Le Pen und die Sans-travail

Bei der Präsidentschaftswahl 1995 hatten jeweils 30 Prozent der Arbeiterschaft (im engen soziologischen Sinne, d.h. ohne Angestellte etc.) und der Arbeitslosen für den Kandidaten des Front National, Jean-Marie Le Pen, gestimmt. Bei den Parlamentswahl zwei Jahre später war der FN-Anteil in diesen Schichten leicht zurückgegangen - auf etwa 25 Prozent, da ein Teil der Arbeiter- und Arbeitslosenwählerschaft offensichtlich durch die Linksparteien und vor allem die Sozialdemokratie angezogen wurden.

Der Front National mag die Arbeitslosen - wenn sie still ihr Schicksal erdulden, das Maul halten und, vor allem natürlich, rechtsextrem wählen. Schluß mit lustig ist aber, sobald die Arbeitslosen aus ihrer sozialen Isolierung heraustreten oder gar kollektiv protestieren. So waren die ersten Reaktionen der rechtsextremen Presse auf die Arbeitslosenbewegung ablehnend. National Hebdo-Chefredakteur Martin Peltier schrieb in der Ausgabe vom 18. Dezember 1997 über die Besetzungen von Arbeitslosenkassen: "Die Leute, die arbeiten und sich abrackern, sähen es gerne, wenn jene, die von den Arbeitslosengeldern profitieren - die zu ihren Lasten gehen -, ein bißchen Anständigkeit an den Tag legen würden." Und die FN-Wochenzeitung Minute, Brücke zu konservativ-reaktionären Milieus am Rande der bürgerlichen Rechten, mokierte sich am 31. Dezember: "Das ist die letzte Mode des Jahres und die Tendenz für 1998. Nach dem Samba der Sans-papiers und dem Rumba der Sans-domiciles (früher sagte man Clochards) kommt hier jetzt der Salsa der Sans-travail (früher sagte man Arbeitslose)."

Zwei Wochen später - die Aktionen der Arbeitslosen dauerten an - begannen die Rechtsextremen zu differenzieren. Die FN-Parteizeitung National Hebdo gab am 15. Januar 1998 den Ton vor: "Die Demonstrationen der Arbeitslosen zeigen echtes Leid auf (...). Aber sie sind auch ein politisches Manöver, das von den Kommunisten lanciert worden ist, um die Regierung unter Druck zu halten, und - vor allem - um eine Kleine-Leute-Wählerschaft zurückzugewinnen, die vom Front National angezogen wird." Die Gründe für die Arbeitslosigkeit waren von Chefredakteur Martin Peltier auch schnell ausgemacht: "Seit Jahren hatten die Regierungen beschlossen, den französischen Markt für ausländische Waren zu öffnen (...). Seit Jahren hatten sie durch die massive Immigration die Arbeitslosigkeit beschleunigt (...). Und siehe da, plötzlich wird die Arbeitslosigkeit zum Problem, weil sie Le Pen in die Hände spielt." Den wiederum schienen geschmeidigere Taktiken seiner eigenen Partei nicht zu interessieren. Auf einer Pressekonferenz am selben Tage befand er barsch: "Die Bewegung der Arbeitslosen umfaßt nur einen winzigen Teil der Franzosen im Unglück."

Es scheint, als habe der Front National sich damit aus dem aktuellen Konflikt verabschiedet. Eine CSA-Umfrage vermerkt für die extreme Rechte den niedrigsten Wert unter allen politischen und sozialen Formationen: Nur sieben Prozent trauen dem FN zu, eine Lösung aus dem Arbeitslosenkonflikt zu finden, 84 Prozent äußern das Gegenteil. Aber auch im Streikherbst 1995 stand der FN weitgehend außen vor und, noch schlimmer für ihn, seine Wählerschaft war in der Haltung zum Streik in zwei etwa gleich große Teile gespalten: 54 Prozent der FN-Wähler befürworteten den Ausstand, den die Partei strikt verurteilte. Dennoch zog diese Periode keinen - auch nur kurzfristigen - Einbruch des FN bei Wahlen nach sich.