Wasserträger auf dem flachen Land

Weil Schröder so eindeutig führt, denken im Niedersachsen-Wahlkampf alle nur an Bonn

Was ist nur an diesem Schröder dran, daß keiner so recht an ihn glauben will? Sein selbstgesetztes Ziel, der SPD in Niedersachsen weitere zwei Prozent zu den 44,3 zu verschaffen, die er vor vier Jahren holte, wird er wohl nur knapp verfehlen: Infratest gibt ihm derzeit 45,5 Prozent, Forsa gar 46. Absolute Mehrheit der Mandate würde das wohl bedeuten; die SPD könnte vier weitere Jahre alleine regieren, ohne die Grünen, die Schröder in der vorvergangenen Legislaturperiode das Leben vermiesten.

Und dennoch, keiner scheint's so recht glauben zu wollen. Der CDU-Herausforderer Christian Wulff nicht, der auf seinen Wahlkampfveranstaltungen ganz unverblümt von den Zeiten spricht, "wenn ich Ministerpräsident bin", und auch die Grünen nicht, die ebenso unverblümt über Schwerpunktsetzungen in Koalitionsverhandlungen mit der SPD streiten: Ist die Weser-Vertiefung nun so wichtig wie Gorleben, so wichtig wie Garzweiler oder vielleicht doch nur so wichtig wie der Hamburger Hafen, den die Parteifreunde an der Elbe so leichtfertig hingaben?

Nordrhein-Westfalen und Hamburg, das sind die beiden Präzedenzfälle, mit denen die grüne Spitzenkandidatin Rebecca Harms am liebsten gar nicht in Zusammenhang gebracht werden will. In Nordrhein-Westfalen, so finden bündnisgrüne Spitzenvertreter heute, waren die Grünen mit einem zu dicken Forderungskatalog an den Start gegangen. Ein Programmpunkt nach dem anderen mußte geopfert werden, so daß aktuell nur mehr der Streit um den Braunkohle-Tagebau Garzweiler II bleibt. Eine "Knackpunktpolitik" sei das gewesen, die sich heute räche. In der Hansestadt wollte man einen Dauerstreit wie in Düsseldorf von vorne herein vermeiden und setzte deswegen auf Geschmeidigkeit. Das Ergebnis: Selbst die Anhängerschaft der Grün-Alternativen Liste weiß heute nicht mehr zu sagen, was sich geändert hat, seit Krista Sager und Umweltsenator Alexander Porschke mitregieren. Dagegen setzt Harms Themen, Themen, Themen. Zwar entgeht mittlerweile auch in Hannover keinem mehr, wie burschikos die Dokumentarfilmerin aus dem Gorleben-Widerstand von der Plakatwand lächeln kann, aber streng unhierarchisch findet man sie auf dem Plakat irgendwo rechts unten, unter mehr als einem Dutzend anderen Grünen-Gesichtern. Wir haben auch Köpfe zu bieten, soll das heißen; daran soll eine Regierungsbeteiligung nicht schaden.

Doch vor der Regierungsbeteiligung steht die Wahl. Und der unangefochtene Spitzenreiter Schröder macht keinen Hehl daraus, daß er es als Niederlage ansähe, sollte er künftig wieder auf die Grünen angewiesen sein. Eine Niederlage, die womöglich dazu führen würde, daß Schröder von der Kanzlerkandidatur Abstand nähme. Das ist der Grund, warum Kohl neunmal aufs platte Land reiste, um Wulff Unterstützung zu leisten. Vergessen scheinen jene Zeiten, da der Vorsitzende der niedersächsischen CDU - vor nicht einmal einem Jahr - Front gegen die Steuerpolitik des Kanzlers und von Finanzminister Waigel machte. Wenn er treuherzig neben dem Koloß aus Bonn auf der Tribüne sitzt, mag man gar nicht glauben, daß ein "junger Wilder" so zahm sein kann - nicht einmal in der CDU.

Wenn er dann selbst ans Mikrophon tritt, kommt Wulff doch noch in Fahrt. "Welcome today, welcome tomorrow", ertönt seine ganz persönliche Wahlkampfhymne. Programmatisch liegt Wulff voll und ganz auf einer Linie mit der Bundes-CDU: Mehr "Eigenverantwortung", weniger Sozialstaat, mehr Polizei, weniger Bürokratie. "Der Junge wird immer besser", vertraut Kohl befreundeten Journalisten an, und die wissen, was sie davon zu halten haben: Ohne jede Chance auf einen Wahlsieg, soll es Wulffs Aufgabe sein, Schröder in Niedersachsen soweit zu drücken, daß der auf eine Kandidatur in Bonn verzichtet. Gegen einen Kanzlerkandidaten Lafontaine rechnet sich Kohl ein leichteres Spiel aus.

Die Süddeutsche Zeitung kolportierte die Geschichte der ersten Begegnung zwischen Wulff und Kohl: Im Wahlkampf 1978 habe der damals achtzehnjährige Bundesvorsitzende der Schüler Union dem großen Vorbild Wasser bringen dürfen - "zwei Flaschen Fachinger", erinnert er sich bis heute. Um dann kurz nachdenklich dreinzuschauen, ob der Rolle als Kohls Wasserträger, die ihm bis heute anhaftet.