Mythos mit gelben Flecken

Was nach der Fußball-Weltmeisterschaft im Juli mit dem extra dafür gebauten Stade de France in Paris geschehen soll, ist noch unklar. Klar ist nur: Es wird teuer

Vom eigens getexteten Lied war dank der schrägen Klangbrei produzierenden Lautsprecheranlage nur der Refrain hörbar: "Sieg! Vereinen wir unsere Herzen, um die Besten zu sein"

Vor dem Spiel zwischen der französischen und der spanischen Nationalmannschaft, mit dem am letzten Mittwoch das Pariser Fußball-WM-Stadion Stade de France eingeweiht wurde, zerfetzte die Lautsprecheranlage aber nicht nur die Musik, sondern gleich auch noch die offizielle Rede von Jacques Chirac. Dann drehte ein Huhn mit dem beziehungsreichen Namen "Footix" eine Stadionrunde - es handelt sich um das offizielle Weltmeisterschafts-Maskottchen-, und derart belustigt nahm Frankreich mit einer futuristischen Techno-Messe das neue Stadion in Betrieb. 2,7 Milliarden Francs (umgerechnet 800 Millionen Mark) hat dieses in der nördlichen Pariser Banlieue, genauer in St. Denis, gelegene, "schönste Stadion der Welt" (Fifa-Präsident Havelange) gekostet. Am Rande der Festivitäten gewann Frankreich gegen Spanien mit eins zu null.

Auch sonst lief alles wie am Schnürchen, selbst das zeitweise erwartete Verkehrschaos blieb aus. Die Transportgewerkschaften hatten die zur Stadioneröffnung angekündigten Streiks abgeblasen. Damit beugten sie sich dem nationalen Interesse und sorgten dafür, daß die Welt ein Frankreich-Bild erhielt, mit dem alles, aber keine "sozialen Konflikte, Unordnung oder Desorganisation" assoziiert werden konnten - wie vorher von Politikern aller Parteien befürchtet. Weil am Stadion jedoch Parkplätze fehlen (80 000 Zuschauer müssen sich 6 000 teilen), bleibt das Quasi-Monopol für den Fan-Transport bei den Verkehrsbetrieben - die nun eben Streiks für die Zeit der WM in Aussicht stellten.

Neben den Gewerkschaften spielten auch die Zuschauer artig mit, sie verzichteten aufs Auto und benutzten die Fahrscheine, die ihnen zur Eintrittskarte geschenkt worden waren. Weil daher alles so prächtig geklappt hat, brachen die Medien in Euphorie aus: "78 836 Stimmen, 78 836 Fußballherzen", "Wundervoll, grandios, prächtig". Ein so gutes Vorzeichen", "Was für ein Fest!", "Wahnsinn" - in den Nachrichten von TF 1 hieß es gar: "Auch wenn die Mannschaften auf dem Rasen konkurrieren, so wird das Stade de France doch zum symbolischen Ort der Gleichheit der Völker." Die Begeisterung kommt nicht von ungefähr: TF 1, der größte Fernsehsender Frankreichs, der auch die gesamte Eröffnung übertrug, gehört zu 39 Prozent dem am Stadion-Konsortium beteiligten Konzern Bouygues - aber auch viele andere französische Medien stehen unter dem Einfluß der drei Stadionbauer und

-betreiber Bouygues, SGE und GTM.

Über den Rasen hieß es in den Zeitungen beispielsweise, daß er "nur so danach verlangt, mythisch zu werden" (Le Parisien). Weil er 90 Millionen Francs (27 Millionen Mark) gekostet hat? Oder weil er mit gelben Flecken übersät ist, die, nach Angaben der Umweltschutzorganisation Robin Wood, vom verseuchten Boden herrühren, den die vorher hier angesiedelte Erdölraffinerie hinterlassen hat? Zwar hat der Staat 150 Millionen Francs (45 Millionen Mark) in die Dekontaminierung gesteckt, aber in den Kellergeschossen des Stadions soll es mittlerweile "ekelerregend" stinken. Die Umweltschützer fordern jedenfalls vehement die Einsetzung einer Untersuchungskommission.

Aber nehmen wir spaßeshalber an, der Rasen hätte eine Überlebenschance. Dann stellt sich jetzt schon die Frage, was im Stadion und drumherum nach der WM passieren wird. Der Plan: Um das Stadion soll ein wahres Vergnügungszentrum entstehen. Im Mai ziehen in das "Forum Grand Stade" ein Sportsupermarkt, ein Kino, der Fastfoodanbieter Hamburger Quick und das Betreiberkonsortium ein. Ob es sich dabei wirklich um Projekte handelt, die eine Banlieue-Stadt mit 95 000 Einwohnern braucht? Eine, in der knapp dreißig Prozent der 15- bis 25jährigen arbeitslos sind, und deren zu knapp dreißig Prozent aus Ausländern bestehende Einwohnerschaft Ausgrenzung und soziale Degradierung gewohnt ist?

Noch ungewisser ist, was nach der WM im Stadion passieren wird. Fest stehen bisher nur - den Menschen in St. Denis bleibt nichts erspart - Konzerte der Rolling Stones und von Johnny Halliday. Weiter gewünscht: Ein Fußballverein, der im Stade als sogenannter Residenzklub seine Heimspiele austrägt. Aber der wolle sich einfach nicht auftreiben lassen, hieß es aus dem Ministerium für Jugend und Sport. Der einzig ernsthafte Kandidat, Paris St. Germain (PSG), derzeitiger Tabellenvierter der Ersten Liga, sträubt sich. PSG-Präsident Bernard Brochant erklärte: "Wenn wir ins Stade de France ziehen, werden uns fünfzig Prozent unserer Anhänger nicht folgen." Vielleicht hat er dabei im Hinterkopf, daß die großenteils als extrem rechts eingeschätzten Fans des PSG vor den in St. Denis zahlreichen Ausländern und Kommunisten schlicht Angst haben dürften. Im übrigen, so Brochant weiter, sei alles "eine Frage der Subventionen". Bliebe die Ansiedlung eines Klubs aus der Banlieue St. Denis, doch die kicken allesamt erfolglos in den niederen Spielklassen herum, die wenigen Zuschauer würden sich im Riesenstadion verlieren.

Die Ministerin für Jugend und Sport, Marie-George Buffet, hat zur Klärung der Frage für Februar einen Runden Tisch einberufen. Sollte dort keine Lösung gefunden werden, dann wird das Stade für den Staat teuer. Und das kommt so: Die drei Bauherren des "Stade de France" - Bouygues, SGE und GTM - bilden gleichzeitig das Betreiberkonsortium des Stadions. Die Unternehmen zahlten 53 Prozent, der französische Staat 47 Prozent der Baukosten - "Für ein Ausnahmeprojekt eine Ausnahmefinanzierung", hatte Jacques Chirac gesagt.

Am 29. April 1995 unterschrieb der damalige Premierminister Eduard Balladur für den Staat einen bis 2025 laufenden Vertrag mit besagtem Konsortium. Darin findet sich auch folgende kleine Abmachung: Wirft das Stadion Profit ab, steckt ihn das Konsortium ein, macht das Stadion Verluste, zahlt der Staat jährlich 50 bis 70 Millionen Francs (15 bis 20 Millionen Mark) an das Konsortium. Das gilt als sicher, falls sich kein Residenzklub finden sollte. Und so wird ein ewiges Rätsel bleiben, warum das Konsortium seinen Wohltäter Balladur nicht zur Eröffnungsfeier eingeladen hat.

Was so alles beim Bau des Stade de France geschehen sein könnte, deutete Andre Delelis, Bürgermeister von Lens an, als er Anfang 1997 wegen Unregelmäßigkeiten bei der Stadion-Renovierung in seiner Heimatstadt festgenommen wurde. Unter Hinweis auf die "juristischen und finanziellen Abläufe beim Bau des Stade de France" hatte er erklärt, er würde angesichts der Vorgänge in Lens "nicht einmal erröten". Zur gleichen Zeit wurde von mindestens "fünfzig polnischen Arbeitern ohne Papiere" auf dem Bau in St. Denis gemunkelt, aber die zuständige Präfektur teilte umgehend mit, sie habe die Papiere der Arbeiter eingehend geprüft, lange bevor auch nur ein polnischer Fuß französischen Boden berührt habe. Schwarzarbeit auf einer halb-staatlichen Baustelle - undenkbar.

Anderes wird dagegen sogar ganz explizit gedacht: Michel Platini, Co-Präsident des französischen Organisationskomitees, sorgte sich schon vor einiger Zeit sehr um den "möglichen Visa-Mißbrauch" im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft: "Allein aus Marokko liegen uns 250 o00 Anträge vor. Aber ich glaube nicht, daß alle wegen der WM kommen wollen." Kein Wunder. Der französischen Senat hat zur WM eine große Werbekampagne für Frankreich gestartet. Motto: "Bonjour 98, Frankreich empfängt die Welt."