Belgrad im Blick

Washington nähert sich auf dem Balkan immer mehr Milosevic an. Mit der Abkehr von Kroatien schwächt die US-Diplomatie auch den deutschen Einfluß in der Region

Nicht einmal als diplomatische Rüge getarnt, kam die Kritik der USA einer Ohrfeige gleich: Kroatiens Präsident Franjo Tudjman sollte "mehr auf die Wahl seiner Worte achten", empfahl Washingtons Chefdiplomat für Restjugoslawien, Robert Gelbard, dem krebskranken 75jährigen, nachdem der den bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic als "Fundamentalisten" beschimpft hatte. Offenbar nicht mehr gewillt, die nationalistischen Ausfälle des einstigen Washingtoner Verbündeten im Jugoslawienkrieg zu dulden, warf Gelbard Tudjman "Ausschweifungen" vor.

Washington, soviel ließ Gelbard vergangene Woche durchblicken, ziehe bei weiterer Behinderung des Daytoner Vedrtrags eine Abkehr vom kroatischen Alterspräsidenten durchaus in Betracht. Tudjmans jüngste Parteitagsrede stehe im Widerspruch zu den Prinzipien von Dayton und werde von den USA nicht länger geduldet. Tudjman hatte auf dem Parteikongreß seiner HDZ beispielsweise gesagt, wäre "Bosnien schon damals (1992 bis 1995, M.B.) ein islamischer Staat" geworden, "hätten wir Kroaten nicht zu den Waffen gegriffen". Solche Sätze bezeichnete Gelbard als "ungeheuerlich, gefährlich und lächerlich".

Was sich in den Beziehungen zwischen Washington und Zagreb, die sich stetig verschlechtern, bereits seit einem Jahr abzeichnete, scheint nun vollzogen: Mit der Ankündigung, die Sanktionen gegen Jugoslawien zu lockern, gibt die US-Balkandiplomatie das frühere Anti-Milosevic-Bündnis mit Tudjman auf - zugunsten einer engeren Zusammenarbeit mit dem jugoslawischen Präsidenten. In den vergangenen Wochen ist Slobodan Milosevic zum wichtigsten Partner der USA avanciert, die die Gesamtstabilität der Balkanregion im Auge haben. Sowohl beim Amtsantritt des als "pro-westlich" titulierten, tatsächlich aber 1991 von Milosevic ins Amt des montenegrinischen Ministerpräsidenten gehievten Milo Djukanovic als auch bei den anhaltenden Spannungen im Kosovo erwies sich Milosevic als Garant für den staatlichen Zusammenhalt Restjugoslawiens - zentraler Punkt der geostrategischen US-Interessen auf dem Balkan.

Milosevic hatte an die Dayton-Schutzmacht Nummer eins einige Zugeständnisse gemacht: In Montenegro ließ er seinen alten Gefolgsmann Momir Bulatovic fallen, als die USA signalisierten, eine friedliche Regierungsübernahme Djukanovics entsprechend zu honorieren. Bei den jüngsten Studentendemonstrationen blieb die serbische Polizei entgegen gängiger Praxis bei solchen Anlässen in den Kasernen. Die politische und ökonomische Lockerung des Embargos erkaufte sich Belgrad nicht zuletzt durch die Unterstützung des vom Westen protegierten neuen Ministerpräsidenten der bosnischen Serbenrepublik, des Sozialdemokraten Milorad Dodik. Der wurde vom Hohen Repräsentanten der UN, dem Spanier Carlos Westendorp, als Statthalter gegen Radovan Karadzic und dessen Serbisch Demokratische Partei (SDS) in Pale installiert, und es wäre ihm kaum möglich, ohne die Dekrete Westendorps zu regieren.

Mit Dodik an der Spitze der bosnisch-serbischen Regierung ist die Strategie des Westens für Bosnien erstmals aufgegangen. Um den Preis einer protektorats-ähnlichen internationalen Verwaltung scheint Karadzic nun endgültig isoliert zu sein; das Machtzentrum in der Republik Srpska ist von Pale nach Banja Luka gerückt.

Doch mit der am 15. März anstehenden Entscheidung über den endgültigen Status der strategisch wichtigen nordbosnischen Stadt Brcko könnten die Interessensgegensätze innerhalb der Dayton-Garantiemächte wieder aufbrechen. Neben der Stabilisierung der Region verfolgen die USA auf dem Balkan eben auch die Institutionalisierung ihres Einflusses in Südeuropa und dem Mittelmeerraum - den Ländern der EU und insbesondere Deutschland soll der Weg zu den islamischen Märkten und den Ressourcen des Nahen Ostens versperrt bleiben. Das Brcko-Schiedstribunal unter Vorsitz des US-Amerikaners Robert Owen steht mit seiner Entscheidung so nicht nur unter dem Druck der muslimisch-kroatischen Föderation. Deren Führung argumentiert, daß Brcko nicht der Serbenrepublik zugesprochen werden dürfe, weil sonst Völkermord legalisiert würde.

Die bosnischen Serben hingegen verweisen auf auf die reibungslose Zusammenarbeit mit den internationalen Institutionen. "Ohne Brcko gibt es keine Republik Srpska", sagt die Präsidentin Biljana Plavsic, und Dodik droht: "Wenn wir Brcko verlieren, fällt meine Regierung." Führende EU-Politiker haben angesichts der zu erwartenden Spannungen schon für eine erneute Verschiebung der Entscheidung über Brcko plädiert, allen voran der deutsche Außenminister Klaus Kinkel.

Daß die USA bei den anhaltenden Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien zunehmend auf Milosevics Hilfe setzen, kann auch als verspätete Rache für einen deutschen Alleingang auf der Dayton-Folgekonferenz in Bonn im Dezember gewertet werden. Erst auf starkes Drängen von Kinkel war dort eine Rüge der serbischen Kosovo-Politik in das Abschlußpapier aufgenommen worden. Daraufhin hatten die jugoslawische Delegation und die der bosnischen Serben den Versammlungssaal unter Protest vorzeitig verlassen.

Was von Washington im Dezember noch geduldet wurde, fand allerdings keine Fortsetzung. Einen Monat später blitzte Kinkel mit seinem Wunsch nach stärkerer Unterstützung des selbsternannten Kosovo-Führers Ibrahim Rugova ab: Einen von Kinkel und einem Spitzenbeamten des Auswärtigen Amtes für Mitte Januar geplanten gemeinsamen Besuch bei Rugova ließen die USA kurzfristig platzen. Begründung: "Wegen Nebels" könne das Flugzeug nicht landen. Im Hinblick auf die US-serbischen Beziehungen allerdings hatte sich der Nebel in Belgrad schon gelichtet: Noch am selben Tag stattete Gelbard Milosevic einen Besuch ab - die von Kinkel wohlwollend betrachtete und von Rugova verkörperte sezessionistische Option für den Kosovo hat vorerst einen Rückschlag erlitten.