Sein eigener Herr

Zum Tod des isländischen Autors und Literaturnobelpreisträgers Halld-r Laxness

Die isländischen Nachrufe waren einstimmig: Halld-r Laxness war nicht nur der größte isländische Schriftsteller des 20., sondern sämtlicher Jahrhunderte, bis zurück zu den großen Sagaschreibern des nordeuropäischen Mittelalters. Seine Bücher wurden in über vierzig Sprachen übersetzt und erzielten Auflagen von oft mehreren Hundertausenden, wie in den USA und der UdSSR. Stalinpreis und Nobelpreis taten das übrige.

Indes, als Laxness 1955 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, beklagte der Pariser L' Express, daß hier ein wenig bedeutender Vertreter einer kulturlosen Sprache geehrt werde. Laxness' Landsleute sahen das anders, sie empfingen den Preisgekrönten bei seiner Rückkehr in Reykjavik mit Ehren, wie sie anderswo nur siegreiche Fußballmannschaften genießen.

Der junge Halld-r Gudjonsson entschied sich für den Künstlernamen Laxness, weil so der Hof hieß, den seine Eltern sich kurz nach seiner Geburt kauften. Die Hofhaltung fiel ins Ressort der Mutter; der Vater, ein hoher Ministerialbeamter, war für den isländischen Straßenbau verantwortlich. Sohn Halld-r stammte also aus der isländischen Oberschicht und las doch zeit seines Lebens immer wieder voller Erstaunen, er sei der Sohn eines armen Straßenarbeiters. Im Elternhaus wurden Kunst und Musik gepflegt. Auf die Frage, welches Buch er auf eine einsame Insel mitnehmen würde, antwortete noch der alte Laxness: "Das wohltemperierte Klavier". Sein Urteil war klar: "Wegen ihrer Musik, vor allem wegen Bach, werden den Deutschen ihre hohle Philosophie und ihr noch wertloserer Militarismus verziehen werden."

Zu dieser hohlen Philosophie gehörte für ihn auch das in Island dominierende Luthertum ("die kraftloseste Ideologie, die der menschliche Geist je hervorgebracht hat"), und so finden wir den 20jährigen Halld-r in einem Luxemburger Benediktinerkloster, wo er in der Taufe den Namen Kiljan erhält. Gregorianische Choräle und spitzfindige Diskussionen bei gutem Likör prägten das Klosterleben - für die Askese war der angehende Autor damit für immer verloren. Hinfort reiste er in der Eisenbahn nur noch Erster Klasse, und entlarvend ist der Ausspruch seiner Romanpersone Arnas Arnaeus ("Islandglocke"): "Hat mein Volk seine Ehre verloren, wie frommt es da mir, Eingemachtes zu essen?" Der Mann kann kein gutes Ende nehmen und tut es auch nicht, der positive Charakter Laxnessscher Prägung denkt: "Jetzt erst recht", und langt zu.

Die ersten Bücher, darunter später so erfolgreiche Titel wie "Der große Weber von Kaschmir" oder "Sein eigener Herr", wollte kein Verlag haben. Doch der junge Autor hatte weiterhin die besten Beziehungen und fand Mäzene, die nicht nur den Druck, sondern auch seine häufigen Auslandsreisen finanzierten. Das Land war damals noch nicht unabhängig, in den Jahrhunderten der dänischen Herrschaft war die isländische Sprache verkümmert, und selbst in Laxness' Generation schrieben viele Autoren weiterhin auf dänisch. Laxness brauchte nur drei Bücher, und schon konnten nur Ignoranten die isländische Sprache für kulturunfähig halten.

Nach 1925 wandte Laxness sich zunehmend dem Sozialismus zu, obwohl er Marx ablehnte (hohle Philosophie). Nur in sozialistischen Kreisen fand er Mitstreiter im Kampf gegen den erstarkenden Faschismus. Fast wäre er deshalb aus den USA ausgewiesen worden: Er hatte in einer isländischen Zeitung die Hinrichtung von Sacco und Vanzetti als Justizmord bezeichnet - eine Auffassung, die damals von Schriftstellern und Künstlern in der ganzen Welt geteilt wurde.

1980 sagte Laxness in einem Fernsehinterview, der Sozialismus sei ihm irgendwann abhanden gekommen, "einfach verpufft" (er sprach recht gut deutsch). Mit dieser Aussage konfrontiert, erwiderte die isländische Staatspräsidentin: "Macht nichts. Er hat uns schließlich alle zum Sozialismus bekehrt, das reicht."

Die Präsidentin hätte fast eine seiner Romanheldinnen sein können. Laxness schildert mit Vorliebe Frauen, die ganz und gar nicht dem Klischee der "starken Frau" entsprechen, die aber sehr energisch ihre eigenen Entscheidungen treffen und durchsetzen, wie z.B. die Titelheldin Salka Valka, die "lichte Maid", aus der "Islandglocke" und ihre Devise: "Das Beste kann ich nicht bekommen, mit dem Zweitbesten kann ich nicht leben, da nehme ich lieber das Schlechteste."

In "Salka Valka" zeigt sich der junge Sozialist Laxness durchaus als nicht blind für die Schwächen seiner Gesinnungsgenossen. Die junge Arbeiterin Salka Valka gibt alles für einen jungen Agitator auf, der mitreißend über die neue Zeit und die Gleichberechtigung von Mann und Frau sprechen kann - doch als Karriere und eine wohlhabende Geliebte winken, ist Salka Valka vergessen. Im dreibändigen Romanwerk "Islandglocke" geht es um die Dänen-Herrschaft, unter der die arme Landbevölkerung Islands ausgebeutet und unterdrückt wird. Die winzige Schicht aus Beamten und Intellektuellen glaubt, nur die Möglichkeit zur Anpassung zu haben - Arnas Arnaeus, der sich widersetzt und die isländischen Traditionen wahren will, nimmt ein schlimmes Ende, und nur die lichte Maid Snaefridur findet für sich einen Ausweg aus dem Dilemma. "Sein eigener Herr" war Laxness' größter Verkaufserfolg in den USA -zweifellos, wie er selber sagt, weil allein in New York Hunderttausende von Menschen nach denselben Prinzipien leben wie Bjartur auf Sumarhœs, einem armen Bauern, der keine Hilfe annehmen, niemanden um etwas bitten und sich auch nicht für die Verbesserung der Verhältnisse engagieren will, denn nur auf einen selber ist Verlaß, meint er, wenn wir uns von anderen abhängig machen, werden die uns bei nächster Gelegenheit verraten.

Sein in beiden deutschen Staaten meistgelesenes Buch ist vermutlich der Roman "Atomstation". Darin schildert er, wie US-Truppen während des Zweiten Weltkrieges mit Einverständnis der Regierung Island besetzen und danach nicht mehr verlassen. Island ist im Kalten Krieg von strategischer Bedeutung und wird reichlich mit atomaren Sprengköpfen bestückt - und damit wird es zum Ziel eines potentiellen Angriffs.

Mehrmals wurde Laxness von Regisseuren aus beiden deutschen Staaten um die Filmrechte für dieses Buch gebeten. Er lehnte ab, denn: "Wie ich aus beiden Teilen Deutschlands höre, sind alle mit ihren jeweiligen Besatzungstruppen zufrieden."

Halld-r Laxness starb am 9. Februar in Reykjavik.

Halld-r Laxness' Bücher erscheinen derzeit in neuer Übersetzung von Hubert Seelow im Steidl-Verlag, Göttingen.