Martin Rapp

»Gehorsam gegenüber dem Staat aufkündigen«

Der Journalist Martin Rapp (42) ist Geschäftsführer des "Ökumenischen Netzwerks Asyl in der Kirche in Nordrhein-Westfalen", einem Zusammenschluß von über 40 Kirchengemeinden, die bereit sind, Zuflucht zu gewähren. Das Kirchenasylnetzwerk unterstützt die Protestaktion illegalisierter kurdischer Flüchtlinge in Köln. In Deutschland leben zur Zeit rund 220 abgelehnte Asylsuchende im sogenannten Kirchenasyl.

Einige der Illegalen, die jetzt in Köln ein Bleiberecht fordern, leben zum Teil schon seit Jahren in Deutschland. Warum erst jetzt eine solche Aktion?

Die Illegalisierung der Flüchtlinge und MigrantInnen ist tatsächlich nicht neu. Sie wurde mit der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1993 zum Massenphänomen. Dies ist in der Öffentlichkeit bisher aber kaum wahrgenommen worden. Erst dadurch, daß drei Familien die Initiative ergriffen und eine Protestaktion gegen ihre Abschiebung begonnen haben, wurde das in Köln zum Thema. Im Moment kommen immer mehr Menschen aus ihren Verstecken. Die Zahl der Zufluchtsuchenden ist von anfangs 21 auf über 90 gestiegen, und es werden immer noch mehr.

Voraussetzung für die Aktion war, daß es hier in Köln seit Monaten ein Netzwerk von Gruppen gibt, die sich in die Kampagne "Kein Mensch ist illegal" eingereiht haben, öffentlich ihre Bereitschaft zur Unterstützung Illegaler bekundeten und eine Struktur geschaffen haben, in der das möglich ist. Bevor die Flüchtlinge in der Kirche Zuflucht fanden, hatten wir sie bereits eine Weile privat versteckt.

Nun mag es eine individuelle Perspektive für diese fünf Dutzend Menschen geben, was ist aber mit den anderen? Müssen alle erst in einer Kirche Zuflucht suchen, damit sie hier bleiben können?

Das Ziel der Protestaktion ist ein Abschiebestopp für Flüchtlinge aus der Türkei. Wir wollen so viel Druck auf die rot-grüne Landesregierung erzeugen, daß diese um einen Abschiebestopp nicht herumkommt.

Daß es soweit kommt, ist zweifelhaft.

Ich bin da optimistischer. Es hat in der Vergangenheit durchaus erfolgreiche Widerstandsaktionen gegen Abschiebungen gegeben. Und die Kölner Ausländerbehörde hat bereits signalisiert, daß es für einzelne Familien eine Lösung geben könnte. Die Gruppe sagt aber ganz deutlich: "Mit uns gibt es keine Einzelfallösung. Wenn, dann eine Lösung für alle." Wie diese im einzelnen aussehen wird, wissen wir nicht.

Warum stoßen keine schwarzafrikanischen Flüchtlinge zu den kurdischen? Wo sind die chinesischen, die sich in Köln versteckt halten und in einer ähnlichen Situation leben müssen?

Erstens gibt es zwischen den Flüchtlingsgruppen eine große Sprachbarriere. Die einzige Sprache, die die Leute untereinander sprechen, ist Deutsch, und das sprechen viele sehr schlecht.

Zweitens beziehen sich viele Exilorganistionen auf ihr Herkunftsland. Sie definieren sich politisch als Exilparteien und kämpfen kaum für ihre Rechte hier in Deutschland. Eine kurdische Organisation betreibt sogar eine Rückkehrkampagne in die Türkei und wollte die Protestaktion in Köln als Bühne dafür nutzen.

Wie groß ist in der Kirche der Rückhalt für die Aktion?

Eine evangelische Gemeinde, die bereits 1993 drei Roma-Familien jahrelang Kirchenasyl gewährt hatte, war die erste, die jetzt Zuflucht geboten hat. Dazu kamen vier weitere, die auch Erfahrungen mit Flüchtlingsarbeit haben, zum Teil auch Kirchenasylerfahrungen.

Selbst in diesen Gemeinden hat es allerdings Widerstände gegen die Aktion gegeben. Aber es bewegt sich etwas. Die Aktion hat nicht nur eine Außenwirkung, sondern auch eine innerhalb der Gemeinden. Sie führt zu Solidarisierung, zur Auseinandersetzung mit der Situation der Flüchtlinge und der Flüchtlingspolitik. Wenn es uns gelingt, Kirchengemeinden davon zu überzeugen, sich in dieser Form für von der Abschiebung bedrohte Flüchtlingen stark zu machen, dann hoffen wir, daß wir auch gesellschaftlich besser durchdringen. Die Kirchen sind schließlich auch nur ein Abbild der Gesellschaft.

Ich habe den Eindruck, zwischen den UnterstützerInnen und den Flüchtlingen herrscht oft ein sehr paternalistisches Verhältnis. Letztere sind in den Kirchen eingesperrt. Was nach außen geht, wird von Deutschen vorgetragen.

Das sehe ich nicht so. Die Aktion ist von den drei illegalisierten Familien ausgegangen. Sie haben beschlossen, nicht länger im verborgenen zu leben. Für sie wurde es unerträglich, mit ihren Familien längere Zeit illegal zu leben. Die Familien haben bei den Gesprächen mit den Kirchen von Anfang an teilgenommen und ihre Interessen deutlich gemacht. Es gibt einen Sprecher, der die Interessen der Flüchtlinge vertritt - auch gegenüber dem Unterstützerkreis.

Trotzdem gibt es einen deutlichen Unterschied etwa zu den Aktionen der Sans papiers in Frankreich, einer originären MigrantInnenorganisation.

Daß es hier in Köln von Anfang an einen sehr großen Kreis von deutschen UnterstützerInnen gab, ist ja erstmal positiv. Richtig ist, daß in Frankreich die Selbstorganisation der Flüchtlinge viel stärker ist. Die Mehrzahl der Migranten in Frankreich kommt aus dem frankophonen Sprachraum, aus den früheren Kolonien. Sie fühlen sich eher als Franzosen und für sie liegt die Forderung nach gleichen politischen und sozialen Rechten auf der Hand. In Deutschland dagegen gibt es das Blutsrecht, das sich auch im Bewußtsein der Leute niederschlägt. Auch deshalb haben es die Flüchtlinge hier viel schwerer, die Sprachgrenzen untereinander und den Paternalismus der FlüchtlingshelferInnen zu durchbrechen.

Denn es gibt tatsächlich viel Paternalismus, auch von kirchlichen Gruppen, gegenüber den Flüchtlingen. Aber dieses Verhältnis wird nicht durch Proklamation aufgehoben, sondern in der konkreten Auseinandersetzung mit Flüchtlingen und in politischen Aktionen wie der aktuellen in Köln.

Wird der Paternalismus nicht dadurch begünstigt, daß die Aktionen unter dem Dach der Kirche stattfinden?

Die Kirchen sind der letzte Zufluchtsort für Verfolgte in Deutschland. Die meisten autonomen Zufluchtsprojekte sind in den vergangenen Jahren gescheitert, auch eines hier in Köln. Außerdem sind Rassismus und Paternalismus gesellschaftliche Phänomene und in der Linken genauso weit verbreitet wie in den Kirchen.

Wieso wird der Begriff Kirchenasyl im Zusammenhang mit der Aktion in Köln vermieden?

"Kirchenasyl" zielt vor allem auf den Einzelfall - um diesen bürokratischen Begriff zu gebrauchen. Die Gemeinden versuchen einen zeitlichen Aufschub zu erreichen, um die Asylentscheidung revidieren zu können oder ein Bleiberecht aus humanitären Gründen durchzusetzen.

Die Protestaktion in Kölner Kirchen ist dagegen eine politische Variante des Kirchenasyls. Die Gemeinden nehmen Flüchtlinge auf, damit diese ihre Forderung nach einem generellen Abschiebestopp für kurdische Flüchtlinge aus der Türkei und einem Bleiberecht formulieren und durchsetzen können. Die Gemeinden werden den Menschen solange Zuflucht gewähren, bis diese Forderung durchgesetzt ist.

Das kann lange dauern. Gibt es ein erfolgreiches Vorbild für diese Form der Aktion?

Seit zehn Jahren gibt es in den Niederlanden bereits ein weitverzweigtes Netz zur Unterstützung von Illegalisierten. Zur Zeit leben in den Niederlanden schätzungsweise 1 000 Menschen, die von Privatleuten untergebracht und versteckt werden. Organisatorisch getragen wird dieses Netz von kirchlichen und autonomen Gruppen. Im vergangenen Jahr dann gab es ein sogenanntes "Wanderkirchenasyl", um das Bleiberecht von Iranern durchzusetzen. Das Kirchenasyl wurde als eine politische Aktionsform verstanden, um das Bleiberecht einer ganzen Gruppe durchzusetzen - es ging nicht um Einzelfälle. Die Aktion war begleitet von großen Protesten iranischer Gruppen und war nach einem halben Jahr erfolgreich.

Hat sich die bisherige Form des Kirchenasyls in Deutschland abgenutzt?

In gewisser Weise ja. Zwar ist die Bereitschaft christlicher Gemeinden, von der Abschiebung bedrohte Flüchtlinge aufzunehmen, ungebrochen. Doch Kirchenasyle dauern immer länger - durchschnittlich ein Jahr. Für die Betroffenen können die Kirchen so zu einem freiwilligen Gefängnis werden. Außerdem wurden im letzten Jahr fünf Kirchenasyle in Deutschland gewaltsam beendet, ohne daß es in der Öffentlichkeit einen Aufschrei der Entrüstung gegeben hätte. In vier Fällen betraf es kurdische Flüchtlinge aus der Türkei. Diese Situation verlangt von uns, neue Wege zu gehen und eine politische Antwort zu finden.

Wie könnte diese aussehen?

Für die Kirchenasylgemeinden müßte das heißen, radikaler zu werden, den Gehorsam gegenüber dem Staat aufzukündigen und Formen von zivilem Ungehorsam zu praktizieren. Ein Beispiel dafür war die spontane Sitzblockade von Benediktinerinnen im vergangenen Sommer in Dinklage gegen die Abschiebung einer Familie aus dem Kirchenasyl.

Für die Linke müßte das heißen, ihre Handlungsfähigkeit zurückzuerobern, die sich in den letzten acht bis neun Jahren immer weiter verloren hat. Es gilt die Fähigkeit wiederzugewinnen, mittels Aktionen Druck auf die politisch Verantwortlichen zu erzeugen.