvolle Abendunterhaltung zu Ende, allerdings nur fast. Denn Ulla Kock am Brink zwingt, selbstverständlich völlig unabgesprochen, Johannes B. Kerner in der letzten Sendeminute zum Trompeter ins Bassin und drückt ihm ein Musikinstrument in die Hand. Und so spielt Johannes B. Kerner dann doch noch auf der Klaviatur des modernen Lebens, allerdings bloß Blockflöte.