Ein absurdes Endspiel

Die britische und die irische Regierung setzen im Nordirlandkonflikt auf eine gesamtirische Volksabstimmung am 7. Mai

"Ich habe die Schnauze voll von dem Versuch, den Friedensprozeß weiterhin am Laufen zu halten. Diejenigen, die am Fortgang des Prozesses grundsätzlich kein Interesse haben, benutzen den Tod zweier Männer, um ihn scheitern zu lassen." So reagierte Gerry Adams, Führer der der IRA nahestehenden Partei Sinn Féin, auf die Nachricht, daß seine Partei für die Dauer von zwei Wochen von den Friedensgesprächen ausgeschlossen werden soll. Nach Ansicht des nordirischen Polizeichefs Ronnie Flanagan wurden die beiden Männer, ein Loyalistenführer und ein bekannter Drogendealer, von der IRA hingerichtet. Die IRA bestritt dagegen jegliche Beteiligung.

Der Ausschluß Sinn Féins wurde zeitlich befristet, denn am 17. März will Gerry Adams den irischen Nationalfeiertag mit der mächtigen irisch-amerikanischen Lobby und natürlich mit Präsident William Clinton im Weißen Haus begehen - und während des Zeitraumes der Strafmaßnahme erteilen die US-Behörden kein Einreisevisum. Am 9. März kann Adams dann seinen Platz am Verhandlungstisch in London wieder einnehmen, unter der Voraussetzung, daß die IRA in der Zwischenzeit für niemanden die letzte Runde einläutet. Sinn Féin fordert deshalb ihre Anhänger auf, bis zur erneuten Teilnahme an den Gesprächen zum Friedensprozeß gegen diese "Ungerechtigkeit" ausschließlich ruhig und diszipliniert zu demonstrieren.

Ruhe und Disziplin kann in republikanischen Kreisen einiges bedeuten, besonders in den an der südirischen Grenze gelegenen Grafschaften, wie z.B. Fermanagh und Armagh, wo seit dem Waffenstillstand unter den Mitgliedern der IRA die größte Unzufriedenheit mit den mangelhaften Fortschritten innerhalb des Friedensprozesses zu beobachten ist. Der zweiwöchige Ausschluß Sinn Fe'ns wird von den Republikanern und besonders von den nationalistischen Einwohnern der Grenzgebiete als Schlag ins Gesicht betrachtet.

Perfekter Anlaß für die von Gerry Adams am 16. Februar so bezeichneten "Waffenstillstands-Soldaten" der Continuity IRA, in Aktion zu treten. Diese Gruppe gründete sich nach der Verkündung des Waffenstillstands durch die IRA, um im Fall eines Ausverkaufes der republikanischen Ideale den Krieg weiterführen zu können. Innerhalb von 48 Stunden wurden mit Hilfe von 500-Pfund-Autobomben Teile von zwei pittoresken protestantischen Orten in Schutt und Asche gelegt. Bei den beiden Anschlägen kam niemand ums Leben, da die Bomben den in den Vereinigten Staaten sogenannten "Smartbombs" ähneln. Ein mit selbstgefertigtem Sprengstoff beladener Lieferwagen wird ins feindliche Territorium gefahren und die Polizei via Telefon davon in Kenntnis gesetzt. Die Sicherheitskräfte mit ihrem 30jährigen Erfahrungsschatz räumen das betroffene Dorf auf vorbildliche Weise innerhalb einer halben Stunde. Ergebnis: Maximaler Sachschaden, keine menschlichen Verluste.

Die ausgewählten Kleinstädte, Moira und Portadown, liegen im Herzen des protestantischen Nordirlands und gehören zum Wahlkreis von David Trimble, Führer der Ulster Unionist Party (UUP), der größten Partei Nordirlands. Trimble steht direkten Verhandlungen mit der Sinn Féin nach wie vor ablehnend gegenüber. UUP-Sprecher Jeffrey Donaldson, der am 27. Januar ein Exemplar des von der britischen wie irischen Regierung präsentierten Rahmendokuments zur Lösung des Konfliktes demonstrativ auf einer Pressekonferenz zerriß, wohnt nur 300 Meter von Moira entfernt. Er muß jetzt seine Schrippen irgendwo anders kaufen. Das Signal der Anschläge an die Unionisten ist klar: Es wird weder eine interne Lösung ohne gesamtirische Dimension noch eine Lösung ohne Sinn Féin geben.

Seinen eigenen, etwas anders gewichteten Lösungsansatz veröffentlichte der irische Premierminister Bertie Ahern in der Londoner Zeitung Telegraph: "Um Kontinuität und Stabilität zu bewahren, ist eine rechtzeitige und moderate konstitutionelle Veränderung die beste Politik. (...) Die Mitglieder der IRA, der Continuity IRA, der INLA, der UVF, UDA, UFF, LVF und alle anderen müssen begreifen, daß ihre Tage gezählt sind. Der für Nordirland beste Beitrag wäre, auf Gewalt zu verzichten und das Problem demokratisch zu lösen." Die irische und die britische Regierung sollen den Weg zu friedlicher Koexistenz weisen: "Unsere gemeinsame Pflicht ist es, die zwei Gesellschaften in Nordirland aus ihrer historischen Defensive zu führen und gegenseitige Ressentiments abzubauen."

Ahern setzt zusammen mit Blair auf ein Bündnis zwischen der UUP und der konstitutionell-nationalistischen SDLP unter John Hume, um für die am 7. Mai geplante Volksabstimmung einen möglichst breiten Konsens in beiden Lagern zu erreichen. Über die möglichen Inhalte des Referendums wird weiterhin spekuliert. Strittig ist, wie eine solche Vereinbarung beschaffen sein müßte, um sowohl UUP als auch SDLP zu gemeinsamer und damit mehrheitlicher Unterstützung zu bewegen.

Die Präferenzen der britischen wie auch - mit Einschränkungen - der irischen Regierung sind bekannt: Die Unionisten sollen ein nordirisches Parlament, einen Insel-Rat mit engen Beziehungen zu Westminister und die Aufhebung des in der Verfassung festgeschriebenen Anspruches der irischen Republik auf Nordirland erhalten. Im Gegenzug sollen die Nationalisten einen gesamtirischen Rat mit exekutiven Kompetenzen und verfassungsmäßig garantierte Rechte zugesprochen bekommen, zudem sollen Reformen in den Bereichen Polizei und Justiz durchgeführt werden.

Dieses Kompromiß-Paket soll die UUP überzeugen, sich nicht der Democratic Unionist Party (DUP) von Iain Paisley anzuschließen, die jegliche Veränderung des Status Quo grundsätzlich ablehnt. Und zum ersten Mal soll die katholische Minderheit in die Regierungsarbeit mit einbezogen werden. Für die Nationalisten gelten eine unparteiische Polizei, die nicht mehr wie bislang zu 98 Prozent aus Protestanten gebildet wird, und die Aufhebung der Anti-Terror-Gesetze als grundlegende Rechte und nicht als Verhandlungsmasse. Wie die gemäßigt nationalistische Tageszeitung The Irish News in ihrem Leitartikel am vergangenen Samstag schrieb: "Die Unionisten versichern uns, daß wir in einer Demokratie leben, aber hier ist mehr als eine 'Regierung der Mehrheit' vonnöten. Eine vollständige Definition unserer Erwartungen umfaßt gleiche Rechte, gleiche Möglichkeiten - was von der orangefarbenen Diktatur jahrzehntelang überdeutlich verweigert und denunziert wurde. Jetzt machen sie einen Riesenärger, weil 43 Prozent der Bevölkerung es satt haben, in ihren sektiererischen Ghettos beschränkt, inhaftiert und abgeschrieben zu leben."

Die Autobombe in Moira beeindruckte auch den britischen Premier Tony Blair: "Nordirland rührt an mein Herz", klagte er. Kurz zuvor hatte Blair eine Delegation der loyalistischen UDP, des politischen Flügels der UFF, empfangen. Ein Mitglied der Abordnung der UDP, John White, hatte im Jahr 1973 einen nationalistischen Politiker und dessen Sekretärin erstochen. Die UDP hatte gerade eine vierwöchige Verbannung von den Friedensgesprächen hinter sich gebracht, die nach einer Reihe von Morden an katholischen Taxifahrern ausgesprochen worden war. Obwohl während des Ausschlusses erneut drei Katholiken durch Kopfschüsse ermordet wurden und zwei katholische Familien mit der Post Sprengsätze erhielten, blieben beide Regierungen "optimistisch", die Verhandlungen erfolgreich fortführen zu können.

Während Sinn Féin eine Klage vor dem obersten irischen Gericht einreichte, um den Ausschluß von den Friedensverhandlungen zu verhindern, nutzten die UUP und David Trimble ihre Zeit in Dublin, um gegen den bevorstehenden Abriß des Geburtshauses von Edward Carson, dem Vater des britischen Unionismus und eifrigem Staatsanwalt im Prozeß gegen Oscar Wilde, zu protestieren. In ihren Augen ein weiteres Beispiel südirischer Vernachlässigung unionistischer Traditionen.