Chefredakteur von Spex

Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Wie fast an jedem Samstagabend, als ich elf Jahre war, saß ich zu Hause vor dem Fernseher und verfolgte das Spiel im Familienkreis. Das wäre kaum weiter interessant, hätte nicht die Mannschaft der DDR noch am gleichen Wochenende ihr Quartier in meiner Heimatstadt Ratingen bezogen, einer ziemlich provinziellen Schlafstadt im Einzugsgebiet von Düsseldorf.

Als das Team dort eintraf, brach ein mittelschwerer Tumult von äußerst ambivalentem Zuschnitt aus: Man war hin- und hergerissen zwischen dem Stolz, eine Nationalmannschaft zu beherbergen (und so auch an der WM teilzuhaben) und der Zumutung, daß es sich ausgerechnet um die Fußballer der DDR handelte. Das waren zwar auch Deutsche - aber warum mußten die ausgerechnet gegen "unsere" Mannschaft gewinnen? Andererseits: Als Team repräsentierten sie zwar die Regierung der DDR, doch auf der "menschlichen" Ebene hatte man die Zielbestimmung der bundesdeutschen Verfassung bereits verinnerlicht: "Wiedervereinigung".

So kam es, daß das Hotelquartier nicht von Tausendschaften, aber schon von 50 bis 150 Schaulustigen im Schichtdienst umlagert wurde. Auch ich bin hingegangen und habe mir die Autogramme der gesamten DDR-Mannschaft besorgt. Vor allem Sparwassers Unterschrift wollte ich haben: Er war für mich der Star, nicht zuletzt, weil sein Tor ihn im Systemvergleich als besonders bedrohlichen Exponenten ostdeutscher, womöglich auch noch sozialistischer Effizienz dämonisierte. Von Politik hatte ich noch keine Ahnung - wohl aber von der einen oder anderen Mauerstrategie gegen Eltern und Klassenkameraden.