Leichenschau in Mannheim

Der Kontrakt des Anatomen

Beeindruckt zeigten sich die meisten Besucher: Auf einer Podiumsdiskussion Ende Januar im Rahmen der Ausstellung "Körperwelten", bei der sich einige Hundert im Saal drängelten, wurde das Projekt des Heidelberger Anatomen Gunther von Hagens mehrheitlich abgefeiert. Der Einschätzung, die Ausstellung toter menschlicher Körper sei Geschmacksverirrung, konnten sich nur wenige anschließen. Vielmehr wurde es als lehrreich eingeschätzt, daß erstmals Nicht-Mediziner an über 200 Leichen und speziell präparierten Organen vorbeischlendern konnten, faszinierend sei das und moralisch ohne weiteres vertretbar. In einer Umfrage bewerteten 95 Prozent die Ausstellung mit "gut" bis "sehr gut".

700 000 Besucher waren es, die sich seit der Eröffnung im Oktober in einer Endlosschlange durch das Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim schoben, wo der Heidelberger Anatom Gunther von Hagens mit einer neuen Form der Authentizität, einer Authentizität des Körpers, der mit allen Schikanen modernster Präparationskunst hergestellt ist, gelockt hatte.

Die ausgestellten Exemplare sind mit dem Verfahren der Plastination konserviert, bei der das Körperwasser durch Spezialkunststoffe ersetzt wird. Totes Gewebe wird mit Silikonkautschuk durchtränkt und damit farb- und strukturecht aufbereitet, was den Gebilden ein wächsernes und gummiartiges Aussehen verleiht. Dieses Verfahren hat sich von Hagens patentieren lassen.

Das von ihm gegründete Institut für Plastination vermarktet diese Innovation seit einigen Jahren, fast eine Million Mark setzt der Anatomieprofessor pro Jahr durch den Verkauf seiner Präparate um. Am "biologischen Rohstoff" herrscht kein Mangel. Es gibt genug Menschen, die sich gratis zur Verfügung stellen, um nach ihrem Tod scheibchenweise oder en bloc an die 250 Institute in aller Welt verschickt zu werden, die Hagens beliefert - oder in verfremdeter Darstellung öffentlich zur Schau gestellt zu werden.

Mag der Katalog der Ausstellung momentan vergriffen sein, Formulare zur Ganzkörperspende gibt es noch. In der Absicht, ein solches Formular abzuholen, dürfte aber bisher noch niemand das Mannheimer Landesmuseum angesteuert haben. Das Lernziel der Exposition heißt jedoch Begeisterung. Begeisterung für einen medizinischen Fortschritt, der auf die totale Selbstverwertung der Forschungsobjekte baut. Wenn man spontanen Äußerungen glauben darf, haben die meisten Besucher das Lernziel innerhalb weniger Stunden erreicht. Von Hagens Plastinationspoker, sein Spiel mit der unverwüstlichen Unsterblichkeitsphantasie des Menschen hat sich rentiert.

38 Prozent der Befragten, erklärte von Hagens, seien nach dem stundenlangen Parcour durch das Leichenschauhaus zu einer Organspende bereit. Eine Zahl, von der deutsche Transplantationsmediziner nur träumen können. Das von ihnen händeringend eingeklagte Umdenken in der Bevölkerung, das dröge Debatten über den Hirntod als Entnahmekriterium im Keim ersticken, forciert von Hagens ganz locker, indem er die sinnliche Erfahrung an die Stelle der Abstraktion setzt. Die vertikal durchschnittene Schwangere im sechsten Monat mit dem kopfstehenden Fötus im Bauch, das glotzäugige Skelett, das dem Besucher seine Hautlappen entgegenstreckt, sie werben für ein kooperatives Verhältnis von Mensch und Maschine , das im Bereich der High-Tech-Medizin längst problematisch geworden ist.