»Könna hätt' ma scho wolln, aber dürfn ham ma scho wolln, aber dürfn ham ma uns net getraut«

Anmerkungen zu Karl Valentin anläßlich seines 50. Todestags.

Es ist eine in der Geschichte der Kunst recht häufig anzutreffende Erscheinung, daß das Selbstverständnis des Künstlers sich mitnichten mit dem deckt, was sein Werk tatsächlich ausmacht, dieses falsche oder schiefe Verständnis eine ebensolche Rezeption begünstigt, die die Festigkeit eines Volksvorurteils annimmt und Person und Werk zäh anhaftet.

So verhält es sich auch mit einem der größten Komiker dieses Jahrhunderts, Karl Valentin. Obwohl hellsichtige Zeitgenossen wie z.B. Tucholsky und Brecht die eminente literarische Qualität von Valentins Stücken erkannten, die ihn aus der Masse drittklassiger "Volkssänger" heraushob; obwohl seit den Sechzigern einige Studien erschienen, die Valentins Komik zu Recht in die Nähe des avantgardistischen Theaters rücken - wird nicht nur in Bayern Valentin immer noch als ein, wenn auch etwas verquerer und skurriler, "Volkssänger" oder als ein Münchner Urviech gehandelt.

Tatsächlich bezeichnete sich Karl Valentin immer als einfachen Volkssänger und daran ist auch soviel wahr, daß er sich, was Programm und Orte seines Auftretens anbelangt, in das Schema populärer Massenunterhaltung einfügt, wie sie im München der Nachjahrhundertwende sich als ein Segment der aufkommenden Kulturindustrie entwickelte. Er trat in denselben Lokalen und Singspielhallen auf, benutzte dieselben formalen und technischen Bühnenmittel und sein aus Liedern, Solonummern und Einaktern gemischtes Repertoire unterschied sich oberflächlich nicht von dem anderer Komiker und Volkssänger. Wo es bei diesen aber menschelt, schunkelt und tümelt, da herrscht bei Valentin ein grimmiger und blutiger Witz, der das vorausgesetzte Schema dementiert und sprengt. Volksmusik war Valentin zuwider - er schätzte Salonmusik - und das Volkstümliche taucht bei Valentin als Gegenstand der Destruktion auf.

Ein Beispiel dafür ist der 1913 entstandene Einakter "Alpensängerterzett", das erste Stück, in dem Valentin gemeinsam mit Liesl Karlstadt auftrat. Die Alpensänger sind eine Familie - Vater, Sohn (Valentin), Tochter (Karlstadt) und ein Ziehharmonikaspieler, die, in Trachtenkluft gekleidet, vor einem im Hintergrund postierten, unglaublich kitschigen Bergpanorama Kostproben ihrer Kunst abgeben.

Die die "Volksmusik" seit jeher auszeichnende Mixtur aus Dilettantismus sowie penetranter Jovialität, die Aggression und Aufmischbereitschaft nur schlecht kaschiert, wird hier nur allzu deutlich. "Grüß Gott, grüß Gott mit hellem Klang / Heil deutschem Lied und Sang", heben sie an, aber schon wenige Zeit später, als der Vater seinen Einsatz verpaßt, und, vom Sohn darauf hingewiesen, daß er jetzt drankomme, mit blödsinnigem Gesang "Zwischen Bergen, die voll Schnee, duljöÖ" anhebt, bemerkt der Sohn: "Der Vater is allaweil no verschleimt." Für diese Bemerkung rächt sich der Vater dann kurze Zeit darauf, indem er den Gesang des Sohnes "I bin a Steyrer-Bua, i hab a Kernnatur" mit den Worten unterbricht "A Hundsbua bist, daß das woaßt!", worauf der Sohn aufspringt, sein Messer zieht, auf den Vater losgeht, es sich aber nochmals anders überlegt, um dann beleidigt hinterherschickt: "Oan spiel i no, na mag i nimmer!"

Eine ähnliche Beziehung wie zwischen Karl Kraus (der Valentin übrigens sehr schätzte) und Wien besteht also zwischen Karl Valentin und München: ohne diese Stadt, ihr "Milieu", vor allem die Münchner Kleinbürger, die Protagonisten und das Publikum der Brettl- und Volkssängerkultur ist sein Werk nicht zu denken - aber indem Valentin es schaffte, diese Umstände auf geradezu beklemmende Weise transparent werden zu lassen, übersteigt er das Milieu, in dem er sich bewegt. Unter klassenanalytischem Gesichtspunkt betrachtet, sind Valentins Stücke die präzisesten Studien über das Kleinbürgertum, die sich denken lassen. Man nehme nur Valentins wohl großartigsten, weil in der Beschreibung dichtesten Film "Der Firmling".

Nie wurde der Selbstekel dieser Klasse, deren zu bedrohlichem Auftrumpfen wie zu windiger Sentimentalität gleichermaßen ausschlagende Gemütsverfassung besser geschildert. Der schäbige Vater, der in seinen Grundzügen schon genauso ignorante und bornierte Sohn versuchen sich gemeinsam in einer ihnen fremden Umgebung zu behaupten, einer Weinwirtschaft, wo es bloß lauter "modernen Krampf" gibt, wo der Käs nicht Emmentaler, sondern "Affenthaler" heißt und "in der Flaschn" gereicht wird. Aber der Kampf mit der feindlichen Außenwelt verbirgt nur notdürftig, daß Vater und Sohn einander ebenso hassen wie sie zusammen die anderen hassen. Der Vater, der, wie er sagt, "koaner vo der Burschoisie is", mußte dem Sohn den Firmpaten machen, weil kein anderer sich dazu bereit erklärt hatte. Da philosophieren und singen sie eben noch von "schönen Ju-hu-gendzeit" und gleich darauf gibt der Vater dem Pepperl eine Ohrfeige, weil dieser immer wieder mit seiner "saudummen Jugendzeit" anfange. Schließlich kommt es beinahe zur Schlägerei zwischen beiden und am Ende erkennt der komatös gesoffene Vater seinen Sohn nicht mehr.

Valentins Komik beruht auf einem relativ simplen Schema: ein Ereignis, eine Tätigkeit wird verfehlt - wobei Valentin diese Verfehlung freilich regelmäßig zur aktiven Sabotage steigert - und wo doch etwas zustandekommt, wird eine Katastrophe daraus, weil die Pflichterfüllung mit aberwitziger Pedanterie betrieben wird. Der Kuhhandel kommt nicht zustande, weil die Bäuerin nur den Preis "vo der g'scheckerten Kuh" kennt und diese dem potentiellen Käufer aufschwatzen will; die angekündigte Musik - die Ballade "Die Uhr von Loewe" wird nicht gespielt, und wo die Musik dann, wie in "Der Zithervirtuose" erklingt, da dauert sie, in der endlosen Wiederholung der Schlußphrase, so lange, daß man den Zitherspieler, als sich der Vorhang wieder öffnet, als Greis zu sehen bekommt.

Valentins Helden versagen: als Zirkulationsagenten genauso wie als Ausführende, wie beispielsweise als Orchestermusiker. Sie boykottieren die bürgerliche Welt, an der sie verzweifeln. Ihr Versagen ist freilich keiner subjektiven Unfähigkeit geschuldet, sondern reflektiert, daß die gegenständliche Welt als Ware unbrauchbar und den Menschen inkommensurabel geworden ist. Die Bedienung des Schlagzeuges überfordert den Orchestermusiker, und man bekommt den Eindruck, das Instrument spiele mit dem Musiker.

Wenn Marx im Fetischkapitel über die Ware als ein "sinnlich-übersinnliches" Ding schreibt, das man sich so vorstellen könne, als beginne ein Tisch zu tanzen, dann treibt Valentin diesen objektiven Irrsinn auf die Spitze. Die Dinge treiben bei ihm ein seltsames Eigenleben: Zwar beginnen nicht die Tische zu tanzen, aber der Scheinwerfer, der repariert wurde, brennt auch dann nicht, sondern der andere, und in dem Couplet "Die verhexten Notenständer" beginnen sich dieselben aus unerfindlichen Gründen immer schneller zu drehen und zwingen die Musiker, mit ihnen im Kreis zu laufen, so daß die Musik wiederum verhindert wird.

Wahrscheinlich hat Georg Seeßlen, der ein sehr kluges Büchlein über Valentin verfaßt hat, recht, wenn er meint, die Plattheit vieler Valentinscher Schlußpointen sei "ein Notausgang, um uns das Allerschlimmste zu ersparen". In keinem Fall aber vermag die Pointe vergessen zu machen, in welches Höllenlabyrinth uns Valentin entführt. Nach dem mit sinnloser Erbitterung geführten Streit über den "Zufall" hat das Wörtchen seine Unschuld garantiert eingebüßt.