Antiziganismus im Sport

Eine Minderheit mit Weltstars, die lieber nicht darüber sprechen

Sinti und Roma sind im Sport häufiger vertreten, als es bekannt ist. Mit Ressentiments haben vor allem die Athletinnen und Athleten zu kämpfen, die sich zu ihrer Herkunft bekennen.

Ein Dialog zweier Fußballer während eines Champions-League-Spiels: »Er hat mich ›Zigeunerscheiße‹ genannt, also gab ich ihm ›schwarze Scheiße‹ zurück. Weil ich stolz darauf bin, ein gypsy zu sein, war ich nicht beleidigt. Ich glaube auch nicht, dass er beleidigt sein kann, wenn ich sage, dass er schwarz ist.« Berichtet davon hat der serbische Weltklassespieler Siniša Mihajlović, der damals, 2000, bei Lazio Rom spielte; 2022 verstarb er, erst 53jährig. Sein Kontrahent war der französische Nationalspieler ­Patrick Vieira, damals beim Londoner Spitzenclub Arsenal FC. Vieira hatte Mihajlović vorgeworfen, ihn »schwarzer Bastard« genannt zu haben, und der Serbe glaubte, dies richtigstellen zu müssen.

Sinti und Roma sind die großen Unbekannten im Weltsport. Präsent sind sie als Objekt von Beschimpfungen. »Zick, zack, Zigeunerpack«, wird von Fans gerne skandiert, » … Du Zigeuner« wird halb geplärrt und halb gesungen, und der Sozialwissenschaftler Pavel Brunssen kommt zu dem resignativen Schluss: »Die ›Zigeuner‹-Rufe sind ein fester Bestandteil der Fußballkultur, auch wenn viele Fans (bewusst) nicht mit einstimmen.«

Die wenigen Sportlerinnen und Sportler, von denen es bekannt ist und die offen dazu stehen, sind heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Der frühere Fußballprofi István Pisont, er spielte in der Bundesliga für Eintracht Frankfurt und auch in der ungarischen Nationalmannschaft, sagte einmal: »Ich bin der einzige Spieler, der sich in Ungarn zu den Roma bekannt hat – und das in mehr als 20 Jahren. Aber natürlich gibt es viel mehr Spieler in den Vereinen, die unserer Minderheit angehören. Sie würden es jedoch nie zugeben.«

»Ich bin der einzige Spieler, der sich in Ungarn zu den Roma bekannt hat – und das in mehr als 20 Jahren. Aber natürlich gibt es viel mehr Spieler in den Vereinen, die unserer Minderheit angehören. Sie würden es jedoch nie zugeben.« István Pisont, ehemaliger ungarischer Nationalspieler

Tatsächlich soll es sowohl unter noch aktiven als auch unter ehemaligen Fußballern nicht wenige Sinti und Roma geben: Von Gerd Müller, dem 2021 verstorbenen erfolgreichsten Stürmer im deutschen Fußball, wird es immer wieder kolportiert. Ob es stimmt, wie etwa sogar Romani Rose, der Präsident des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma, sagt, kann aber nicht als sicher gelten. In jedem Fall war Müller, der in Nördlingen aufwuchs, mit der Sinto-Familie Reinhardt befreundet, wurde dort wie ein Familienmitglied behandelt, und deren Tochter Laura Reinhardt war auch eine seiner ersten Freundinnen. Müller selbst soll sich gelegentlich selbst als Sinto oder Halb­sinto bezeichnet haben, und Laura Reinhardt habe von ihm geschwärmt, er sei ein »wunderschöner junger Mann mit brauner Haut«, ­einer, »wie wenn er von uns gekommen tät’« und der »original zu uns gepasst« hätte.

Ähnliche Gerüchte kursieren über den schwedischen Weltstar Zlatan Ibrahimović, den Franzosen Eric Cantona, den Bulgaren Christo Stoitschkow, den Italiener Andrea Pirlo und etliche andere Weltklassefußballer. Wie seriös das ist, lässt sich schwer sagen. Auch in der Bundesliga gibt es etliche Spieler, die zum Volk der Sinti oder Roma gehören und die dies lieber für sich behalten.

Auch Olga Carmona gilt als Gitana

Offen als Rom lebt Freddy Eastwood, Jahrgang 1983, ehemaliger walisischer Nationalspieler und Profi bei renommierten Clubs in England. Er sagte einmal: »Mein Hintergrund hat mir in meiner Karriere sehr geholfen, denn wir sind starke Leute, stehen zusammen; noch jetzt lebe ich zu Hause, und meine Familie kommt zu jedem Spiel.« Walter Laubinger, der 1987 mit dem Hamburger SV den DFB-Pokal und die Vizemeisterschaft holte, ist Sinto. Auch bei ihm waren die familiären Bande stark, doch wenn Verwandte von ihm kamen, um beim Training zuzuschauen, bediente das sogleich das antiziganistische Stereotyp der Großfamilie, die immer aufpasst. Weil Laubinger auch Breakdance mochte, erklärten ihn Medien zum »tanzenden und singenden Zigeuner«.

Auch Olga Carmona gilt als Gitana, so der spanische Ausdruck für Rom­nja. Carmona hat 2023 bei der Fußballweltmeisterschaft der Frauen als Kapitänin das spanische Team zum Titel geführt, und im Finale gegen England war sie sogar Torschützin. Dass Carmona zu den Gitanas gehört, geht auf eine keinesfalls als sicher gelten könnende Information der Federación de Asociaciones de Mujeres Gitanas zurück, dem Verband der spanischen Romnja – und dort freut man sich.

Der Antiziganismus äußerte sich im Sport, national wie international, immer besonders heftig und besonders hässlich. Vor den Olympischen Spielen 1936 wurde Berlin »zigeunerfrei« gemacht. Das bedeutete, dass Ende Mai 1936 infolge eines »Landfahndungstags nach Zigeunern« etliche Familien zu einem »Rastplatz« im Bezirk Marzahn transportiert wurden. Mitte Juli wurden dann weitere 600 Sinti und Roma verhaftet und ebenfalls nach Marzahn gebracht. Für die 130 Familien in dem Lager gab es nur drei Wasserhähne und zwei Toiletten. Die Deportation der Familien nach Marzahn fand in aller Öffentlichkeit statt, auf Pferdespannwagen oder auf Tiefladern wurden die Menschen abtransportiert. Der Berliner Lokalanzeiger titelte begeistert: »Berlin ohne Zigeuner«. Bald wurde ein Stacheldraht um das Lager gezogen, Rassentheoretiker nahmen anthropologische Messungen vor, um zu zeigen, dass »die Bastarde allgemeingefährlich und von Natur aus Verbrecher« seien.

Würdigung eines Verantwortlichen für Deportationen 

Vom »Zigeuner-Rastplatz« Marzahn wurden später viele Sinti und Roma in Vernichtungslager deportiert. Nennenswerten Protest oder gar Widerstand gegen die Entrechtung und Verfolgung der Sinti und Roma gab es nicht. Die Berliner Stadtmission, eine evangelische Wohlfahrtseinrichtung, die sich mit christlichem Missionierungsauftrag um Sinti und Roma kümmerte, stellte ihre Arbeit exakt 1936 ein, als anlässlich der Olympischen Spiele die systematische Verfolgung begann.

Oder das Beispiel Fußball: Von 1925 bis 1945 amtierte Felix Linnemann als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Schon 1932 wollte er, dass der Fußball dabei half, »die erstrebte Wehrhaftigkeit des ganzen Volkes« herzustellen. Seit 1939 war Linnemann Leiter der Kriminalpolizeileitstelle in Hannover. Er entschied, »welche Sinti in die KZs deportiert wurden, welche sterilisiert wurden und welche wo Zwangsarbeit leisten sollten«, wie Erna Trollmann, Schwägerin des im KZ ermordeten Profiboxers Johann »Rukelie« Trollmann, später aussagte. In Linnemanns Verantwortung fiel die Deportation von mindestens 700 niedersächsischen Sinti und Roma nach Auschwitz. Zwei Brüder von Johann »Rukelie« Trollmann wurden von Linnemann in den Tod geschickt.

Die Website des DFB würdigt Linnemann trotzdem bis heute als »Herbergers Entdecker«, dem der »Fußballsport eine Herzensange­legenheit« war. »Der politische Umschwung 1933 führte zu einer Klärung der Verhältnisse in seinem Sinn«, erfährt man immerhin, doch Mitte der dreißiger Jahre sei Linnemann, »der sich mehr und mehr zum Choleriker und Hypochonder ent­wickelte, von den direkten Informationen im deutschen Sport« abgeschnitten worden. Nach 1945 war Linnemann nur ein halbes Jahr lang interniert und konnte dann unbehelligt weiterleben.

»Schuster, du Zigeuner«

Fußballerisches Gedenken an den Völkermord an Sinti und Roma setzte erst sehr spät ein, und bis heute wird vergleichsweise wenig gegen die Hassorgien in Stadien unternommen. 2020 rückte die Initiative »!Nie wieder«, ein Zusammenschluss kri­tischer Fußballfans, die ermordeten Sinti und Roma in den Mittelpunkt des Gedenkens rund um den 27. Januar. Zum Heimspiel des FSV Mainz 05 gegen den FC Bayern München sprach der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, ­Romani Rose, vor 20.000 Fans im Stadion.

Wie der professionelle Fußball sonst mit dem Thema Antiziganismus umgeht, war fünf Jahre vorher in Hessen zu beobachten. Der SV Darmstadt 98 feierte seinen Aufstieg in die Erste Bundesliga, die Mannschaft tanzte um ihren Trainer Dirk Schuster herum und sang »Schuster, du Zigeuner«. Das regionale Hit­radio FFH titelte auf seiner Website »Jubel auf der Feierbühne«, zwei Jahre lang waren Video und Kommentar dort zu finden. Rinaldo Strauß vom Landesverband Hessen des Verbands Deutscher Sinti und Roma wandte sich schließlich an den Verein. Es kam zu einem Gespräch, in dem sich der Club entschuldigte. Öffentlich, so dass es Auswirkungen auf die bejubelnde Berichterstattung hätte haben können, fand die Entschuldigung nicht statt.

Gegenstrategien sind schwierig. Versuche von Sinti und Roma, am Sportgeschehen teilzuhaben, ohne sich verleugnen zu müssen, gibt es gleichwohl immer wieder.

Als 2018 nach dem Aufstieg in die Dritte Liga Spieler des FC Energie Cottbus ihren Trainer, Claus-Dieter Wollitz, mit einem »Trainer, du Zigeuner« besangen, antwortete der bei der Pressekonferenz mit dem Antwortlied »Spieler, ihr Zigeuner«. Später bat Wollitz um Entschuldigung. »Wir wollten damit niemand beleidigen oder diskriminieren. Wir haben uns damit gegenseitig auf den Arm genommen. Aber in der Öffentlichkeit hat so ein Gesang nichts zu suchen.«

Gegenstrategien sind schwierig. Versuche von Sinti und Roma, am Sportgeschehen teilzuhaben, ohne sich verleugnen zu müssen, gibt es gleichwohl immer wieder. Der Dokumentarfilm »FC Roma« des tschechischen Regie-Duos Rozálie Kohoutová und Tomáš Bojar (2016) zeigt den Alltag eines Fußballclubs in der Kleinstadt Decin. Die Mannschaft nimmt am Ligabetrieb in Tschechien teil, wird aber immer wieder aus­gegrenzt. »Sie zahlen lieber Strafe, als uns die Hand zu geben«, berichtet der Torwart Patrik Herak in dem Film über seine Erfahrungen.

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Veröffentlichung  mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus:


Buchcover

Martin Krauß: Dabei sein wäre alles. Wie Athletinnen und Athleten bis heute gegen Ausgrenzung kämpfen. Eine neue Geschichte des Sports. C. Bertelsmann, München 2024, 450 Seiten, 28 Euro